Sam nahm kaum wahr, welchen Weg sie nahmen. Er folgte seinem König durch die Flure, durch unscheinbare Türen, den Garten, über Mauern, durch dunkle Straßen, bis hinab auf die Weide, die sie erst am Nachmittag so euphorisch hinter sich gelassen hatten. Doch seine Gedanken waren bei den Geschehnissen im Thronsaal. Nicht nur die Krieger, die aussahen wie Gardisten, nein, es waren vor allem die Worte, die gefallen waren, die ihm keine Ruhe ließen. Erst als er auf seinem Pferd saß und inmitten der Männer in die Nacht hinaus preschte, wurde ihm bewusst, was daran nicht stimmte. Er suchte nach dem kleinen sommersprossigen Gesicht und dem dunklen Haarschopf und fand das Mädchen vor Jack im Sattel sitzen und ruhig vor sich hindösen. Sie hatte keinen Mucks gemacht während der Szene im Thronsaal und auch nicht danach. Kein Funke. Im Gegenteil. Sam lenkte sein Pferd an Erics Seite.
„Eric", versuchte er die Aufmerksamkeit des Soldaten zu gewinnen. „Der Hauptmann würde den König niemals aus den Augen lassen. Erst recht nicht, solange er verletzt und geschwächt ist", machte er seinen Bedenken Luft. Eric grinste ihn an.
„Du bist wirklich nicht auf den Kopf gefallen, Junge", bemerkte er und trieb sein Pferd zur Eile.
„Und was bedeutet das?", rief Sam ihm hinterher und bemühte sich mit seinem Tempo Schritt zu halten. Er hatte in den letzten Wochen zwar auch das Reiten gelernt, aber ein Galopp durch die Nacht war etwas anderes als ein ruhiger Trab über den Übungsplatz.
Eric zuckte nur die Schultern.
„Wir werden es hoffentlich bald erfahren", behauptete er und schloss zum König auf. Sam blickte ihm nach und konnte seine Sorglosigkeit nicht teilen.
Sie ritten die ganze Nacht durch. Solange bis in den frühen Morgenstunden der König beinahe aus dem Sattel fiel. Doyle war sofort bei ihm und fing ihn ab.
„Er braucht eine Pause", sagte er und schob sich kommentarlos zu Taos in den Sattel, um ihn zu stützen, während Efraim nach den Zügeln seines Pferdes griff. Taos hob noch nicht einmal den Kopf, doch selbst Sam konnte seine Worte hören.
„Noch nicht. Zu viel offenes Feld. Wir brauchen mehr Deckung, bevor die Sonne aufgeht."
Zu Sams Überraschung widersprach keiner. Doyle packte den König fester und rammte seinem Pferd die Hacken in die Flanke. Mehr war nicht nötig und sofort fiel die Gruppe wieder in einen schnellen Galopp.
Kurz nach Sonnenaufgang löste Eric Doyle im Sattel des Königs ab.
„Er hat bereits zweimal das Bewusstsein verloren", sagte Doyle und Eric nickte.
„Die Felsformationen sind schon seit der Dämmerung erkennbar. Es ist nicht mehr weit."
„Weit genug, um ihn umzubringen?", schob Efraim dazwischen und Eric warf ihm einen bösen Blick zu. Ohne ein weiteres Wort lenkte er sein Pferd zurück auf den Pfad und setzte sich an die Spitze. Die Männer folgten ihm schweigend.
Sam beobachtete sie, jetzt, wo es hell genug war. Er sah die Sorge in ihren Augen und wusste: Etwas machte ihnen zu schaffen. Und es waren nicht nur die Worte, die im Thronsaal gefallen waren, nein, es war diese Flucht – sie war ganz offensichtlich anders geplant gewesen.
Als sie endlich die ersten Ausläufer der Haman Formationen erreichten, sprang Doyle noch im Ritt aus dem Sattel. Eric riss an den Zügeln und einen Moment später hatten sie den König auf dem weichen Moos abgelegt.
„Sichere die Umgebung", befahl Vornhard und Marvin verschwand mit einem Nicken im Gebüsch.
Taos atmete schwer, doch er war bei Bewusstsein. Eric stieß einen erleichterten Seufzer aus.
„Das war das erste und letzte Mal, dass der Hauptmann uns in die Scheiße reitet."
„Mit ihm wäre der Weg auch nicht kürzer gewesen", bemerkte Jack, der gerade Aurora aus dem Sattel hob. Sie gähnte herzhaft und näherte sich dann vorsichtig der Gruppe um den König.
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Die Raben des Königs
خيال (فانتازيا)Aric hat seine Aufgabe als Hauptmann der königlichen Leibgarde angetreten. Seine Männer eine unverbrüchliche Einheit aus Loyalität und tödlicher Präzision. Doch das Leben am Hofe lässt sich nur schwer mit seinem Wesen vereinbaren. Auch Taos kämpft...