Kapitel 88

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Lucius stemmte sich gegen die glühende Hitze, die von Annas Seele ausging. Jeder Schritt in ihre Richtung war so anstrengend wie eine Gipfelbesteigung. Sein Atem rasselte, sein ganzer Körper schrie und in seinen Händen erzitterte Arics Seele unter den Qualen. Doch noch hatten sie es nicht geschafft. Noch war da diese unsichtbare Barriere, Annas Schutzschild, so hart und undurchdringlich, dass es ihm unmöglich schien ihn zu überwinden. Während er fieberhaft überlegte, regte sich die fremde Seele in ihm.

Ich kann sie spüren stöhnte Aric und Lucius warf einen besorgten Blick auf das kleine pulsierende Licht, das von ihm ausging.

Das ist ihre Magie. Sie ist noch viel stärker, als ich es in Erinnerung hatte. Und ihre Barrieren sind unüberwindbar, antwortete er frustriert. Doch Aric ließ sich nicht beirren.

Nicht ihre Magie. Ich spüre Anna. Ihre Liebe, ihre Angst, ihren Schmerz. Dort ist keine Barriere. Nicht für mich.

Lucius dachte nach, jeder Gedanke so zäh wie Honig. Die Anstrengung forderte bereits ihren Tribut. Lange würden sie es beide nicht mehr durchhalten. Mit einem tiefen Seufzen wandte er sich schließlich wieder Aric zu.

Was ich auch versuche, ich finde keinen Weg hinein. Aber ich könnte dich direkt bis zur Barriere bringen, dich mehr oder weniger hindurchschleudern. Doch wenn ich das tue, gibt es für dich keinen Weg zurück, Aric. Es sei denn es gelingt dir, Anna zur Vernunft zu bringen. Denn, wenn ich nicht mit dir hineingehe, kann ich dich auch nicht wieder mit zurücknehmen.

Aric schwieg einen Moment, der Lucius wie eine Ewigkeit vorkam. Die Barrieren des Kriegers waren längst verschwunden, die Ränder seiner Seele glühten, die ersten verbrannten Fetzen flogen auf einem unsichtbaren Wind davon...

Tu es, sagte Aric endlich und Lucius zögerte nicht. Mit einer letzten Kraftanstrengung warf er sich Annas Macht entgegen und schleuderte Arics Seele von sich – mitten hinein in das Inferno, das in so quälend zu verzehren versuchte. Die Verbindung zwischen seiner Seele und der des Kriegers wurde dünner, dehnte sich bis zu Zerreißen. Dann durchzuckte Schmerz all seine Sinne. Schmerz so heiß und glühend wie ein Blitzschlag. Instinktiv zuckte Lucius zurück und glitt in die kühle Dunkelheit seiner selbst, fort von Annas Seele, fort vom Inferno ihrer Macht. Er schnappte keuchend nach Luft, versuchte sich zu orientieren, tastete nach der Verbindung zu Aric. Doch Aric war verschwunden und der Schmerz mit ihm.


Anuba sah, wie der Magier zusammensackte. Sein Atem rasselte, seine Hand, die Arics eng umfasst hatte, lockerte sich, griff wieder zu, tastete und fiel dann kraftlos zu Boden. Hinter ihr erklang ein leises Schniefen. Anuba drehte sich um. Erst jetzt bemerkte sie die Herzogin, die auf einem Sessel im Schatten des Feuerscheins am Kamin saß und sich die Tränen von den Wangen wischte. Neben ihr stand ein Fremder. Ein Fremder mit grauem Haar und ernstem Gesicht, bei dessen Anblick die Erde in ihr lauter sang. Er grüßte sie mit einem höflichen Nicken, doch noch bevor sich Anuba Gedanken machen konnte, stöhnte Lucius hinter ihr erneut auf. Sie fuhr herum. Oliver kniete neben dem jungen Mann, dessen Lider sich langsam hoben. Sein Kopf drehte sich zu Aric, seine Hand griff wieder nach ihm, hielt ihn fest.

„Viel Glück, Aric", flüsterte er rau.

Dann war Leila bei ihm und nahm sein Gesicht in beide Hände.

„Geht es dir gut?", fragte sie aufgelöst. Er sah sie nur an. Dann schloss er mit einem erschöpften Seufzen die Augen.


Aric hatte gedacht, er wüsste, was Schmerz bedeutet. Er hatte gedacht, er könne alles ertragen, alles erdulden, um Anna zu retten. Doch als Lucius ihn in die brennende Sonne vor sich warf, als er in dieses Glühen eindrang, da wusste er im Bruchteil einer Sekunde, dass er sich geirrt hatte. Das Feuer drang in seine Seele und brach sie auf wie glühende Lava, die einen Vulkan sprengt. Sie fraß ihn auf, zerfetzte ihn. Mühsam klammerte er sich an einen letzten Gedanken. Das Eine, das seine Existenz rechtfertigte, wofür er lebte und kämpfte: Anna. Er schrie ihren Namen regelrecht heraus. Das Wort verschlungen von den Fluten der Macht, die ihn in Stücke riss.

Die Raben des KönigsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt