1 Jahr später...
"Ciao Liridona, bis Montag." verabschiedete mich meine Kollegin.
"Bis dann." Sagte ich winkte kurz und ging dann raus. Ich habe beim Anwalt angefangen. Anfangs gabs ein paar Schwierigkeiten, aber nach einer Probewoche haben sie schnell gemerkt, dass ich wirklich bemüht bin. Ich liebe den Job. Und wenn ich meinen Abschluss nachgeholt habe, kann ich sogar eine Ausbildung bei Ihnen anfangen. Das heißt für mich, Abendschule. Wisst ihr noch, früher? Als man sich beschwert hat über die Schule, das lernen, die Noten? Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sage, aber ich liebe es zur Schule zu gehen. Allmählich kriege ich mein Leben wieder auf die Kette. Und das gibt mir ein Gefühl von Selbstwert. Das einzige, womit ich noch zu kämpfen habe sind die Dunkelheit und die Berührungsängste. Es hat sich viel verändert seit dem letzten Jahr. Kujtims Schwester hat sich verlobt, er und seine Mutter pflegen wieder eine einigermaßen normale Beziehung. Und auch ich nähere mich so langsame heran. An meine Mutter meine ich. Wir müssen viel verarbeiten, viel reden, viel klären. Ich kann nicht vergessen was sie getan hat, aber zumindest versuche ich ihr zu verzeihen. Nur meinen Vater... den kenne ich immer noch nicht. Ich habe zu viel Angst vor der Begegnung. Sein Bruder ist auch wieder hergezogen. Und bei mir? Ich habe sehr viel Zeit mir Liridon verbracht. Wir haben viel geredet, viel gelacht, viel geweint. Er ist so ein herzensguter Mensch. Ich bin froh, ihn zu haben.
Kurz vor der Haustür krame ich meinen Schlüssel raus. Ich öffne die Haustüre und gehe rein.
"Schatz, ich bin da."
Keine Antwort. Hmm komisch. Ich legte meine Jacke ab, stellte meine Schuhe in den Schrank und ging ins Wohnzimmer.
"Schatz?" Vielleicht schläft er ja. Leise öffnete ich die Schlafzimmertür. Doch das Bett war leer. Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit. Ich ging ins Bad und klopfte vorsichtig.
"Zemer, bist du da drin?" Keine Antwort. Ich drückte die Türklinke runter und sah ins Bad, niemand da. Wow, okay. Er ist bestimmt nur kurz was besorgen. Ganz ruhig Liridona. Ich ging in die Küche, um zu sehen was es zu essen gab. Ich hatte einen Bärenhunger.
'Vielleicht isst du um diese Uhrzeit besser nicht.' sagte die Stimme in meinem Kopf spöttisch. Ich habe wirklich zugenommen. 7 Kilo. Und wenn ich wo weiter mache, Rolle ich irgendwann. Auch wenn ich das Gefühl habe, die einzige zu sein, die das so sieht. Ich schnappte mir einen Apfel und ging ins Schlafzimmer. Ich kramte mein Handy aus der Tasche und rief Kujtim an.
"Ja?"
"Hey."
"Hey, na, schon zuhause?"
"Ich schon ja, wo bist du?"
"Ich hol was zu essen, war zu faul zum kochen."
"Aha.. hahaha. Wie lang brauchst du?"
"Wieso? Vermisst du mich schon?" fragte er mit einem Lachen in der Stimme?
"Ich? Dich? Niemals. Wie kommst du denn auf so einen Blödsinn?"
"Hahaha. Ich bin in 10 Minuten da. Ich liebe dich."
"Okay, bis gleich, ich dich auch shpirt."
Ich legte auf und er lächelte mich vom Display meines Handys an. Auf meinem Gesicht zeichnete sich ein sanftes Lächeln ab. So fühlt sich also Normalität an hmm?
Völlig gedankenverloren hatte ich gar nicht gemerkt wie lange ich da eigentlich saß, und sein Bild anstarrte.
3 Jahre schon. Fühlt sich gar nicht so an. Die Zeit verfliegt mit ihm. Die Schritte im Treppenhaus reißen mich aus meiner Trance. Ich stehe leise auf und verstecke mich hinter der Wand. Sein Schlüssel rastet ins Schloss ein und die Tür geht auf.
"Liridona, ich bin daheim." Ich sage keinen mucks.
"Liridona?" Er dreht mir den Rücken zu und sieht Richtung Küche. Lautlos komme ich aus meinem Versteck und Schlinge die Arme um ihn.
Er zittert und ein ersticktes Geräusch kommt aus ihm heraus, eher er seinen Körper wieder entspannt und lacht.
"Ich hasse es, wenn du das machst."
"Ich weiß." er dreht sich zu mir um und küsst mich.
"Wieso tust du es dann."
"Es ist lustig." Sage ich und Strecke ihm die Zunge raus.
Ein Klaps auf meinen Po ist die Bestrafung. Meine Haut prickelt.
"Aua.." sagte ich gespielt beleidigt.
Er zuckt mit den Schultern und verschwindet dann in der Küche.
"Übrigens, du hast einen Brief bekommen."
Ich folge ihm.
"Von wem?"
"Weiß ich nicht, es steht kein Absender drauf. Hier."
Er reicht mir einen weißen Briefumschlag mit meiner Anschrift. Ich starre die Buchstaben an, mit denen mein Name geschrieben ist. Hmm, komisch. Ich kenne die Schrift nicht.
"Hast du ne Ahnung wer dir einen Brief schreiben würde?"
Ich schüttelte verwirrt mit dem Kopf. "Wer schreibt den heutzutage noch Briefe?" fragte ich.
"Willst du ihn nicht aufmachen?"
"Hmm.. ja doch schon.."
Vorsichtig riss ich den Briefumschlag ein und zog ein DIN A4 Blatt heraus.
"Für Dich" stand in einer schönen Schrift auf dem gefalteten Blatt. Ich klappte es auf und ging an zu lesen:
"Liridona..
wo soll ich bloß anfangen?
Seit 22 Jahren warte ich darauf, dich endlich in den Arm zu nehmen. Seit 22 Jahren, bete ich täglich zu Gott, dass es dir gut geht. Ich wünsche mir nichts sehnlicher als dein Glück. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dein Lächeln, jeden Tag. Ich weiß, dass ich keinen Anspruch darauf habe, dir solche Dinge zu schreiben, aber ich bin nunmal dein leiblicher Vater. Du bist mein Fleisch und Blut, und auch wenn wir uns nicht kennen, ich liebte dich, seit der ersten Sekunde als ich dich sah. Damals warst du so klein und zerbrechlich. Du hast in meine Hand gepasst. Ein kleines Wunder, welches ich in den Händen hielt. Doch dort trennten sich unsere Wege, für eine Zeit. Denn du wurdest mir weggenommen. Auch wenn ich mich dagegen gesträubt und gewehrt habe, deine Mutter hatte zu große Angst vor ihm. Zu große Angst, sich gegen ihn zu stellen. Aber das ist ein anderes Thema. Mit einem Schlag warst du plötzlich 1 Jahr alt. Ich sah dich zufällig mit deiner Mutter. Es war nur ein kleiner Augenblick, in dem du mich ansahst, doch er reichte um mein Herz mit Liebe und zugleich Trauer zu füllen. Deine großen, grünen Augen sahen mich an und für einen ganz kleinen Moment, huschte dir ein Lächeln übers Gesicht. Mein Herz schlug schneller bei diesem Anblick. Und doch brach es in zwei, denn ich konnte dich nicht in meine Arme schließen. So vergingen die Jahre, in denen ich dich aufwachsen sah. Aber das reicht mir nicht. Ich möchte mich bei dir entschuldigen Liridona. Es tut mir leid, dass ich nicht dabei war, als du zum ersten Mal gelächelt hast. Es tut mir leid, dass ich nicht dabei war, als du deinen ersten Zahn bekommen hast. Es tut mir leid, dass ich nicht dabei war, als du angefangen hast zu krabbeln. Es tut mir leid, dass ich deine ersten Schritte nicht miterleben konnte. Es tut mir leid, dass ich nicht da war, als du dich verletzt hast. Es tut mir leid, dass ich dich nicht trösten konnte, als du traurig warst. Es tut mir leid Liridona, dass ich dich nicht aufwachsen sehen konnte, dass ich dir kein Vater sein konnte, dass ich still und leise die Schmerzen ertragen habe, dich nicht bei mir zu haben. Es tut mir leid, dass ich nicht früher den Mut gefasst habe, dir diesen Brief zu schreiben. Ich könnte dies Liste noch ewig weiter führen. Doch das hätte keinen Sinn. Du bist mittlerweile eine wunderschöne, erwachsene Frau. Ich weiß, mit was du zu kämpfen hattest und wahrscheinlich immer noch hast Liridona, ich kann mir das Ausmaß nicht vorstellen, aber ich würde meine Zeit mit dir gerne nachholen. Wenn du das möchtest. Lass mich jetzt ein Vater für dich sein. Dir jetzt Trost spenden und dich auf deinem weiteren Lebensweg begleiten. Ich weiß, dass ich kein Recht habe, das von dir zu verlangen, aber es gibt nichts, was ich mir mehr wünsche. Was ich damit sagen will ist ganz einfach. Ich möchte meine Tochter kennenlernen. Ich möchte dich endlich in den Arm nehmen und dir zeigen, wie viel du mir bedeutest. Fühl dich nicht unter Druck gesetzt, nimm dir so viel Zeit wie du braucht um nachzudenken, aber bitte gib mir eine Chance.PS: Ich liebe dich"
Wie in Trance starrte ich auf die Zeilen. Ich spürte meinen Puls in den Ohren schlagen. Mein Herz drohte aus meiner Braut zu springen. Das Blatt, welches ich in den Händen hielt, fing an zu beben, und die Schrift verschwamm allmählich. Mein ganzer Körper zitterte, aber wieso? Wieso ging mir das so nah? Ich kenne ihn doch überhaupt nicht? In mir herrschte ein Durcheinander von Gefühlen. Ich sah Kujtim an, der geduldig darauf wartete, dass ich ihm erzählte worum es ging. Doch in konnte in diesem Moment nicht reden. Ich drückte ihm den Brief in die Hand und ließ meinen Tränen freien Lauf...
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How he saved me...
RomansaGeschlagen, missbraucht, hintergangen, vergewaltigt... Ich könnte noch viel mehr Punkte aufzählen die mir in meinem Jungen aber erbärmlichen Leben widerfahren sind. Irgendwann kommst du an einen Punkt im Leben, wo dir alles egal ist. Du suchst nicht...