Kapitel 94

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Hektisch rannte ich durch die ganze Wohnung. Schlafzimmer, Badezimmer, Wohnzimmer. Dabei murmelte ich die ganze Zeit "Das ist Zufall. Alles ist gut. Nicht aufregen.", vor mich hin und vergaß völlig, dass Erik ja auch noch da war. Er hatte eine Hand in die Hüfte gestemmt und mit der anderen kratzte er sich an der Stirn. Oder er zeigte mir einen Vogel. Hm, egal.
Auf seiner Stirn stand jedenfalls ein einziges Fragezeichen. Okay, das konnte ich ihm auch nicht verdenken, schließlich hatte ich heftige Stimmungsschwankungen und schrie ihn an, um kurz darauf wie eine Irre herumzurennen.
Ich ging zu ihm, stellte mich auf die Zehenspitzen und drückte ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen. "Mach dir keine Gedanken", sagte ich, "und vergiss das, was ich eben gesagt habe; es tut mir leid. Wirklich. Und ... Vielleicht gehe ich auch zum Arzt, aber mach dir vorläufig keine Sorgen. Okay?"
Er schaute mich noch eine Weile nachdenklich an, dann wurden seine Gesichtszüge weicher und er lächelte. Mir wurde ganz warm ums Herz und grinste zurück. "Du bist eindeutig verrückt, Mia." Seine Hände schlangen sich um meinen Körper und zogen mich fest an ihn.
Danach ging er duschen und ich war mit meinen Gedanken wieder allein. Was wollte ich nochmal ...? Ach ja, der Kalender. Es war so ein kleiner Taschenkalender mit einem rot gepunkteten Einband, in den ich einfach alles eintrug, was mir wichtig erschien und nicht mehr in meinen Kopf passte. Also eigentlich so gut wie alles ...
Ich tippte ungeduldig mit der Fußspitze auf den Boden, bis es mir plötzlich einfiel. Ich hatte ihn letzte Woche in eine meiner Handtaschen gepackt und mich danach doch für eine andere entschieden. Ich kramte in meinem Schrank, bis ich das kleine Buch in den Händen hielt. Bestimmt hatte ich mich jetzt ganz umsonst so aufgeregt ... Ich blätterte die Seiten so schnell und hastig um, dass ich sie fast herausriss und starrte auf das rote Ausrufezeichen, welches ich vor ein paar Wochen in rot da rein gemalt hatte. Scheisse. Ich hätte eigentlich schon vor vier Wochen meine Tage bekommen müssen. Aber konnte das nicht manchmal vorkommen ? Doch klar. Völlig normal. Oder ...?
Mein Herz schlug so laut in meiner Brust, dass ich nicht mehr klar denken konnte. Oh Gott, was, wenn ich wirklich schwanger war?! Allein beim Gedanken daran bekam ich Gänsehaut. Dazu war ich noch nicht bereit und darüber hatten Erik und ich auch schon einmal geredet und waren beide der Meinung, uns mit Kindern noch Zeit zu lassen. Vorsichtig zupfte ich an meinem Shirt und sah auf meinen Bauch, doch der sah aus wie immer.
Ich musste ganz dringend mit Celine reden, sie wusste immer was zu tun war.
Gerade, als ich an die Badezimmertür klopfen wollte, öffnete sie sich und Erik stand, mit einem Handtuch um die Hüften, vor mir.
"Huch", rief ich überrascht und sprang zurück. Erik guckte amüsiert und ich konnte mich gerade noch beherrschen, nicht fasziniert meine Hand zu heben und damit seine Grübchen zu berühren.
Ich muss mal kurz zu Celine. Es ist ... Wichtig." Meine Stimme zitterte ein wenig, als ich das sagte, doch Erik nickte und gab mir einen Kuss aufs Haar. "Alles klar, viel Spaß."
Spaß ... Haha.

***
"Wir müssen sofort los." Celine sprang entschlossen auf, nachdem ich ihr alles erklärt hatte.
"Was? Wohin?", fragte ich schockiert.
"Wohin? Na, zum Frauenarzt natürlich und zwar ganz schnell! Ich kenn dich, wenn du nicht weißt was los ist, machst du dir tagelang Sorgen, deshalb klären wir das jetzt ab." Es fühlte sich an, als hätte ich nur lästigen Husten oder irgendetwas dergleichen. Aber nein - es ging darum, ob ich schwanger war, oder nicht. Oh Gott, ich konnte nicht stehen, meine Beine zitterten. Aber ich nickte. Celine hatte recht, ich musste es wissen. Aber wollte ich das wirklich?
Doch ich hatte gar keine Zeit weiter darüber nachzudenken. Celine nahm meine Hand und zog mich.

"Glückwunsch, sie sind in der fünften Schwangerschaftswoche."
Die Stimme meiner Frauenärztin klang so lieb und ihre Augen leuchteten, als sie mir diese Nachricht überbrachte. Ich konnte nur dasitzen und sie mit offenem Mund anstarren. Celine drückte meine Hand.
"Sind sie sich sicher? Also ich meine ... Könnte das nicht vielleicht auch ein Fehler sein?", fragte ich verzweifelt. Sie lachte und schüttelte den Kopf. "Nein, das war bestimmt kein Fehler. Hier." Sie reichte mir ein kleines Ultraschallbild, auf dem ich ungefähr gar nichts erkennen konnte.
Ihre Hand bewegte sich auf das Foto zu und sie tippte mit dem Finger darauf und zeigte auf einen winzigen schwarzen Punkt. "Da können sie schon die Fruchthöhle, also die Fruchtblase sehen", erklärte sie Ja. Klar. Das konnte auch ein Floh sein. Oder vielleicht ein Magengeschwür. Fast hätte ich gelacht. Aber nur fast. Dann erinnerte ich mich daran, dass sie Ärztin war und es ja ziemlich gut wissen musste. Ich wusste nicht, ob ich mich freuen oder heulen sollte, aber plötzlich platzte beides zusammen aus mir heraus. Blöde Hormone.
Kurz darauf standen wir am Ausgang und die Sprechstundenhilfe gab mir einen kleinen Zettel für den nächsten Termin. Ich bedankte mich matt und drückte die Tür auf.
Frische kühle Luft strömte in meine Lunge. Ich seufzte.
"So hatte ich mir das alles nicht vorgestellt." Ich machte mit der Hand eine kreisende Bewegung. Celine legte einen Arm um mich und lächelte beruhigend.
"Du wolltest immer Kinder haben und ob ihr jetzt damit anfangt oder erst nächstes Jahr, ist doch völlig egal. Du wirst eine perfekte Mutter und Erik ein perfekter Vater und Jonas und ich "- sie grinste frech - "werden perfekte Patentante und Patenonkel von dem Zwerg."
So, wie sie es sagte, klang es wirklich perfekt; es klang so einfach und Wärme breitete sich in meinem Körper aus. Jetzt blieb nur eine klitzekleine Frage: Wie brachte ich das Erik bei, ohne dass er einen Herzinfarkt bekam?

***

"Okay, du gehst einfach zu ihm hin und sagst es ihm. Aber fall nicht sofort mit der Tür ins Haus, sondern frag ihn erstmal so allgemein, wie er Kinder findet und dann sagst du, dass du Kinder total toll findest ... Verstanden?" Celine hob eine Augenbraue und sah mich fragend an. Ich nickte. Aber so sicher war ich mir leider gar nicht. Ich hatte total Angst vor seiner Reaktion. Was, wenn er einfach sagt "du, Mia, ich will noch keine Kinder, wir sollten das mit uns beiden lieber lassen"? Ich will nicht, dachte ich verzweifelt. Ich bin doch erst einundzwanzig.
Bevor ich die Autotür öffnete und ausstieg, atmete ich tief durch und befahl mir, ruhiger zu werden. Ich umarmte Celine und versprach, sie später anzurufen.

Als ich die Haustür öffnete, hörte ich schon Musik und lautes Klappern aus der Küche. Gut, immerhin war er da. Ich zog meine Jacke aus, hängte sie an einen Haken und stellte meine Schuhe ordentlich ins Regal. Einatmen, ausatmen, einatmen ... Langsam ging ich über den Flur, zog meinen Pullover zurecht und strich mir durch die Haare.
"Erik?" Mist. Meine Stimme zitterte so, dass sie schon 'ich muss dir was sagen und das wird dir gar nicht gefallen' schrie.
Zurück kam ein kurzes "jo". Ich lehnte mich an einen Küchenschrank und beobachtete ihn dabei, wie er den Geschirrspüler ausräumte. Sorgfältig wischte er über jedes Teil nochmal mit einem Handtuch und stellte es danach weg. Er lächelte mich an, gab mir einen Kuss und wandte sich dann wieder dem Geschirr zu.
"Wie wars bei Celine?", fragte er. "Alles gut?"
Ja, alles gut, ich bin nur schwanger.
"Klar. Alles gut", antwortete ich. Am liebsten hätte ich meinen Kopf gegen die Wand geknallt. Nichts war gut!
Jetzt oder nie. "Erik ..." Ich räusperte mich und holte tief Luft. "Ich bin schwanger." So viel zum nicht sofort mit der Tür ins Haus Fallen .... Ich wickelte mir den Saum meines Pullovers fest um meinen Zeigefinger und wagte es nicht hochzugucken.
Stille. Erik richtete sich auf und sah mich an.
"Ich wusste, dass das irgendwann kommt ... Aber ganz ehrlich, Mia, mir reicht das schon bei Jonas!"
Perplex starrte ich ihn an. "Eh ... Was?", stotterte ich. So hatte ich mir das aber nicht vorgestellt.
"Ich hab mir das schon gedacht, vor einem Monat, da -"
"Stop mal!", rief ich und hob die Hand. Er runzelte die Stirn, aber obwohl seine Stimme zwischen lachen, verwirrt sein und Verzweiflung schwankte, zuckten seine Mundwinkel verdächtig.
"Wovon redest du eigentlich?" Mir wurde langsam schwindelig.
"Du hast doch gesagt, du hörst jetzt Schlager." Er lachte und drehte sich um und hob einen Teller hoch.
Oh nein. Das war jetzt ein Traum oder? Ich würde doch gleich aufwachen und denken, 'Gott was ein saublöder Traum!', oder?
Ich wachte nicht auf, jedenfalls nicht aus einem Traum, aber dafür aus meiner Starre, in der ich die letzte Zeit verharrt hatte. Ich griff nach seiner Hand und verschränkte meine Finger mit seinen und zog ihn ein Stück zu mir heran. Seine Augen funkelten, als er mich ansah.
"Ich höre keine Schlager, Erik - ich bin schwanger."
Jegliche Mimik verschwand aus seinem Gesicht. Er wurde blass und schluckte. Sagen tat er nichts, er starrte mich nur an.
Tränen stiegen mir in die Augen, ein Schluchzen löste sich aus meiner Kehle und ich entriss ihm meine Hand. Vor solch einer Reaktion hatte ich Angst gehabt. Es war am allerschlimmsten, wenn er mich nur anstarrte und schwieg.
Ich rannte ins Schlafzimmer, wischte mir die Tränen, die mir unaufhörlich über die Wangen strömten und meine Sicht verschleierten, mit dem Ärmel weg. Ich wusste, er würde das nicht verstehen. Dabei war er an der Sache nicht wirklich unbeteiligt, schließlich waren es ja seine ... Na ja, wie auch immer.
Ich knallte die Tür zu und meine Hände nahmen wie von selbst die Decke und warfen sie mir über den Kopf. Plötzlich merkte ich, wie an der Decke gezupft würde und sah auf. Erik schälte mich frei und nahm mich fest in den Arm. Erst wollte ich mich wehren, aber er hatte so fest seine Arme um mich gelegt, dass es eh nichts gebracht hätte, Widerstand zu leisten. Danach legte er einen Finger unter mein Kinn, damit ich ihn ansah.
"Es tut mir leid", flüsterte er. "Ich war einfach ziemlich überrumpelt und wusste nicht wie ich sagen sollte ..., dass ich mich furchtbar freue."
Hatte er das gerade wirklich gesagt? Ich starrte ihn an, seine Mundwinkel bogen sich nach oben.
"Sag das nochmal", forderte ich ihn auf, "ich bin mir nicht sicher, ob ich das gerade richtig verstanden habe." Jetzt grinste er. "Wir werden das schönste Kind der Welt bekommen und ich kann es kaum erwarten", wisperte er, legte eine Hand auf meinen Bauch, die andere in meinen Nacken und zog mich zu sich heran. "Ich liebe dich, Mia", hauchte er an meine Lippen. Und dann küsste er mich.

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