Kapitel 26

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Der Siliere lag noch immer regungslos in seinem Bett, seine Brust hob und senkte sich schwach. Der Rabe thronte am Kopfende über dem blassen, sommersprossigen Gesicht und döste. Efraims Blick fiel auf den König, der in einem Stuhl neben dem Bett saß und sich die Schläfen massierte. In diesem Moment wirkte er mehr denn je wie ein alter Mann. Der Hauptmann schloss die Tür und begann im Zimmer auf und ab zu laufen. Efraim fragte sich gerade, in was für einer Situation er sich hier befand, als der Hauptmann zu sprechen begann.
„Die Wetterphänomene breiten sich aus. Die Störung in den Elementen scheint direkte Auswirkungen auf die Magier zu haben. Was kannst du mir darüber sagen?"
Efraim runzelte die Stirn.
„Auswirkungen inwiefern?", hakte er nach.
„Ein Anfall gefolgt von anhaltender Verwirrtheit und Schwäche. Der Bericht war nicht sehr ausführlich."
Efraim überlegte.

„Es gibt einige Aufzeichnungen. Angefangen beim Angriff durch das Nichts vor 9 Jahren. Es nährte sich von Energie, Lebensenergie, und im Falle der Magier von ihrer Kraft. Es schwächte sie, brachte sie aus dem Gleichgewicht. Deshalb ist der Schutzschild um Zenon während der Schlacht so abrupt in sich zusammengefallen. Das Nichts hat seine Kraft einfach verschluckt. Die Schwäche ließe sich dadurch erklären, Verwirrtheit allerdings nicht", erklärte er und kramte in seinen Erinnerungen. Der Hauptmann nickte und bedeutete ihm fortzufahren.

„Inwiefern die Elemente die Magier beeinflussen, ist schwer zu sagen. Sie unterscheiden sich von den Menschen vor allem dadurch, dass sie die Magie der Elemente spüren und ihren Lauf verändern können. Die Magie muss auch eine direkte Verbindung zu ihrer Lebenskraft haben, wenn man bedenkt wie alt sie werden können. Außerdem sind sie sehr empfindlich für die Schwingungen zwischen den Elementen. Es gibt eine Passage, die beschreibt, die Magier, die das Nichts bekämpften, folgten einem Ruf. Etwas, dem sie sich willentlich kaum widersetzen konnten, ein regelrechter Zwang dorthin zu kommen, wo der Kampf der Mächte tobte. Möglich also, dass Störungen in den magischen Strömungen auch ihren Geist beeinflussen."

Wieder nickte der Hauptmann nur und wartete darauf, dass er fortfuhr. Efraim holte tief Luft. Es gab noch etwas, worüber er in den letzten Tagen viel nachgedacht hatte. Etwas, das er nicht hatte erwähnen wollen, bevor er sich sicher war. Doch nun musste der Hauptmann wohl selbst entscheiden, was er damit anfing.
„Als die schwarze Königin regierte und die Welt unter ihr brannte, waren die Magier die Einzigen, die sich ihr nicht entgegenstellten. Menschen und Silieren haben sie bekämpft, doch keiner der Magier hat auch nur Interesse an dem Konflikt gezeigt. Sie haben einfach zugesehen, wie die Königin auf der Welt wütete. Alle, ohne Ausnahme. Das ist schon bemerkenswert. Als würden sie von der Königin irgendwie beeinflusst. Ich habe viel darüber nachgedacht. Damals brach Dunkelheit über das Land, Stürme und Unwetter zerstörten ganze Ernten, Flüsse traten über die Ufer, überschwemmten Siedlungen und Städte und brachten Krankheit und Tod. Die Beschreibungen entsprechen nicht ganz dem, was wir im Moment erleben, doch sie sind alt. Die Überlieferungen über die Jahrhunderte könnten sie verändert haben. Ich kann nicht umhin die Parallelen zu sehen. Nur dieser kranke Magier passt nicht ins Bild. Es sei denn er hat versucht sich gegen etwas zu wehren, das in seiner Natur liegt. Möglicherweise sich einer Unterwerfung seines Geistes zu widersetzen. Das würde seine Verwirrung erklären. Aber davon abgesehen – was, wenn all diese Wetterphänomene einen Ursprung haben? Was, wenn der Serafin sich anschickt, wieder zu einer schwarzen Königin zu werden?"

Stille folgte seinen Worten. Dann stöhnte der König leise auf.
„Was zur Hölle hast du ihm zu lesen gegeben?", fragte er vorwurfsvoll. Der Hauptmann reagierte nicht. Er starrte ins Leere.

„Aric!", machte der König auf sich aufmerksam und der Blick des Hauptmanns klarte auf. Langsam wandte er sich seinem König zu.
„Sie hat keinen Grund zu einer schwarzen Königin zu werden, Taos", sagte er leise.
„Das weißt du nicht. Wir wissen nicht, in welchen Schwierigkeiten sie steckt, nicht wahr? Die Boten kehren nicht zurück, wir wissen ja noch nicht einmal, wo sie sich aufhält. Wir. Wissen. Es. Nicht!"
„Sie ist vernünftig", beharrte der Hauptmann.
„Sie ist außerdem extrem emotional. Oder hast du vergessen, wie sie das Riesengebirge ins Wanken brachte, als sie das Wasser gemeistert hat?"

Der Hauptmann zuckte zusammen. Efraim blinzelte, doch er hatte sich nicht geirrt. Er war zusammengezuckt und in seinen Blick trat etwas, das Efraim dort noch nie gesehen hatte: Angst. Er schauderte.

„Damals hatte sie sich nicht unter Kontrolle", knurrte der Hauptmann. „Heute ist das anders."
„Woher willst du das wissen, Aric? Sie ist der Serafin zum Kuckuck! Willst du dir etwa anmaßen diese Macht zu verstehen?"
Der Hauptmann sah seinen König an und diesmal war es Taos der zusammenzuckte.
„Was willst du, dass ich tue, Taos? Deine Armeen losschicken, um sie zu finden? Glaub mir, nichts würde ich lieber tun, aber ich kann die Stadt nicht entblößen, ich werde deine Sicherheit nicht aufs Spiel setzen."
„Wenn sie sich anschickt diese Welt zu zerstören, nützen mir auch die Truppen in der Stadt nichts. Es geht hier nicht mehr um meine Sicherheit, sondern um die eines ganzen Landes, einer ganzen Welt", wandte der König ein.
„Ich kenne sie, Taos. Sie würde niemals eine Welt zerstören, in der du noch leben musst!"

Seine Worte wirkten wie eine kalte Dusche auf den König. Efraim aber wagte kaum zu atmen. Sein Blick glitt erstaunt zwischen den beiden Männern hin und her. Seine Bücher erzählten von alles durchdringender Macht, von Gleichgewicht, von Leben, ja sie erzählten auch die Geschichte einer Königin – vor langer Zeit – doch was die Männer da andeuteten, übertraf sein Wissen und all seine Erwartungen: Er hatte nie an der Realität dieser Macht gezweifelt, aber sein Hauptmann und sein König sprachen von ihr wie von einer gewöhnlichen Frau, mit Gefühlen und Fehlern – eine Frau, die sie offensichtlich nicht nur sehr gut kannten, sondern die sich ihnen auch verbunden fühlte? Efraims Herz schlug schneller. Er konnte seine Neugier kaum im Zaum halten. Als Taos wieder sprach, zitterte seine Stimme.

„Warum kommt sie dann nicht und sagt mir das selbst?", fragte er leise.
Aric seufzte.
„Wenn sie sich hier blicken ließe, würde es dich zur Zielscheibe machen und das weißt du. Deine Situation ist schwierig genug, so wie sie ist."
Taos schüttelte den Kopf, widersprach aber nicht.
„Ich kann sie nicht verlieren, Aric."

Der Hauptmann musterte seinen König lange. Schließlich seufzte er leise.
„Noch ist die Welt nicht untergegangen. Und solange wir nicht mehr wissen, werden wir nicht blind Truppen entsenden. Es könnte ein großer Fehler sein, die Stadt zu entblößen. Schwarze Königin hin oder her, es gibt genug menschliche Feinde, die sich eine solche Situation zunutze machen könnten", sagte er wieder ruhiger.
„An Tagen wie diesen ist diese Krone mehr als eine Last", stöhnte der König nur.
„Und dennoch trägst du sie mit Würde. Dein Volk weiß das. Und es liebt dich dafür", kam Arics Antwort unerwartet weich. Taos sah seinen Hauptmann überrascht an.
„Wer setzt dir denn solche Flöhe ins Ohr?", konnte er sich nicht verkneifen. Aric zuckte die Schultern.
„Frag meinen jüngsten Rekruten. Er gibt hin und wieder sehr weise Dinge von sich. Man möchte kaum glauben, dass er erst 16 Jahre alt ist."


Die Raben des KönigsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt