Kapitel 82

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"Oh, man, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie geil das war!", schwärmte Celine am Telefon. Schon seit genau zwei Stunden und dreizehn Minuten sabbelte sie mir die Ohren voll, denn Jonas hatte ihr heute eine Flatrate eingerichtet, mit der sie unbegrenzt quatschen konnte. Innerlich verfluchte ich ihn deswegen, denn langsam konnte ich die Wörter Brasilien und WM schon nicht mehr hören.
"Und morgen kommen alle Spielerfrauen hierher. Du solltest auch kommen ..." Jo, klar ich komm mal eben vorbei, weil Brasilien ja quasi um die Ecke ist.
"Du kannst mich nicht überreden. Ich. Werde. Nicht. Nach. Brasilien. Kommen. Klaro? Ich bin keine Spielerfrau und auch keine Spielerfreundin mehr." Ich hörte sie am anderen Ende verächtlich schnauben und dann nur noch ein lautes Knistern. "Verpackst du dein Handy gerade in 'ner Plastiktüte?", fragte ich und kicherte. "Quatsch." Ein weiteres Knistern und dann war es erstmal still. "Mmm... Seit ich aus dem Krankenhaus bin, steh ich wieder voll auf Schokolade und Jonas hatte noch eine in seinem Koffer versteckt. Wahrscheinlich dachte er, ich würde sie nicht finden und er könnte sie ganz alleine futtern", mampfte sie. Armer Jonas. Die Tafel würde er nicht wiedersehen, so viel war sicher. Denn so wie ich meine beste Freundin kannte, gab sie sie nicht wieder her.
"Bist du noch dran?", fragte sie. Ich nickte, obwohl sie das natürlich nicht sehen konnte. "Klar. Was sollte ich auch sonst machen ..." "Komm nach Brasilien, es würde dir sicher- "Neeiiin! Ich komme nicht! Ich will Erik nicht sehen und er mich auch nicht. Er geht mir aus dem Weg, da will er bestimmt nicht, dass ich auch noch bei der WM komme."
"Hm, ja ... Kann ich verstehen. Aber falls du es dir vielleicht doch noch anders überlegst ..."
"Wirst du es sicherlich als Erste erfahren", beendete ich ihren Satz und grinste. Danach hörte ich ein lautes Gepolter und Celines zuckersüße Stimme. "Was? Schokolade, ich? Quatsch! Ich hab doch gar keine." Ich kicherte und konnte mir lebhaft vorstellen, wie Jonas sie mit einer hochgezogenen Augenbraue musterte. Wahrscheinlich hatte sie die Schokolade gerade noch rechtzeitig unter ihre Jacke gestopft.
"Du, ich muss jetzt aufhören", sagte sie und fügte leise hinzu: "Ich glaube Jonas wühlt jetzt drei Stunden vergeblich in seinem Koffer. Ich werd dann lieber mal schnell zum Strand verschwinden, sonst reißt er mir gleich noch den Kopf ab. Ach ja, hast du dein Handy aufgeladen?" Was war denn denn für eine merkwürdige Frage? "Ja, hab ich ... Wieso?" Doch da hatte sie schon aufgelegt. Ich schüttelte den Kopf und legte mein Handy vor mich auf den Schreibtisch. Ehrlich gesagt würde ich jetzt auch lieber am brasilianischen Strand liegen, die Sonne genießen, lesen, Erik treffen ... Halt stop! So viel zum Vergessen. Wie soll man einen Menschen vergessen, wenn er andauernd im Kopf herumspukt? Jede Situation, jedes Lied und jeder Blick in die Sonne erinnerte mich an ihn und die schöne Zeit. Jeden Tag hoffte ich, dass ich mir das alles nur eingebildet hatte und Erik jeden Moment an der Tür klingeln und mich küssen würde. Toll Mia, jetzt bist du wieder so richtig schön deprimiert. Und was machst du jetzt? Nichts tat ich. Ich legte meinen Kopf auf meine verschränkten Arme auf dem Schreibtisch und schloss einfach die Augen. Sonnenstrahlen fielen durch mein Fenster. Mein Handy klingelte. Bestimmt war es Celine, die mir berichten wollte, wie sie Jonas bestochen hatte, dass er ihr doch nicht den Kopf abriss. Doch es war ein anderer Klingelton, als der, den ich eigentlich eingestellt hatte. Ich hob den Kopf und sah, dass es blinkte. FaceTime Anruf von Unbekannt. Wer bitteschön ist unbekannt und warum ruft er mich an ...? Eigentlich wollte ich gar nicht rangehen, aber jetzt war ich irgendwie neugierig geworden. Ungefähr zwei Sekunden nachdem ich auf annehmen gedrückt hatte, erschien Eriks Gesicht auf meinem Bildschirm. Seine Haare sahen leicht nass und verstrubbelt aus. Er stütze sein Kinn in seiner Hand und hatte beide Augenbrauen ein Stück hochgezogen. "Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen", sagte er und seine Mundwinkel hoben sich leicht. So ähnlich fühlte ich mich allerdings auch. Ich schluckte.
Erik stöhnte. "Oh, man, Mia!"
Schockiert sah ich ihn an. "Was ... Denn?", stammelte ich. Meine Stimme zitterte.
"Ich liebe dich. Ich hab versucht mich dagegen zu wehren, aber es geht nicht. Ich kann dich nicht vergessen."
Der Boden würde unter meinen Füßen weggezogen, alles drehte sich und eine warme Welle durchströmte meinen ganzen Körper. "Erik? Kannst du das nochmal sagen?" Ich wusste nicht genau, ob ich mich verhört hatte. "Ich liebe dich, Mia!" Seine Stimme klang fest, ehrlich. Seine Augen leuchteten und sein Lächeln war unglaublich. Er meinte es wirklich ernst, er liebte mich. Tränen bildeten sich vor Freude in meinen Augen und liefen mir über die Wangen. Ich lächelte.
"Ich liebe dich auch."

Noch nie hatte ich so schnell meinen Koffer gepackt (eigentlich waren es zwei) und hatte einen Flug gebucht. Zum Glück hatte Celine mir die Adresse ihres Hotels dagelassen. Ich hatte niemandem erzählt, dass ich kam, es sollte eine Überraschung werden.
***
Wow, die hatten wirklich nicht übertrieben, wenn sie von der Hitze in Brasilien geredet hatten. Schon nach ein paar Schritten mit meinen Koffern war ich schweißnass und wahrscheinlich knallrot im Gesicht. Warum hatte ich kein wasserfestes Make Up aufgetragen ... Ich fragte mich echt, wie man bei diesen Temperaturen Fußball spielen konnte. Ich würde nach drei Schritten umfallen, einfach auf dem Boden liegenbleiben und darauf warten, dass mich jemand wegtrug.
Hätte ich gewusst, dass das Hotel so weit weg war, hätte ich mir ein Taxi genommen, doch auf dem Reiseplaner, den ich mir am Flughafen gekauft hatte, stand, dass es maximal zehn Minuten zu Fuß wären. Toll, angeschissen. Jetzt hatte ich den Salat. Ich bereute gerade, dass ich mich nicht auf einen Koffer beschränkt hatte, aber die zehn Bücher hatten beim besten Willen nicht mehr in den Ersten reingepasst.
Nach einer geschlagenen Stunde hatte ich das Hotel erreicht. Zur Vorsicht verglich ich es mit dem Bild im Buch.
"Joooonaas!" Huch, war das etwa die Stimme meiner besten Freundin? Klar, niemand sonst schrie sonst Jonas' Namen so laut irgendwo rum. Und da sah ich sie auch schon. Im Bikini, ein Handtuch über der Schulter und der dunklen Sonnenbrille auf der Nase. Ich schleppte mich schnaufend auf sie zu. "Lol, du siehst aus wie meine beste Freundin", meinte sie, als ich wenige Meter vor ihr stand. Ja, das war ganz sicher Celine. "Ich bin deine beste Freundin, du Schusselchen!" Sie schob sich ihre Brille ins Haar, lief kreischend auf mich zu, wobei sie noch fast einen Schuh verlor und fiel mir in die Arme. "Was machst du denn hier?!" Sie strahlte. "Ich kann euch doch nicht einfach allein lassen", antwortete ich und zwinkerte ihr zu. "Du hast mit Erik gesprochen, oder?", fragte sie. Ich nickte. "Woher weißt du das?" "Er ist vorher zu mir gekommen und hat mir von seinem Plan erzählt. Ich glaube, er wollte nur Zustimmung und das hat er von mir bekommen. Als Jonas und ich hier ankamen, hat er sofort nach dir gefragt und oha, du hättest sein Gesicht sehen müssen, als er erfuhr, dass du in Dortmund geblieben bist! Ein kleines Kind, dem man den Schnuller wegnimmt ist nichts dagegen", erzählte sie und lachte. Ich grinste und wühlte in meiner Handtasche herum. "Ich hab dir was mitgebracht, aber ich schätze sie ist auf dem Weg hierher leicht geschmolzen ..." Ich drückte ihr eine Familientafel Schokolade mit Keks in die Hand. Sie bekam große Augen. "Danke! Ich bring die lieber mal eben nach oben in den Kühlschrank. Hast du schon ein Zimmer?" "Klar." Wir gingen rein und ich besorgte mir meinen Schlüssel an der Rezeption. Das Zimmer war riesig, aber ziemlich schlicht gehalten. Mir gefiel es auf jeden Fall. Vorallem der Blick auf den Strand war super. Ich stieg schnell unter die Dusche, kämmte meine Haare und zog mich um. Danach fühlte ich mich schon viel besser.
In der Eingangshalle traf ich Celine und Jonas wieder, die es sich auf einem hellen Sofa gemütlich gemacht hatten. "Und, gehst du zu Erik?", fragte Jonas, nachdem er mich begrüßt hatte. Unsicher schaute ich ihn an. "Darf ich denn?" Celine nickte heftig. "Klar darfst du! Seid gestern sind alle Spielerfrauen hier. Hast du Erik eigentlich Bescheid gesagt?" Ich verneinte.
"Na dann, worauf wartest du noch?"
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen.

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