Kapitel 80

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Effi rieb sich die steifgefrorenen Glieder. Seit sie den See der Nymphen verlassen hatten, war die Reise von Tag zu Tag beschwerlicher geworden. Sukan hatte erklärt der Weg durch die Narbe sei zu gefährlich, da er sich zum einen durch die Verschiebung des Gleichgewichtes verändert haben könnte und zum anderen die Macht der Seele des Serafin möglicherweise einen unvorhersehbaren Effekt darauf auswirkte. Effi war zwar nicht scharf auf einen weiteren Gang durch dieses Tor, aber sie musste zugeben, dass der Zeitverlust, den sie dadurch in Kauf nahmen, sie nervös machte. Mit diesem Gefühl war sie glücklicherweise nicht allein und so waren sie Tag und Nacht auf den Beinen, rasteten nur kurz und schliefen abwechselnd auf den Rücken der Reittiere, die Sukan ihnen besorgt hatte. Vor einigen Tagen hatten sie die Tiere gegen ein Boot eingetauscht und obwohl Effi nicht leicht seekrank wurde, war es eine Herausforderung mit der kleinen Schaluppe über den unruhigen Ozean zu segeln und dabei die Füße unter sich zu behalten. Das Boot, das Sukan ausgewählt hatte, weil es theoretisch von zwei Männern gesegelt werden konnte, war ganz bestimmt nicht hochseetauglich. Trotzdem waren sie ohne Widerrede zugestiegen und hatten sich in die Riemen gelegt, wann immer der Wind ihnen den Dienst versagte. Leider geschah das viel zu oft. Koshy erklärte, das habe mit der Ermordung der Windlinge und dem Verlust des Elementes zu tun. Also ruderten sie und aßen und schliefen abwechselnd. Effi verlor jedes Gefühl für Zeit, ihre Glieder schmerzten von der ungewöhnlichen Belastung, sie war müde und erschöpft.

„Was denkst du, wie es den anderen gerade ergeht? Ob seine Majestät sich erholt hat?", fragte sie Ferdale um sich abzulenken. Ferdale hob den Blick, während er mit scheinbar unermüdlicher Kraft sein Ruder durch die Wellen zog.

„Ich weiß es nicht", gestand er. „Wenn Koshy Recht hat und dieser dunkle König mit der Seele des Nichts mordend durch unser Land zieht, ist es nur eine Frage der Zeit bis er Abeno erreicht. Und wenn man bedenkt, was er mit den Windlingen getan hat..."

Er verstummte und Effi wandte den Blick bekümmert hinaus auf die Wellen.

„Der Hauptmann wird nicht zulassen, dass die Stadt ihm zum Opfer fällt", sagte sie, doch ihre Worte klangen selbst in ihren eigenen Ohren nicht überzeugend.

„Er wird zumindest nicht zulassen, dass Taos ihm zum Opfer fällt", korrigierte Ferdale und Effi hörte, was er nicht aussprach. Wenn der Hauptmann die Stadt nicht retten konnte, würde er all seine Kräfte darauf konzentrieren den König zu schützen. Und wenn er das tat, war Abeno verloren. Abeno und Ferdales Sohn Jason, der in der Stadt lebte.

„Weiß der Hauptmann von deiner Familie?", fragte sie behutsam. Ferdale zuckte zusammen, sie sah wie seine Finger sich am Ruder anspannten, dann stieß er bebend die Luft aus und nickte.

„Was ist mit den anderen? Vielleicht werden sie Jason helfen."

„Sie alle haben ihren Eid dem König geschworen, Effi. Auch ich. Wenn es hart auf hart kommt, geht seine Majestät vor."

Effi kniff die Lippen zusammen.

„Also wissen sie es?", hakte sie noch einmal nach.

„Finja und Eric wissen es. Und Lane."

Finja und Eric, die am längsten dabei waren. Und Lane, der die Stadt und seine Bewohner besser kannte als jeder andere. Effi vermutete, dass Ferdale es ihnen nicht erzählt hatte. Sie waren wahrscheinlich selbst darauf gekommen.

„Warum hältst du ihn geheim? Vertraust du uns nicht?"

Ferdale schnaubte.

„Ich halte es geheim, weil er nicht weiß, dass ich sein Vater bin!"

Effi starrte ihn an.

„Warum nicht?", brachte sie nur hervor.

„Seine Mutter war eine von vielen. Eine der Hofdamen, die sich mit mir die Zeit vertrieben – und ich mit ihnen. Ich habe sie nicht geliebt und sie mich auch nicht. Es war..." Er schüttelte nur den Kopf. „Als sie erfuhr, dass sie schwanger war, hat sie sich darum gekümmert. Auf ihre Art. Sie hat den nächstbesten geheiratet, der sich darauf eingelassen hat. Ich hatte Glück im Unglück. Er ist ein anständiger Kerl. Und er erlaubt mir den Kontakt – unter der Bedingung, dass ich dort nur als Freund der Familie aufschlage. Nicht mehr und nicht weniger. So kann ich ihn zumindest sehen. Aber das Recht und die Verantwortung des Vaters stehen mir nicht zu."

Die Raben des KönigsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt