Gute, alte Einsamkeit

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Der nächste morgen begann mit Schmerzen. Wie ein Hammer pochte er qualvoll gegen meinen Kopf. Ich stütze mich langsam auf den Händen ab und setze mich aufrecht hin. Als ich mich umsah, war ich nicht zuhause. Ich lag auf dem kalten Betonboden des alten Bahnhofs. Neben mir Miki und Auron. Die beiden schliefen noch, aber ich roch den penetranten Geruch von billigem Wodka an ihnen. Ein Plastikbecher, überfüllt mit Kippenfiltern war Mikki ins Gesicht gefallen. Ich hob ihn auf und rieb mir die Augen. Wie viel Uhr ist es? Ich hab keine Ahnung. Aber es ist kalt, sehr kalt. Mein Körper fühlte sich ausgelaugt und kraftlos an. Die Wunden von gestern brannten auf meiner Haut. An einigen Stellen hatten sich sogar Blutlinien auf meinen Kleidern abgebildet. Ich kramte in meiner Tasche herum, fand nichts. Dann sah ich bei Loni nach und fand wonach ich suchte. Ich klemmte eine Zigarette zwischen meine Lippen und zündete sie an. Meine Augen brannten, meine Seele auch. Doch es war mir egal. Schon lange. Ich zog den Rauch tief in meine Lunge und behielt ihn so lange wie möglich in meinem Körper. Damit er so viel wie möglich zerstörte.
Wenn es psychisch nichts mehr zum kaputt machen gibt, fängst du mit deinem Körper an. Ich starrte wie besessen auf die verdreckte Wand vor mir. Sie spiegelte meine Gefühle wider. Sie war voller Blut, Rost, Schimmel... Verkorkst. So wie ich es war.
Wie jede Nacht, wachte ich auf und saß stundenlang in der Stille. Denn das war die einzige Zeit, in der ich alleine sein konnte. Und ich liebte die Einsamkeit. Denn mir konnte niemand weh tun, mir konnte niemand widersprechen... Niemand konnte mich beleidigen und auch nicht erniedrigen. Sie war einfach da, und leistete mir Gesellschaft. Kompromisslos und schweigend. Was war aus mir geworden? Früher war ich der Schwarm vieler Männer, die Anführerin jeder Clique und das Vorbild für jedes Mädchen. Heute bin ich eine gehorchende Folterfigur, ein stilles Vergewaltigungsopfer und eine widerliche Drogensüchtige.
Ich zitterte, meine Zähne klapperten. Es waren gefühlte -20 Grad. Und ich saß mit einer dünnen Lederjacke, einer zerrissenen Jeans und einem fast stofflosem Pullover auf dem Boden einer alten Eingangshalle. Meine Mundwinkel verzogen sich zu einem verzweifelten Lächeln. Wie schnell sich dein Leben ändern kann... Wie schnell du einfach alles verlieren kannst. Ich ging aufs Gymnasium und wollte mein Abitur machen, wollte Jura studieren und irgendwann als Anwältin arbeiten. Jetzt bauete ich mir einen Joint nach dem anderen, trank Alkohol wie Wasser und ging keiner Auseinandersetzung aus dem Weg. Manchmal, für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich das Bedürfnis zu reden. Ich wollte mir alles von der Seele reden, alles erzählen, mich befreien. Aber dann meldete sich die fiese Stimme in meinem Kopf und führte mir all die Gründe auf wieso ich es nicht tun sollte. Wer hätte es schon verstanden? Wer hätte mir schon geholfen? Niemand. Also bräuchte auch niemand zu wissen was mich bedrückt. Nicht mal Loni und Mikki wussten es. Ich hing immer mit den beiden ab. Mikki ist von zuhause abgehauen und Loni hatte überhaupt keins. Sein Vater lebte im Kosovo und seine Mutter war tot. Sie erzählten aus ihrer Vergangenheit aber fragten nie nach meiner. Ich hätte ihnen sowieso nichts gesagt. Ich griff nach einer weiteren Zigarette und schweifte ab. Ich schweifte ab in die Vergangenheit.

"Papa bitte, nur ein mal! Komm schon Noizy tritt auf!"
"Wer kommt alles mit?"
"Eli und Valon!"
"Und Valon bleibt die ganze Zeit bei euch?"
"Ja!"
"Okay, geh."
"Wirklich? DANKE PAPA DU BIST DER BESTE!" ich fiel ihm um den Hals und bedankte mich 1000 mal.
Mein erstes Konzert! Das erste mal auf einem Konzert und mein absoluter Lieblingsstar trat auf! Ich war so aufgeregt. Ich rief sofort Valon an und sagte ihm Bescheid. Valon war wie mein großer Bruder, den ich nie hatte. Er war ein sehr guter Freund unserer Familie und mein Vater behandelte ihn wie seinen Sohn. Er freute sich mit mir und wir machten einen Treffpunkt aus.
Ja, mein Leben war normal. Die einzige Sorge die ich hatte, war ob Arton auch kommen würde. Er war mein damaliger Schwarm. Ich war so in ihm verschossen, dass es schon fast krank war. Auch Valon wusste das. Irgendwie hatte ich das Gefühl das es ihn störte, aber ich ignorierte das. Das war das letzte normale Jahr. Danach ging alles bergab. Dieses Konzert war das beste war mir zuletzt passiert war. Ich hatte mein Idol getroffen und mein Schwarm hatte mich geküsst. Aber das wars. Als wir zurück in Deutschland waren vergingen nur ein paar Monate, bis zum schlimmsten Tag meines Lebens...

How he saved me...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt