Kapitel 15

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Die Flammen schossen in den Himmel, ein Sturm aus gelb und rot, heiß, verzehrend, unberechenbar – genauso wie das Mädchen, das in seiner Mitte stand.

„Zügle dein Feuer, Aurora!", schalt sie der Magier streng, doch das Mädchen lachte nur.

„Aber es ist so schön!", rief sie und hob die Arme in den Himmel. Die Flammen begannen sich zu bewegen, sich um das Mädchen zu winden wie ein Wirbelsturm – eine Windhose gemacht aus Feuer. Saronn fluchte.

„Ich sag es nicht noch einmal", brauste er auf, als das Feuer plötzlich erstarb. Von einem Augenblick auf den anderen war da nichts, kein Funke, kein Rauch – und keine Luft zum Atmen. Aurora fasste sich an die Kehle, Tränen traten in ihre Augen. Dann waren da Hände auf ihrem Gesicht, grüne Augen blickten in ihre Schwärze und einen Wimpernschlag später füllte rettende Luft ihre Lungen. Aurora begann leise zu weinen, während Anna sie sanft in die Arme zog. Ihre Haut war kalt auf der Glut, die ihre Tochter erfüllte. Glut die langsam in sie hineinsickerte, sie wärmte, ihren Atem ruhiger werden ließ. Anna unterdrückte ein erleichtertes Stöhnen, als sie ihre Glieder wieder zu spüren begann. Der Weg auf den kleinen Hügel vor der Burg hatte ihr fast alle Kraft geraubt.

„Dein Feuer ist mächtig, Aurora, es ist stark, so stark wie du selbst. Deshalb kennt es keine Grenzen, es will wachsen, so wie du, immerzu. Du bist die Einzige, die es kontrollieren kann, nur du allein."

„Es will nicht kontrolliert werden", schniefte Aurora. „Es will frei sein."

„Ich weiß, mein Engel. Das liegt in seiner Natur. Aber du bist nicht nur aus Feuer gemacht. Du trägst auch Erde in dir, so wie dein Vater. Sie kann dein Feuer zügeln, du musst es ihr nur gestatten."

„Aber..."

„Feuer kann vernichten und verletzen. Nur wenn du lernst es zu beherrschen, kannst du ihm Freiheit gewähren ohne andere zu gefährden."

Kleine Flammen züngelten an Auroras Fingerspitzen, ihr Schein reflektierte in den glänzenden schwarzen Augen. Anna lächelte ihre Tochter an.

„Ich denke, wir können alle eine kleine Pause vertragen. Wieso läufst du nicht in die Küche und besorgst uns was Süßes?", schlug sie dem Mädchen vor, deren Augen sofort zu strahlen begannen. Sie wischte die Tränen mit dem Ärmel fort und rappelte sich auf. Ein letztes Schniefen, dann lief sie bereits hinab zur Burg.

Anna sah ihr lächelnd hinterher.

„Du verwöhnst sie zu sehr. Auf diese Weise wird sie es niemals lernen!", brummte Saronn ungehalten. Anna zuckte nur mit den Schultern.

„Sie ist erst acht. Sie hat noch Zeit es zu lernen. Mit ihrem Verstand wird auch ihre Magie reifen."

„Hoffen wir, dass bis dahin die Burg noch steht!"

„Krieg dich wieder ein, Saronn."

Saronn schnaubte, beließ es aber dabei. Sie hatten beide gelernt ihre Zungen zu zügeln.

„Du siehst nicht gut aus. Wie fühlst du dich?"

„Ich bin noch hier", erwiderte sie, ihre Stimme kratzte durch ihre raue Kehle, dicht gefolgt von einem Husten, der ihr die Tränen in die Augen trieb. Blind streckte sie die Hände nach Saronn aus, der sein Feuer durch ihre Venen brausen ließ. Wie Wellen gegen eine Klippe schlug es gegen ihr Inneres, durchbrach die Kälte, zerfetzte den Nebel. Anna schloss einen Moment die Augen, dann sah sie Saronn dankbar an. Der nickte nur. Sie ließ sich mit einem Seufzer ins Gras sinken und blinzelte in den blauen Himmel.

„Der Nebel verdichtet sich, Saronn. Ich bin blind wie ein Fisch. Mein Geist gefangen, wie geknebelt. Es macht mich wahnsinnig!"

„Dieser Nebel, woher kommt er?"

Sie schloss die Augen, unterdrückte die Tränen, die sich unter ihre Lider stahlen.

„Zu viele Windlinge sind gestorben, mit jedem verlorenen Leben versiegte die Kraft der Quelle ein wenig mehr. Mein Zugang zum Wind schwindet! Meine Macht dringt nicht mehr zu ihnen durch. Vielleicht sperren sie mich aus, ich habe ihnen gegenüber schrecklich versagt. Ich habe sie im Stich gelassen, Saronn."

Saronn seufzte. Der Angriff auf die Windlinge war eine Tragödie.

„Hast du schon Nachricht von Koshy?", wechselte er das Thema.

„Ich weiß noch nicht einmal, ob mein Ruf ihn erreicht hat. Ich habe Warnungen durch alle Elemente geschickt. Jeder mit nur einem Tropfen Magie im Blut, wird sie zu deuten wissen. Auch Koshy. Ich kann nur hoffen, dass sie sich vorbereiten, dass sie sich schützen – denn ich kann es nicht mehr."

Saronn schwieg einen Moment betroffen. So niedergeschlagen, so hoffnungslos hatte er sie noch nie erlebt.

„Was ist mit Aric? Er hat dir schon einmal geholfen deinen Fokus wiederzufinden", fragte er dann widerwillig. Aric zu involvieren, barg ein großes Risiko. Am liebsten wäre es ihm gewesen, Anna wäre dem Krieger nie begegnet. Er beeinflusste ihr Gemüt – nicht immer zum Positiven. Die Liebe zu ihm machte sie schwach – und unberechenbar. Saronn hasste es. Sie gerieten regelmäßig darüber in Streit. Doch so sehr er den Einfluss des Kriegers auf Anna kritisierte, er konnte ihn nicht leugnen. Und gerade jetzt konnte er vielleicht helfen. Doch Anna schüttelte den Kopf.

„Ich habe ihn sträflich vernachlässigt in den letzten Tagen, aber meine Macht ist so schwer greifbar. Sie entgleitet mir immer mehr. Mein Geist schwimmt, Saronn, ich..."

Anna stockte mitten im Satz, ihr Inneres verkrampfte, gefror, die Verzweiflung schlug eisige Klauen in ihr Herz.

„Anna?"

„Mach das es aufhört, Saronn", flüsterte sie nur.

Die Raben des KönigsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt