Kapitel 81

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Die nächsten Tage vergingen ziemlich eintönig und nervenzerreissend. Nachts schlief ich bei meinen Eltern und tagsüber verbrachte ich jede Minute im Krankenhaus. Die Stimmung war, wie zu erwarten, ziemlich düster. Celine lachte zwar schon wieder, was sie in den ersten Tagen so gut wie nie getan hatte, doch das klang meist noch ziemlich gezwungen. Sie wollte nicht essen und schlafen schon gar nicht. Jeden Morgen kam Jonas zu mir, um mir zu sagen, dass sie die ganze Nacht kein Auge zugetan hatte. Allerdings schien er, seinen tiefen Augenringen nach zu urteilen, auch nicht wirklich viel zu schlafen. Mittlerweile war auch ich mit den Nerven total am Ende und schlief mitten in der Kantine, den Kopf auf dem Tisch, einfach ein. Ich träumte davon, dass Erik zur Tür herein kam, mich in den Arm nahm und küsste. So wie früher. Als ich aufwachte, spürte ich etwas Warmes auf meiner Hand. Ich sah auf und konnte es nicht glauben, wer mich da mit diesen wunderschönen, unverwechselbaren Augen anschaute. "Erik", flüsterte ich. Er strich sanft über meine Hand und lächelte etwas verunsichert. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich nicht doch bloß noch träumte ...
"Was machst du denn hier?" Hastig strich ich mir über die Haare und bereute, mir heute Morgen so wenig Mühe mit meinem Aussehen gegeben hatte. "Jonas hat mich angerufen und mir von dem Unfall erzählt ... Da hab ich das Training kurz unterbrochen und bin hergekommen", erzählte er und zog zwischendurch seine Hand zurück und ließ sie unter dem Tisch verschwinden. Ich nickte und biss mir auf die Unterlippe. Seit Celines Unfall hatte ich kein einziges mal geweint, doch jetzt schossen mir auf einmal die Tränen in die Augen. Erik konnte mich noch nie weinen sehen, deshalb wunderte es mich auch nicht, als er mit seinem Stuhl näher heranrückte und mich fest in den Arm nahm. Ich schluchzte, ließ meine Emotionen einfach raus und atmete den vertrauten Duft von Eriks Pulli ein. Es tat gut mal wieder selbst getröstet zu werden, denn in den letzten Tagen hatte ich diese Rolle übernommen müssen.
Erik drückte mich ein Stück von sich weg, hielt mich aber weiter an den Schultern fest und sah mir in die Augen. Ich hatte das Gefühl einen leichten Anflug eines Glitzern in seinen Augen zu erhaschen, doch dann senkte er den Blick. "Ich fliege nach Brasilien", murmelte er und in seiner Stimme schwang ein kleines bisschen Stolz mit. "Wirklich? Steht das denn schon fest?", fragte ich und sah ihn an. Er wiegte den Kopf hin und her. "Na ja, so ziemlich." Ich lächelte und fuhr mit dem Zeigefinger langsam über sein Kinn. "Glückwunsch." Ich freute mich wirklich, dass er es geschafft hatte. Ich war stolz. Es war sein größter Wunsch bei der WM in Brasilien dabei zu sein und jetzt würde sein Traum wahrwerden. Er grinste. "Danke!"
In diesem Moment keimte ein kleiner Funken Hoffnung in mir auf. Wenn auch nur ein sehr kleiner.

"Mia?"
"Mhh..." Celine und ich saßen in ihrem Zimmer, ich hatte mich zu ihr ins Bett gequetscht und blätterte in einer Zeitschrift. Ich brauchte dringend mal wieder neue Klamotten für den Sommer ...
"Lass uns auch nach Brasilien fliegen. Jonas und ich brauchen ein bisschen Ablenkung und außerdem sind wir dann bei Erik", erklärte sie und schaute mich abwartend an. "Und was hab ich damit zu tun? Macht euch doch lieber allein ein paar schöne Tage dort, ich würde euch doch nur im Weg sein." "Quatsch! Du bist nie im Weg und das weißt du auch. Du hast doch nur Angst, vor weiteren Begegnungen mit Erik. Komm schon, irgendwann muss er sich wieder beruhigen und warum nicht in der besten Zeit seines Lebens?" Das hörte sich ziemlich philosophisch an, weshalb ich anfing zu kichern. "Danke, aber ich denke nicht, dass er so begeistert wäre, wenn ich da plötzlich auftauche und außerdem hab ich echt keine Lust auf die blöden Medien. Es ist für euch bestimmt eine tolle Idee, aber tu mit den Gefallen und fahrt ohne mich. Bitte." Sie verdrehte die Augen und stöhnte. "Na, gut. Aber begeistert bin ich davon nicht." Ich grinste und pikste sie in die Seite, sodass sie quietschte. "Du wirst sehen, es wird viel schöner mit Jonas allein zu sein, als wenn ich noch dabei wäre und euch nerve." Celine gab ein undefinierbarer Geräusch von sich, was sich wie eine Mischung aus "pff" und "pah" anhörte, aber immerhin hatte sie mittlerweile wieder ein bisschen Farbe bekommen und war nicht mehr ganz so blass.
Die Tür öffnete sich und Jonas kam herein, in beiden Händen einen Becher Kaffee. "Hier". Er reichte mir einen, gab Celine einen Kuss auf die Stirn und setzte sich neben uns. "Danke", antwortete ich und nahm einen Schluck. "Jooonas? Weißt du waaaas?", fragte sie und lächelte verschmitzt. "Oh, oh, das hört sich irgendwie nicht gut an..." Ich gluckste und verschluckte mich prompt an meinem Kaffee. Celine klopfte mir auf den Rücken und redete dabei weiter. "Wusstest du schon, dass wir nach Brasilien fliegen?" Jonas zog die Augenbrauen ungefähr bis zum Haaransatz hoch und kratzte sich an der Stirn. "Nein, das wusste ich noch nicht ... Machen wir das?" Sie nickte wild mit dem Kopf. "Jap, das machen wir! Alles schon geplant. Und dann unterstützen wir Erik." "Na, dann ..." Er grinste mich erst an und dann gab er Celine einen langem Kuss auf den Mund. "Alles, was du willst, mein Schatz." In diesem Moment beneidete ich die beiden sogar ein bisschen. Zwischen ihnen war- wenigstens in der Beziehung - alles perfekt.
"Wo ist Erik?", fragte ich und versuchte meine Stimme ganz unbeteiligt klingen zu lassen. "Der ist schon wieder weg. Wusstest du das nicht?" Ich sah auf und eine Welle der Wut und Enttäuschung rollte durch meine Adern. "Nein. Er hat sich nichtmal von mir verabschiedet! So ein -"
"Hey, Mia, beruhig dich!" Celine legte ihre Hand auf meinen Arm. Ich glaube er hatte es ziemlich eilig, denn eigentlich hätte er gar nicht kommen dürfen. Wahrscheinlich hat er es einfach nicht geschafft." Das beruhigte mich jetzt wenig. Ehrlich gesagt überhaupt nicht. So ein Blödmann! Ich wollte es mir nicht eingestehen, doch ich vermisste ihn. Ich vermisste ihn sogar schrecklich. Jeden Augenblick, jede Minute des Tages. Ich wollte ihn zurück. Ich wollte, dass alles wieder so wird, wie es war. In meinem Kopf tauchte der Tag auf, an dem wir uns kennengelernt hatten. Auf dem Sportplatz in Dortmund. Als ich hingefallen war, hatte er mich getragen und mich mit diesem ganz bestimmten Blick angesehen. Diesem Blick, bei dem ich jedesmal Gänsehaut bekommen hatte. Dabei hatte er immer dieses Glitzern in den Augen, was ich vorhin in der Kantine sah, doch jetzt war ich mir da nicht mehr so sicher. Wahrscheinlich hatte ich es mir nur so sehr gewünscht und dabei eingebildet.
Celine und Jonas waren schon dabei ihren Urlaub zu planen, als ich aus meinen Gedanken wieder aufwachte. Wider Willen musste ich grinsen. Die Zwei waren wirklich wie füreinander geschaffen.

Ein paar Wochen war Erik tatsächlich mit der Nationalmannschafft auf dem Weg nach Brasilien. Ich wollte ihm eigentlich noch vorher schreiben, doch dann hatte ich die Nachricht doch noch kurz vorher gelöscht.
Celine und Jonas flogen zwei Wochen nach Anfang der WM los. Sie hatte mich am Flughafen zwar gar nicht mehr loslassen wollen, da ihr aufgefallen war, dass Brasilien schon ziemlich weit weg war und wir noch nie so weit voneinander entfernt gewesen waren, doch nachdem ich ihr stundenlang eingetrichtert hatte, dass wir jeden Tag telefonieren und schreiben konnten, war sie überzeugt. Die Spiele sah ich mir natürlich trotzdem jedes mal an, obwohl ich immer, wenn ich irgendwo Erik sah, ein schmerzliches Ziehen in der Herzgegend verspürte. Nicht alle Wunden heilt die Zeit ...

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