Kapitel 19

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Sam schlug die Augen auf und lächelte verschlafen. Im nächsten Augenblick fuhr er erschrocken auf. Henna brummte etwas entrüstet, als er aus dem Bett sprang und dabei die Decke mit sich riss. Er murmelte eine Entschuldigung, drückte ihr einen Kuss aufs Haar, nahm die Stiefel unter den Arm und spurtete davon. Gerade als er die Tür erreichte, schlug sie ihm entgegen. Sam taumelte zurück und Nora starrte ihn verdutzt an. Dann veränderte sich ihre Miene, doch Sam wartete nicht ab. Er duckte sich unter ihrem erhobenen Arm hindurch und rannte um sein Leben. Hinter sich hörte er Nora brüllen, ihre Stimme schraubte sich immer höher.
„.Saam! Komm zurück du... dass du es wagst, dich hier blicken zu lassen...!"

Er blieb nicht stehen, schaute nicht zurück, bis er sicher vor seiner Tür in der Kaserne angekommen war. Er stürzte sich hinein und ließ sich auf der anderen Seite dagegen sinken. Die Stiefel landeten achtlos auf dem Boden und Sam lachte und rang nach Atem und lachte wieder, bis ihm der Bauch wehtat. Irgendwann rappelte er sich auf, wischte sich die Tränen von den Wangen und machte sich auf ins Bad. Danach fühlte er sich so gut wie schon lange nicht mehr.

Das Grinsen schien ihm ins Gesicht gemeißelt und als er die Wachstube betrat, runzelte Jack neugierig die Stirn. Es war noch früh und außer ihm saß niemand an dem großen Tisch. Sam wünschte ihm einen guten Morgen und griff hungrig nach Brot und Käse. Dann schenkte er sich selbst und Jack Tee nach und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Jack starrte auf seine Tasse, dann auf Sam.
„Hab ich was verpasst?", fragte er argwöhnisch.
„Wieso? Darf man hier keine gute Laune haben?", fragte Sam zurück. Die Worte gingen ihm leicht und ungehindert von den Lippen. Einen Moment war er selbst überrascht, dann zuckte er die Schultern. Er biss in sein Brot und kaute zufrieden vor sich hin. Eric stolperte zur Tür herein, wenig später Lane, brummig wie jeden Morgen, dann Marvin und Doyle, die beiden Gardisten, die an jenem verhängnisvollen Nachmittag für Sam den Küchendienst gemacht hatten und die er in den letzten zwei Wochen als sehr unterhaltsame Gesellen zu schätzen gelernt hatte. Sie rochen nach Regen und frischer Luft und ließen die matschigen Stiefel an der Tür zurück. Marvin grinste Sam an.
„Nora hat das halbe Schloss aufgeweckt, Sam, das ist dir schon klar, oder?", sagte er und ließ sich neben ihn fallen. Er nahm einen Schluck aus Sams Teetasse und griff nach dem Käse.
„Der Appetit scheint ihm dadurch nicht vergangen zu sein", bemerkte Doyle, der zu dem gusseisernen Ofen in der Ecke gelaufen war und neues Teewasser aufsetzte.
Sam verschluckte sich fast an seinem Brot, als ihm klar wurde, dass die Beiden Wachdienst gehabt hatten.
„Ihr wart auf der Mauer", brachte er zwischen zwei Hustern hervor.
Doyle grinste wissend.
„Beeindruckend, dass du es geschafft hast, zumindest in deine Hose zu steigen, bevor du dich davongemacht hast. Zugegeben, Henna ist ein Prachtmädchen..."
„Warte, warte, wovon redet ihr, zum Teufel?", mischte Jack sich ein.
„Davon, dass der junge Samuel offenbar weiß, seine Freizeit zu nutzen", brummte Eric amüsiert, der bereits seine Schlüsse aus der Unterhaltung gezogen hatte. „Binde das bloß nicht dem Hauptmann auf die Nase, sonst war es das letzte Mal, dass er dir frei gibt."
Sam stieg die Röte ins Gesicht und er nickte eifrig. Eric schüttelte grinsend den Kopf.
„Hey, erklärt mir mal einer, was hier läuft?", verlangte Jack erneut und Marvin beugte sich mit einem Zwinkern zu ihm hinüber.
„Du solltest aufpassen, was du heute isst, Jack. Nora hat Sam in flagranti im Bett ihrer Küchenmagd erwischt."
Jack öffnete den Mund, schloss ihn wieder, doch nichts kam heraus.
„Jack sprachlos, na das ist mal was Neues", lachte Marvin. Hinter ihm ging die Tür auf und eine völlig zerschlagene Effi tastete sich in den Raum. Marvins Lachen verstummte.
„Autsch", murmelte er.

Doyle zog Effi einen Stuhl heran und verzog mitfühlend das Gesicht, als sie sich mit einem leisen Stöhnen darauf niederließ.
„Alles noch dran, Effi?", fragte Eric und schob ihr eine Tasse Tee zu.
„Du solltest mal den anderen sehen", brummte sie. Eric lachte auf.
„So gern ich glauben würde, dass es den Hauptmann auch nur in den Armen zwickt, nachdem er erst den König hat tanzen lassen und dann Efraim und dich in den Matsch geprügelt hat – ich denke wir alle wissen es besser."
„Ich hab ihn zweimal erwischt", sagte Effi zufrieden. „An der Schulter und am Arm."
Jack schnaubte ungläubig. Eric runzelte die Stirn.
„Ehrlich!", behauptete Effi.
„Sie ist noch im Delirium. Kein Wunder", sagte Doyle und stellte den frisch aufgebrühten Tee auf den Tisch.
„Sie hat Recht", kratzte eine Stimme von der Tür her und alle wandten sich um. Efraim war so lautlos gekommen, dass niemand ihn bemerkt hatte. Er sah noch schlimmer aus als Effi. Sam schluckte. Efraim lief um den Tisch herum, klopfte Effi auf die Schulter und ließ sich auf die Bank fallen.
„Ich dachte selbst, ich seh nicht richtig. Aber sie hat Recht. Finja kann es bezeugen. Den Hauptmann würde ich lieber nicht darauf ansprechen. Danach hat er sie so fertig gemacht, dass ich einen Moment dachte, er bringt sie um."
„Effi...", flüsterte Jack ehrfürchtig. Effi zuckte die Schultern, verzog dann aber gequält das Gesicht, als ihre Muskeln dagegen protestierten.
„Puh", stöhnte sie und nippte an ihrem Tee.

Die Raben des KönigsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt