Kapitel 59

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Ferdale sah skeptisch auf das, was Koshy so leichtfertig ein „Tor" genannt hatte. Effi konnte es ihm nachfühlen. Was auch immer das war, es zu durchschreiten war sicher keine angenehme Erfahrung.

„Erklär es mir noch einmal!", forderte Ferdale.

Koshy seufzte.

„Die Welten sind nicht an einem Tag entstanden. Im Gegenteil. Es dauerte Jahre, bis sie sich tatsächlich gegeneinander verschlossen. Ähnlich wie die Seelenbruchstücke des Serafin haben die Welten keine glatten sauberen Kanten. Sie sind Teile eines Ganzen und ihre Entstehung verlief unvorhersehbar und völlig willkürlich. An manchen Stellen entstanden Verwachsungen, nennt es Unebenheiten oder Narbengewebe, wie auch immer, es sind... ich habe kein Wort in eurer Sprache, aber dieses Tor stellt eine Sollbruchstelle dar, zwischen uns und der Welt des Windes. Vielleicht liegt es an der Beschaffenheit dieser besonderen Welt, dass sie nicht so verschlossen ist wie andere, vielleicht ist es auch Zufall. Aber wir können hier ohne unsere Fähigkeiten die Ebenen wechseln, zwischen unserer Welt und der des Windes. Es ist gelinde gesagt eine Karussellfahrt der besonderen Art. Deshalb habe ich euch auch geraten heute Morgen nicht zu frühstücken. Aber es ist der schnellste Weg. Denn durch den Sprung legen wir gleichzeitig Strecke zurück. Diese Narbe hier verläuft quer durch unsere Welt. Wir werden ganz in der Nähe meiner Heimat wieder herauskommen."

„Das behauptest du! Du sagst aber auch, dass noch nie ein Mensch versucht hat da durchzugehen!", beschwerte sich Ferdale. Effi musste wider Willen grinsen.

„Gibt es ein solches Tor auch mit einer Verbindung in unsere Welt?", unterbrach sie die Diskussion der Beiden. Ferdale sah sie an und seine Miene hellte sich auf.

„Nein", mischte sich Sukan ein. Seine Ungeduld stand ihm ins Gesicht geschrieben. Wäre es nach ihm gegangen, wären sie schon vor einer Stunde aufgebrochen.

„Keines, von dem wir wissen", korrigierte Koshy. „Auch dieses hier ist nur wenigen bekannt. Es ist verboten durch Tore zu reisen. Man fürchtet, dass dadurch Risse entstehen, die die Stabilität der Welten gefährden könnten."

„Ach? Und warum reisen wir dann da durch?"

„Weil wir es eilig haben", behauptete Sukan stur, doch Effi sah die Zweifel in seinem Blick. Er verbarg es gut, aber nicht gut genug. Auch Koshy wirkte unsicher.

„Unsere Mission duldet keinen Aufschub. Ohne Sukans Erfahrung würde ich den Weg hierdurch niemals beschreiten. Doch ich fürchte, wir haben keine Wahl. Der Serafin verlässt sich auf uns."

„Du weißt doch gar nicht genau, was der Serafin von uns will."

„Ich..."

Ein Dröhnen vibrierte durch die Welt, die Erde bebte und als Effi in Koshys aufgerissene Augen sah, wusste sie, dass etwas Mächtiges im Gange war. Das Vibrieren fuhr durch ihren Körper, ließ ihre Haare zu Berge stehen und verursachte eine Gänsehaut, deren Ursache sie nicht benennen konnte. Doch es war kein schlechtes Gefühl, befand sie überrascht.

„Was zur Hölle...?", begann Ferdale, unterbrach sich dann aber selbst, als das Tor vor ihnen sich zu bewegen begann.

„Scheiße!", fluchte Sukan ungeniert.

„Was...?"

„Rein da, jetzt sofort, oder wir verpassen unsere Chance!"

Effi sah zu Koshy. Doch der Junge schien dem Tor keinerlei Aufmerksamkeit zu schenken. Er starrte mit Tränen in den Augen zum Himmel, wo Nort einen rauen Schrei ausstieß. Nort, von dessen kleiner fedriger Brust ein Glühen ausging, das den ganzen Himmel beleuchtete.

„Was ist passiert?", fragte Effi ehrfürchtig, während das Dröhnen um sie herum langsam zu einem sanften Summen abflaute, das durch die Welt vibrierte, über ihre Haut strich und ihren Magen hüpfen ließ.

Die Raben des KönigsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt