Von der Muse geküsst

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Noch immer saß ich vorgebeugte auf Sophias Bettkante, hielt ihr Gesicht in meinen Händen und schloss die Augen, als ihre Lippen meine berührten. Ihre Hände strichen durch meine Frisur und ihr Mund bewegte sich sanft auf meinem. Das hier war Irrsinn. Ihr Atem streifte mein Gesicht und ihr Geruch drang in meine Nase. Das hier brachte mich keinen Schritt weiter. Ich wollte sie nicht wegstoßen und sie dann wieder an mich heranlassen. Was war morgen? Würde ich das bereuen? Würde ich dann wieder denken, dass meine Gefühle vielleicht nicht ausreichten. Oder würde ich wissen, was ich fühlte? Vielleicht machte es die Verwirrung auch nur komplett. Ich wollte trotzdem nicht leugnen, dass das sich hier gut anfühlte. Vertraut. Warm. Schön. Echt. Es war anders als Mina zu küssen. Mina küsste ich nicht einfach so, weil ich jemanden küssen wollte oder weil es sich gut anfühlte. Mina küsste ich nur, wenn ich Sex wollte. Sonst nicht. Wir hielten nicht Händchen und, mit einer Ausnahme, gab es auch kein Kuscheln. Wir redeten, wir lachten, wir hatten Sex. Natürlich hatte ich eine Form von emotionaler Nähe aufgebaut, aber das war etwas anderes. Es ging nicht um Liebe. Ich wusste was Sophia fühlte und das dieser Kuss durchaus nicht bedeutungslos für sie wäre. Es gab keine bedeutungslosen Küsse zwischen Sophia und mir. Die hatte es nie gegeben und wahrscheinlich würd ich riskieren ihr falsche Hoffnungen zu machen. Aber verdammt. Das hier fühlte sich gut an. Das hier war ein Gefühl von Vertrautheit, wie ich es nirgendwo sonst bekam. Vorsichtig öffnete ich meine Lippen und erwiderte den Kuss. Meine Hände glitten langsam ihren Hals hinunter und ich schob sie unter ihren Armen hindurch an ihre Schulterblätter. Sophias Arme schlangen sich um meinen Nacken, sie ließ sich weiter in die Matratze sinken und zog mich mit sich. Ich ließ es zu. Getrieben von diesem Gefühl von Wärme und Vertrautheit kletterte ich zu ihr auf die Matratze und ließ einfach los. Egal, was morgen war. Egal, wie durcheinander ich mich fühlte. Egal, ob es uns nun weiterbrachte oder nicht. In diesem Moment war es vollkommen okay für mich. Ich fühlte, wie Sophia sich in meinen Armen entspannte und das hier genoss. Fragend stieß ihre Zunge vorsichtig gegen meine und schnell wurden die Küsse inniger. Ich ließ die Augen geschlossen. Ich wollte keine erwartungsvollen Blicke, die die Situation emotionaler machten, als sie war. Das hier war ein Kuss. Kein Versprechen. Ich hoffte sie würde das wissen, aber sie kannte mich und sie wusste um das Durcheinander in meinem Kopf. Sie würde wissen, dass ich heute Nacht mit zu viel Rotwein im Blut sicher keine Entscheidung treffen würde. Allerdings wusste ich es zu schätzen, dass sie um mich kämpfte. Denn das schien sie hier zu tun und das wusste ich zu schätzen. Sie hatte mich geküsst. Ich hatte keinerlei Initiative ergriffen und hätte es auch nicht getan.
Sophias Hände strichen über meinen Rücken und zwirbelten die Härchen in meinem Nacken. Ich seufzte leise in den Kuss. Sie kannte mich einfach zu gut. Wieder wurden unsere Küsse inniger und um nicht die Oberhand zu verlieren oder kopflos zu handeln, zog ich mich vorsichtig zurück und löste mich von ihren Lippen. Das erste Mal sah ich sie an und konnte ihren Blick nicht deuten. Ich sah keine Erwartung oder Erleichterung. Sie sah mich einfach nur an und sagte nichts. Noch einmal senkte ich meine Lippen kurz auf ihre und vergrub dann mein Gesicht an ihrer Schulter.
„Ich muss gehen jetzt." Brummte ich.
„Ich weiß." Kam es leise zurück und nochmal strich sie zärtlich über meinen Rücken, drehte den Kopf zur Seite und küsste meine Schläfe.
Umständlich kletterte ich von ihr runter und stieg aus dem Bett.
„Schlaf gut." Meinte ich und sah auf sie runter. „I find the way out. Stay in bed."
Sie nickte nur und lächelte leicht.
"Komm gut nach Hause."
Ich drehte mich in der Tür nochmal zu ihr um und grinste schief, bevor ich die Schlafzimmertür von draußen schloss. Kurz schnaufte ich und strich meine Haare zurück, bevor ich den Flur Richtung Haustür leise hinunterging. Gerade hatte ich die Türklinke runtergedrückt, entdeckte ich Alex, der verschlafen in Boxershorts und T-Shirt im Rahmen zum Wohnbereich lehnte. Er sah mich finster an. Eine kurze Angst überkam mich. Auf Streit hatte ich jetzt wirklich keine Lust. Der Abend war aufregend genug gewesen und ich brauchte keine Tipps oder Ratschläge von ihm. Es war gut zu wissen, dass er Sophia gegenüber loyal war und ich wusste, dass nie etwas zwischen die beiden kommen würde. Nicht mal eine gemeinsame Nacht hatte das zerstören können. Trotzdem interessierte mich seine Meinung nicht. Natürlich war er auf ihrer Seite und das war auch richtig. Aber seine Feindseligkeit vom Vortag konnte er für sich behalten.
Ich sah ihn dunkel an und öffnete die Tür.
„Check your mobile!" brummte ich nur. „Take care of her. I can tell you, Joonas can't."
Dann verließ ich das Haus, schloss die Tür hinter mir und ging schnellen Schrittes die Auffahrt zur Straße hoch. Ich kramte in meinen Jackentaschen nach meinen Zigaretten und lief in Richtung Bahnhof. Die kalte Luft tat gut, die Zigarette entspannte mich etwas und nach einer Weile hielt ich ein entgegenkommendes Taxi an und fuhr Richtung Munkkiniemi nach Hause.
Die ganze Fahrt ging mir dieser Moment nicht aus dem Kopf. Ich war erleichtert, dass Sophia die Situation nicht falsch aufgefasst hatte. Ob das nun richtig oder falsch gewesen war, war mir vorerst egal. Es hatte sich gut angefühlt und sie hatte keine Erwartungen an mich gestellt. Das sie Initiative zeigte und ins kalte Wasser sprang schmeichelte mir zwar, jedoch wusste ich nicht, ob ich es dem Alkohol zu verdanken hatte.

Ich schloss die Haustür auf, zog meine Schuhe aus und hängte meine Jacke an die Garderobe. Im Haus war es dunkel, jedoch standen Minas Schuhe, die sie heute Abend getragen hatte auf dem Boden. Nachdem ich einen Schluck Wasser getrunken und eine letzte Zigarette auf der Terrasse geraucht hatte, ging ins Schlafzimmer, warf meine Klamotten über den Sessel in der Ecke und verschwand kurz im Bad. Als ich zurückkam, saß Mina im Schneidersitz in ihrem Schlafshirt auf dem Bett und sah mich an.
„Nicht so eine nette Art und Weise uns da einfach stehen zu lassen."
„Sorry." Sagte ich und das war ehrlich gemeint. „I took Sophia home."
„Das hab ich mir gedacht. Geht es ihr gut?"
Ich legte den Kopf schief.
„Es geht so. She's really sad."
"Geht es dir gut?"
"Ja. Alles okay."
"Habt ihr geredet?"
"Eine bisschen."
Ich wollte ihr nichts von dem Kuss erzählen. Wenn man das überhaupt „einen Kuss" nennen konnte. Als ich Sophias Haus verlassen hatte und auf die Uhr gesehen hatte, war ich etwas verwundert gewesen, dass wir über eine halbe Stunde in ihrem Schlafzimmer verbracht hatten. Ich wollte selbst erstmal darüber schlafen.
Ich setzte mich neben Mina auf das Bett und lehnte mich an das Kopfteil.
„Riku hat mich mit nem Taxi nach Hause gebracht."
„I knew he would." Meinte ich und streckte die Beine aus. „Ich wollte dich da nicht alone lassen. That was rude. Ich war eine wenig shocked, weil Sophia was so drunk and Joonas couldn't get Alex on the phone."
"Du fühlst dich verantwortlich für sich. Das ist normal."
Ich nickte.
„Ich mache das wieder gut, okay?"
„Ich wollte mich vorhin nicht in eure Unterhaltung einmischen, aber ich stand daneben und sie einfach zu ignorieren fand ich unhöflich. Allerdings fand ich es blöd, dass du mich ein wenig auf das hier", sie klopfte auf das Bett, „reduziert hast. Ich denke uns verbindet etwas mehr als nur Sex. Oder sehe ich das falsch?"
„No." Ich schüttelte den Kopf. „Das war nicht nice from me. Ich war so surprised, dass du hast dich introduced und dass du hast "hi" gesagt. I didn't expect that. We are friends and I'm very thankful, dass du bist here. Sorry."
Mina grinste.
"Dann ist ja gut. Ich habe nämlich vorhin meine Mails gecheckt, als ich zurück kam und ich habe einen Auftrag bekommen. Ein Magazin hat Interesse an einigen meiner Bildern, die ich gemacht habe."
„Nicht die pictures du hast gemacht von mir." Protestierte ich.
„Nein." Lachte sie. „Es geht um andere Fotos und sie hätten gern mehr Bilder aus Helsinki. Ich würde also noch etwas bleiben, wenn das okay ist."
„Sure. Du kannst bleiben here, as long as you like."
"Danke."
Ich nickte.
"Ich gehe schlafen, ich bin todmüde."
„Good night." Meinte ich und verzog mich auch unter die Decke, als Mina das Schlafzimmer verließ.
Irgendwie hatte sie ein Gespür dafür, wann es besser war mich einfach in Ruhe zu lassen. Sie bohrte nicht weiter und machte auch keine Anstalten hier schlafen zu wollen. Heute wäre mir das komisch vorgekommen.

Ich wälzte mich von einer Seite zur anderen, fand aber keinen Schlaf. Ich versuchte es mit fernsehen, aber auch das Gequatsche im Hintergrund ließ mich nicht einschlafen. Irgendwann gab ich es auf, zog mir ein Shirt über und ging ins Studio nach oben. Wieder klappte ich meinen Laptop auf und hörte mir einige Aufnahmen an, kritzelte auf dem Block herum und versuchte einige Akkorde auf meiner Gitarre. Soweit ich auch mit der Melodie war, der Text hing noch immer. Ich fand nicht die richtigen Worte und strich immer wieder Wörter oder ganze Zeilen durch. Irgendwann klopfte es an der Tür und Mina lugte um die Ecke. Sie grinste.
„Kannst du nicht schlafen?"
„No. Ich bin nicht müde. I thought maybe I could work a little an diese song, but the lyrics are stupid."
"Ich bin wieder aufgewacht und konnte nicht wieder einpennen. Darf ich mal gucken?"
"Sure."
Sie kam rein, schloss die Tür hinter sich und setzte sich neben mich auf das Sofa. Mina kämpfte sich durch mein Gekrakel auf dem Block und nickte.
„So schlimm finde ich es jetzt nicht. Spielst du es mir mal vor?"
Ich schlug die Akkorde an und sang ihr das das unvollendete Werk vor. Immer wieder pausierte ich und kommentierte die einzelnen Zeilen.
„This sucks." „I hate this word." "Sounds stupid." "There might be a better word for it." "Couldn't find a rhyme for this."
Mina lauschte konzentriert und schrieb auf dem Block herum.
„Wie wäre es damit?"
Sie hielt mir das Papier vor die Nase.
„Yes. Das ist better."
Wieder spielte ich die Zeile an und setzte ihre Vorschläge ein.
„Oh. Wait. What about this?"
Nochmal spielte ich es an und plötzlich kamen mir Ideen. Sie strich wieder etwas durch und schrieb meine neuen Vorschläge auf und es funktionierte.
Die ganze Nacht saßen wir zusammen im Studio. Irgendwann waren wir auf den Fußboden umgezogen und um uns herum lag haufenweise Papier. Mina nahm die Sachen mit dem Macbook auf und tippte die vorerst fertigen Passagen in einem Pages-Dokument ab. Das hier machte Spaß. Wir lachten viel und sie inspirierte mich. Es ging ganz leicht. Diese Art von Momenten hatte ich nie mit Sophia geteilt. Das hatte erst Mina mir vor Augen geführt und mit ihr hier zu sitzen war das normalste der Welt. Als würde ich nie anders Songs schreiben. Obwohl sie rein gar nichts mit Musik zu tun hatte, außer dass sie mit ihrem Exfreund an Songs geschrieben hatte, hatte sie Ideen. Zwar waren das nicht die, die letzten Endes, auf dem Papier standen, aber mit ihren Vorschlägen kamen mir weitere Einfälle.
Irgendwann legte ich die Gitarre zur Seite und Mina klappte das Macbook zu.
„That was fun." Grinste ich.
„Ja. Finde ich auch."
Ich war froh darüber, dass sie noch ein wenig bleiben würde. Wieder hatte sie irgendwie die richtigen Knöpfe gedrückt. Die Gedanken an den Abend bei Sophia waren erneut in weite Ferne gerückt und ich hatte mich nach langer Zeit mal wieder intensiv mit einem Song beschäftigt.

Ich trank den letzten Schluck aus meiner Wasserflasche, schraubte den Deckel zu und lehnte mich mit dem Rücken an das Sofa hinter mir.
„Müde?", fragte Mina.
„Eine bisschen, yes."
„Lass uns ins Bett gehen."
Sie stand auf und sammelte die vielen Zettel vom Boden auf. Ich folgte ihr Richtung Tür und ging hinter ihr die Treppe runter. Die grüblerische Laune nach meiner Heimkehr war weg. Ich war zufrieden. Ein Gefühl, dass sich in letzter Zeit eher selten einstellte. Mina ging in die Küche, nahm sich noch einen Schluck Wasser, während ich an der Treppe wartend am Geländer lehnte und den Ausblick genoss, als sie sich nach einem Glas im Schrank reckte. Es war ja nicht so, dass ich den schwarzen Spitzenslip nicht vorher schon gesehen hatte, aber jetzt wirkte sie ganz anders auf mich, nachdem wir diese Momente im Studio zusammen verbracht hatten und meine Laune um einiges anders war, als noch vor ein paar Stunden.
„Schlaf gut." Sagte sie leise und lächelte, als sie an mir vorbeiging und die ersten Stufen erklomm, um nach oben zu gehen, wo sich das Gästezimmer gegenüber des Studios befand.
„Mmh mmh." Machte ich, schüttelte den Kopf und griff über das Geländer nach ihrem Handgelenk, als sie mich passierte.
Mina blieb stehen und sah überrascht zur Seite. Ich ging um das Geländer herum, trat an die unterste Stufe heran, ohne sie loszulassen und sie drehte sich zu mir um. Ich sah zu ihr hoch und zog sie einen Absatz weiter runter. Mina verzog keine Miene, wehrte sich aber auch nicht. Sie sah mich nur abwartend an und ließ es geschehen, als ich hier Shirt ein Stück hochschob und ihren Bauch küsste. Ihre Hände verschwanden in meinen Haaren und sie sah zu mir runter. Als sich unsere Blicke trafen, griff ich nach ihrer Hüfte und wie automatisch schlangen sich ihre Beine um mein Becken, als ich sie an mich zog und unter wilden Küssen ins Schlafzimmer trug.

Als wir einschliefen, ging die Sonne bereits auf.

HeimkehrWo Geschichten leben. Entdecke jetzt