Kapitel 80

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Ich war allein. Erik war weg (dazu auch noch im Trainingslager), Celine mit Jonas bei ihren Eltern, Lina hatte in den letzten Tagen einen Mann kennengelernt, bei dem sie ständig war und auch von nichts anderem mehr redete und Max war auch nach Hause gefahren, um bei seiner Mutter zu sein. Und ich? Ich hockte wie immer in meiner Wohnung. Fernseher an, Fernseher aus. Ich sah furchtbar aus. Jogginghose, ein Pulli von Erik, den ich im hintersten Teil meines Schrankes gefunden hatte und dicke Wollsocken. Draußen war es zwar ziemlich warm, doch das störte mich nicht. Solange ich nicht das Fenster öffnete oder gar vor die Tür trat, brauchte ich mich auch nicht umzuziehen. Immerhin hatte ich es geschafft mir morgens die Haare zu waschen und Zähne zu putzen, was ich schon ziemlich beachtlich fand. Fernseher wieder an. Warum berichtete Sky eigentlich andauernd über das Trainingslager der Nationalmannschaft?! Und warum suchten meine Augen bei jedem Bild sofort die eine Person ...? Genau, weil ich mir nicht selbst etwas vormachen konnte.
Da mein Magen knurrte, schlurfte ich in die Küche. Ich seufzte und fuhr mir durch die Haare. Warum ist hier nie etwas zu Essen, wenn man es mal braucht?, murmelte ich während ich im Kühlschrank wühlte. Ich entschied mich für einen letzten Joghurt. Aha, neues Thema im Programm. Diesesmal waren es Bilder, die anscheinend gerade eben gemacht wurden. Irgendwas war passiert, denn auf den Bildern war eine Person im Krankenhaus und hängendem Kopf auf einem Stuhl zu sehen. Moment mal ... War das? Ne. Oder...? Ich schmiss meinen Joghurt auf die Couch und stürzte zur Fernbedienung. Denn leider hatte ich den Tön ausgestellt, da ich das Gelaber der Moderatoren nicht mehr hören konnte. Hektisch drückte ich auf den lauter Knopf. Er war es tatsächlich ... Oh mein Gott. Ich hörte gar nicht zu, sondern strich mit dem Finger über den Bildschirm. Gar kein Zweifel, es war Jonas. Aber was machte er bloß im Krankenhaus?! In diesem Moment klingelte mein Handy. Ich stieß einen erschreckten Schrei aus, stand so schnell auf, dass mir schwindelig würde und nahm den Anruf an, ohne aufs Display zu schauen. "Ja?!", schrie ich atemlos. Jonas Stimme erklang am anderen Ende. "JONAS! WAS IST PASSIERT?!" Ich hörte ihn leise schluchzten und drückte eine Hand auf mein wild klopfendes Herz. "Celine ...", wimmerte er. "Sie hatte einen Unfall. Komm sofort. Bitte!" Ich musste mich nicht lange bitten lassen. Ich lag auf, suchte wie in Trance meinen Autoschlüssel und stürmte hinaus.

***
Ich war mir nicht sicher, wie ich es geschafft hatte, die Strecke zu fahren, ohne einen Unfall zu bauen. Ich wusste überhaupt nichts mehr. Nicht einmal, was wirklich passiert war. Vielleicht war das auch besser so. Je mehr man über so etwas nachdachte, desto schlimmer und tragischer wurden die Gedanken.
An der Info fragte ich sofort nach Jonas und eine Schwester bot an, mich zu ihm zu bringen. "Geht es ihnen gut, sie sind so blass? Möchten sie vielleicht ein Glas Wasser?", fragte sie, während wir durch die langen, weißen Gänge liefen. Ich schüttelte den Kopf. "Nein, vielen Dank. Mir gehts ... Gut", murmelte ich. Als ich Jonas endlich entdeckte, stand er sofort auf und warf sich mir förmlich in die Arme. Seine Augen waren rot und verquollen. "Es tut mir leid, dass ich dich nicht sofort angerufen habe, aber -"
"Psst. Alles gut, erzähl mir erstmal, was passiert ist!" Er zog ein Taschentuch aus der Tasche und putzte sich erstmal die Nase, bevor er loslegte. "Wir haben eine kurze Fahrradtour gemacht, weil Celines Mutter meinte, wir sähen ziemlich blass aus und, ach ist ja auch egal! Auf jeden Fall, war da plötzlich dieses Blöde Auto. Der Typ ist viel zu schnell Gefahren und ... Und ...hat sie einfach umgefahren." Ihm liefen unaufhörlich die Tränen über die Wangen. "Ich bin schuld, ich hätte besser auf sie aufpassen müssen!" Ich nahm ihn in den Arm. "Quatsch, du hast keine Schuld! Hör auf dir das einzureden. Wie gehts ihr?" Er wischte sich über die Augen. "Naja, sie hat eine Gehirnerschütterung, der Unterarm ist gebrochen und sie hat einige Schürfwunden. Aber ... Das Baby ..." Ich schluckte. Das Blut rauschte laut in meinen Ohren und meine Hände fingen an zu zittern. "Was ist mit dem Baby", fragte ich leise. "Ist es...?" Er nickte. "Es hat den Unfall nicht überstanden ..."

Vorsichtig klopfte ich an die Tür und von innen ertönte ein schwaches 'ja'. Das erste was ich sah, war ein riesiges weißes Bett und daneben ein noch größerer Schrank. Diese Krankenhauszimmer fand ich jedes mal wieder gruselig und kalt. Eine Gänsehaut lief mir über den Rücken. Danach sah ich Celine. Mit einem dicken Kissem im Rücken saß sie im Bett und lächelte leicht, als sie mich sah. Im Gesicht war sie leichenblass und eine Nadel steckte in ihrer Hand. Mir würde schon wieder ein wenig schwummrig, doch ich zwang mich, weiterzugehen und schnell an etwas anderes zu denken. Ich rückte einen Stuhl neben sie, setzte mich und nahm ihre Hand. "Hey", sagte sie, doch ihr Lächeln wirkte gezwungen. "Hey ... Es tut mir so leid. Wie geht es dir?", fragte ich.
"Soweit ganz gut, denk ich. Ich kann das noch gar nicht richtig glauben, was passiert ist. Ich schätze das wird auch noch eine Weile dauern." Sie sah so traurig aus, dass ich das Gefühl hatte, gleich in Tränen auszubrechen. Doch ich konnte nicht weinen, was für mich eigentlich ziemlich untypisch war. "Du siehst furchtbar aus." Sie kicherte. Ich sah an mir herunter und musste auch grinsen. Stimmt, ich hatte mich nicht mehr umgezogen, sondern war sofort losgefahren und geschminkt hatte ich mich auch nicht. Wahrscheinlich würde ich heute lieber nicht mehr in den Spiegel sehen ... Aber das war momentan total unwichtig. "Wir schaffen das schon irgendwie. Okay? Wir zusammen!" Ich drückte ihre Hand. Sie nickte leicht und umarmte mich. "Danke", murmelte sie in meinen Pulli.
Danach verließ ich das Zimmer, da sie noch ziemlich müde war und sich schonen musste. "Komm", sagte ich zu Jonas und zog ihn vom Stuhl hoch. "Wir gehen jetzt erstmal Kaffee trinken." Er nickte erleichtert und folgte mir in die Kantine. Ich hatte zwar das Gefühl von allen Seiten komisch angesehen zu werden, doch das ignorierte ich einfach. (Ich hoffte bloß, dass nicht sofort ein paar Bilder von mir im Fernsehen und Internet zu sehen waren ...) Nachdem ich Jonas ein wenig aufgeheitert und gut zugeredet hatte, fühlte ich mich besser. Allerdings konnte das auch am Kaffee liegen, der ziemlich stark war, mich aber mich wenigstens wach machte.
"Danke für deine Hilfe, Mia. Du hast Celine und vorallem mir echt geholfen. Du bist die einzige, auf die sie hört und die ihr helfen kann", sagte Jonas dankbar und gab mir einen Kuss auf die Wange. Ich lächelte. Ich war froh, dass ich ihnen helfen konnte. "Bleibst du hier? Ich könnte eben fragen, ob sie dir noch ein Bett vorbereiten können." Schnell schüttelte ich den Kopf. "Nein, nein, ich fahr gleich zu meinen Eltern. Ich bin mir sicher, sie würden sich freuen, wenn ich mal wieder zu ihnen komme", antwortete ich und drückte ihn noch einmal. "Ich komme morgen wieder. Bestimmt geht es ihr dann schon besser. Lenk sie ein bisschen ab, das ist das beste was ihr jetzt tun könnt. Ich bin sicher, ihr schafft das!" "Ja, Frau Doktor", grinste er und verließ mit langen Schritten den Raum. Seufzend machte ich mich auf den Weg zu meinem Auto und fuhr zu meinen Eltern, die glücklicherweise in der Nähe wohnten. Sie empfangen mich, als wäre ich mindestens drei Jahre am anderen Ende der Welt gewesen. Ich war froh sie wiederzusehen und hatte ja auch ziemlich viel zu erzählen. Die Sache mit Erik, Max und jetzt natürlich noch Celine. Doch an diesem Abend konnte keiner der beiden auch nur ein Wort davon aus mir herausquetschen, daher verschob ich es auf den nächsten Tag. Ich war total fertig. Im Moment passierte leider einfach viel zu viel, was meinen Nerven nicht gut tat.

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