Wrecking ball

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Die Woche war ziemlich turbulent. Alex und ich verbrachten viel Zeit im Studio und kamen oft erst nachts zurück ins Studio. Samu und ich hatten uns für Sonntag zu einem gemeinsamen Frühstück verabredet, da ich unter der Woche eigentlich nur zum Schlafen zu Hause war und er sich mit der Band traf um, einige Dinge für die neue Tour zu klären, die im Frühjahr beginnen sollte. Außer ein paar Nachrichten und einem kurzen Telefonat, hörten wir ziemlich wenig voneinander, weil einfach keine Zeit war. Er fehlte mir und ich war einfach froh, dass wir uns irgendwie wieder annäherten. Die gemeinsame Nacht bei mir zu Hause hatte mir viel bedeutet und Punkt 2 auf meiner Liste war, Alex und Samu wieder zu versöhnen. Ich wusste, dass Samu sich das wünschte und auch Alex konnte nicht für immer auf stur schalten.
„Kleine, wir müssen reden." Meinte er und drehte seinen Sessel zu mir.
„Das klingt so ernst." Sagte ich und sah ihn an.
„Wir sind hier bald fertig und die Termin in LA werden eng."
„Du willst nach Hause."
Er nickte.
„Ich muss. Ehrlich gesagt bin ich fand etwas wehmütig ich hab mich hier irgendwie gerade eingelebt. Ich vermisse zwar LA und die Sonne, aber das hier hat durchaus seine Vorzüge. Aber ich glaube es wird Zeit, dass ich die Koffer packe. Das einzige, was mich etwas besorgt stimmt ist die Sache mit Hapa."
Ich seufzte.
„Du musst dir keine Sorgen machen."
„Du weißt, ich war derjenige, der dir damals gesagt hat, dass du mit ihm gehen sollst. Ich war auch derjenige, der dich wieder hergeschickt hat, nachdem du hier geflüchtet bist. Aber jetzt bin ich auch derjenige, der dich bittet das nicht wieder gegen die Wand zu fahren. Auf mich wirkt das alles etwas halbherzig."
„Meine Gefühle haben sich nicht verändert."
„Aber soweit ich weiß, Samus schon."
„Soll ich jetzt einfach alles hinwerfen, weil ich vielleicht verletzt werden könnte. Dann dürfte man sich niemals verlieben."
„Du bist einfach noch nicht satt. Irgendwann wirst du es wahrscheinlich sein. Ich hab ein wenig Angst, dass du dann wieder als Zombie in LA auftauchst. Das Studio läuft. Egal was passiert. Die Pläne stehen bis Ende des Jahres."
„Glaubst du wirklich, dass ich hier alles absage und verschwinde?"
Alex schnaufte.
„Nein. Eigentlich nicht."
„Dann hör auf mit dem Mist. Ich bin alt genug."
„Das weiß ich. Ich will hier auch nicht wie der besorgte Papa rüberkommen."
„Dafür bist du nicht alt genug."
„Und definitiv zu heiß."
Wir lachten beide.
„Wann fliegst du?"
„So wie der Plan ist, nächste Woche."
„Ich hab mich fast daran gewöhnt, dass du bei mir wohnst."
„Aber nur fast. Ich bin es leid mir ständig was zu Hause anzuziehen."
„Too much information."
„A pros pros. Was ziehen wir Samstag an? Muss ich mich in Schale werfen?"
„Nein. Es gibt keinen Dresscode."
„Yiiihaaaa. Ich hatte schon befürchtet, dass ich mir was um den Hals schnallen muss. Machen wir einen drauf?"
„In erster Linie dachte ich, dass es vielleicht ganz nett ist, um weitere Kontakte zu knüpfen und ich treffe mich am Sonntag mit Samu zum Frühstück. A pros pros....."
„Nein."
„Was nein?"
„Ich hab keine Lust auf eine große Aussprache. Noch nicht jetzt."
„Ich denke Samu würde das gern klären, bevor du abreist."
Er schnaufte.
„Alex, mir ist das auch wichtig."
„Ich denk drüber nach, okay?"
„Ich weiß, dass du ihn eigentlich abgöttisch liebst. Das wissen wir alle." Grinste ich. „Warum bist du so zickig?"
„Ich bin nicht zickig. Ich fand es einfach nicht okay, wie er reagiert hat und die Nummer mit „Oh, ich weiß nicht was ich fühle, aber ich will dich nicht verlieren, also bleib bitte schön brav hier sitzen und warte, bis ich mein Hirn wiederfinde", fand ich mehr als daneben."
„Das ist grob überspitzt oder? Das hat er nie verlangt."
„Aber du hast dich so verhalten."
„Wir haben darüber geredet. Ich habe ihm gesagt, dass ich das nicht in Ordnung fand."
„Ich verstehe gar nicht, dass du dir das hast gefallen lassen."
„Natürlich war ich wütend darüber, dass er mich in der Luft hängen lässt, aber im Moment fühlt es sich gut an."
„Im Moment. Für mich wirkt er noch immer nicht wie der Samu, der sich damals von mir in LA verabschiedet hat. Das ist alles so schwammig mit euch. Ich mein, was seid ihr denn jetzt?"
„Das weiß ich gerade selbst noch nicht, aber wir versuchen es rauszufinden."
„Ich wünsche mir wirklich für euch, dass es funktioniert, aber mir kommt das alles noch spanisch vor. Er war sich immer so sicher und hat irgendwie immer alle Hebel in Bewegung gesetzt und jetzt plätschert das so vor sich her. Egal, du hörst eh nicht auf mich. Ich gehe jetzt jedenfalls nach Hause und ich freue mich auf Samstag. Mach nicht mehr so lange."
„Ich gehe auch bald."
Alex stand auf, drückte mir einen Kuss auf den Kopf und ging.

Am Samstag stiegen wir um Punkt 20 Uhr aus dem Taxi vor dem Universalgebäude und wurden im Foyer mit Getränken empfangen. Die Veranstaltung sollte in den Katakomben der Firma stattfinden und als wir die Treppe hinuntergingen hörte man schon das Stimmengewirr. Der Saal war gut gefüllt und hübsch dekoriert. Es gab ein großes Büffet und die Tische waren schön eingedeckt. Das Programm des Abends war als Überraschung ausgeschrieben und ich freute mich einige Leute zu treffen, die ich in den letzten Monaten kennengelernt hatte. Einige Produzenten und A&R's waren im Studio aufgeschlagen und es hatte viele Gespräche über Verträge stattgefunden. Einige Leute kannten wir auch nur vom Telefon und waren gespannt die Leute mal live zu sehen.
Alex trug schwarze Jeans und hatte sich zumindest zu einem weißen Hemd überreden lassen. Die Ärmel hatte er hochgekrempelt und den letzten Knopf aufgelassen. Auf ein Cappy hatte er trotzdem nicht verzichten wollen und viel damit auch gar nicht auf. Die Leute waren alle leger gekleidet und hatten gute Laune. Es lief Musik im Hintergrund und während Alex bereits in ein Gespräch vertieft war, entschuldigte ich mich kurz auf die Toilette.
Ich checkte mein Spiegelbild und zog meinen hellen Lippenstift nach. Die Haare hatte ich geglättet und ein dunkles Augen-Make up aufgetragen. Ich hatte mich für ein schwarzes Kleid mit einem kleinen weißen Kragen entschieden und trug schwarze Strumpfhosen und rote Heels, die zu meiner roten, kleinen Umhängetasche passten, die heute Abend mehr Dinge beherbergten, als sie gewohnt war. Warum waren die Dinger immer so klein? Schlüssel, Puder, Lippenstift, Zigaretten, Feuerzeug, Handy und meine Kreditkarte. Nochmal ordnete ich alles, damit die Tasche nicht verbeult war und ging wieder rüber zu den anderen. Wir tranken Sekt und unterhielten uns eine Weile mit diversen Leuten, bis man uns bat die Plätze einzunehmen. Es gab mehrere große, runde Tische, an denen jeweils 8 Personen saßen. Ein Moderator betrat die kleine Bühne, begrüßte uns und sagte, dass das Musikprogramm des Abends nun starten würde, bevor man das Büffet eröffnen würde. Alex schnaufte kurz, weil er schon bevor wir losgefahren waren gemault hatte, dass er Hunger hatte. Er begnügte sich also weiter mit den Erdnüssen und gesalzenen Mandeln auf dem Tisch.
2 finnische Bands gaben jeweils 2 Songs zum Besten und die Stimmung im Saal war gut. Die Leute klatschten mit und wippten auf ihren Stühlen. Dann erschien wieder der Moderator auf der Bildfläche und kündigte einen weiteren Überraschungs-Act an. Ich wühlte ich in meiner Tasche nach meinem Handy, weil ich Samu ein Foto schicken wollte. Wir hatten das letzte Mal am Donnerstag telefoniert. Er steckte noch immer in den Vorbereitungen für die Tour und er wusste, dass ich am Wochenende einen Termin mit dem Management einer Band hatte. Der Manager saß neben Alex und stürzte sich ebenso hungrig auf die Nüsse. Von der Veranstaltung hatte ich gar nichts erwähnt und wir hatten bereits über einen Termin gesprochen, wann die Band mal bei uns im Studio vorbeikommen würde. Ich richtete meine Handykamera auf die Bühne und ließ das Telefon vor Schreck fast fallen, als der Moderator Sunrise Avenue ankündigte und Samu mit den Jungs auf die Bühne trat. Verwirrt sah ich zu Alex rüber.
„Hast du das gewusst?"
„Nein." Meinte ich verdaddert. „Samu hat gesagt, dass sie gerade die Tour vorbereiten. Ich habe ihm nichts von der Veranstaltung erzählt. Nur, dass wir einen Termin für Aufnahmen mit einem Management besprechen."
„Eure Kommunikation läuft ja hervorragend." Gab er sarkastisch zurück.
Ja, ich war überrascht. Wir hatten irgendwie aneinander vorbeigeredet. Vielleicht hätte ich da genauer ins Detail gehen sollen. Samu wusste wahrscheinlich gar nicht, dass ich mittlerweile hier etwas Fuß gefasst hatte und eingeladen worden war. Wir hatten einfach nicht darüber gesprochen. Das hier sah zwar nicht nach der Vorbereitung für die Tour aus, aber er musste mir nun auch nicht jeden seiner Schritte erklären. An dem Punkt waren wir noch nicht. Vielleicht fand er es auch nicht erwähnenswert. Er hasste solche Veranstaltungen, wo man sich die Hände schüttelte und Smalltalk betrieb. Wahrscheinlich hatten sie den kleinen Auftritt nur eingeschoben und tagsüber über Verträgen für die Tour gebrütet.
Ich erkannte die ersten Takte von „Unholy Ground" und musste lächeln. Irgendwie war es lustig hier zu sitzen und ihm zuzusehen, ohne dass er wusste, dass ich anwesend war. Bis heute war ich nicht wirklich textsicher und nahm mir vor das zu ändern.
Die Leute klatschten mit und selbst Alex ertappte ich dabei, wie er mit dem Fuß wippte und aufmerksam zuhörte.
Nach dem Song begrüßte Samu die Leute, bedankte sich bei der Plattenfirma, erzählte etwas über seine Labelgründung und über ein Album von Niila, den ich nie wirklich kennengelernt hatte. Ich hatte seinen Auftritt in Berlin gesehen. Das war's aber auch. Er bedankte sich bei Mikko, den ich nun am Rand der Bühne stehen sah und dann erklangen die ersten Töne von „Hollywood Hills" in einer ruhigen Version, wie ich sie nur von meiner Terrasse in LA oder der Demoversion aus meinem Autoradio am Flughafen kannte. Ich stieß Alex an und auch er musste grinsen. Die Leute sangen laut mit und ich freute mich hier Zuschauer sein zu dürfen. Samu hätte der Gedanke vielleicht gefallen zu wissen, dass ich ihm hier begeistert zuhörte. Es war so toll das hier zu hören und zu sehen. Er hatte die Augen geschlossen und sang die mir so bekannten Zeilen und ich wusste, an was er dachte und das machte mich wahnsinnig glücklich. Nochmal sah ich zu Alex rüber und er zwinkerte mir zu. Vielleicht hatte ihn das jetzt auch ein wenig weichgekocht.
Als der Song zu Ende war kündigte Samu einen letzten Song an, von dem er berichtete, dass er ihm sehr viel bedeute.

„There is somebody, I spent a lot of time with during the last weeks. It's so nice to have people around you, who understands you and makes you smile, even if happiness is the last thing you could think about. Mina, this is for you. This is "Welcome to my life"."

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