Der schönste Ort der Welt

169 6 0
                                    


Samu hatte Recht. Etwas, was ich mir ungern eingestand. Alex' Rolle in dieser ganzen Geschichte war wohl die undankbarste. Er vollführte einen Spagat und darüber war ich mir bisher gar nicht im Klaren gewesen. Ich dachte er könnte das einfach handhaben, immerhin hatte er mich eingeladen ihn auf der Tour zu begleiten. Aber das brachte auch eine Menge Stress und Organisation mit sich. Neben seines Jobs hier, arbeitete er noch mit mir und versuchte Samu und mich in getrennten Käfigen zu halten. Was sicher nicht dumm war, aber für ihn einen enormen Aufwand darstellen musste. Freunde würde er sich da auf Dauer auch nicht mit machen. Er hatte dafür gesorgt, dass ich in die Hallen kam und niemandem über den Weg lief, den ich nicht sehen wollte. Das würde auf Dauer auch keiner mit sich machen lassen. Wahrscheinlich würde Mikko irgendwann der Kragen platzen und er würde Alex sagen, dass er sie dumme Tussi bitte endlich entfernen sollte. Oder Samu hätte irgendwann ein Treffen provoziert, um sich frei bewegen zu können. Er schien kein großes Problem gehabt zu haben das Gespräch zu suchen, obwohl ich ihn gut genug kannte, um zu wissen, dass er solchen Momenten lieber aus dem Weg ging. So leicht wie es schien, war es ihm sicher nicht gefallen. Ich war selbst überrascht, dass ich nicht so reagiert hatte, wie ich erwartet hatte. Ein Aufeinandertreffen mit Samu hatte ich mir anders vorgestellt. Zu groß war die Angst gewesen, dass all das, was geschehen war wieder hochkam. All die Gefühle. All die Wut. Zitternde Hände. Herzklopfen. Nichts davon war eingetreten. Ich hatte zwar nicht gedacht, dass er jemals ein Gespräch provozieren würde, aber ich musste mir eingestehen, dass das was er gesagt hatte Hand und Fuß hatte. Direkt stellte sich ein schlechtes Gewissen Alex gegenüber ein. Sein Leben war in Helsinki genauso weitergelaufen wie mein in LA. Er hatte sich mit Samu ausgesprochen, hatte Zeit mit ihm verbracht und war sogar mit ihm im Urlaub gewesen. Die Freundschaft war tiefer geworden und trotzdem hatte er versucht mir gegenüber loyal zu bleiben und hatte mich gefragt, ob es für mich ein Problem darstellen würde, wenn er mit auf Tour ging. Und ich wusste, wenn ich „Ja" gesagt hätte; er wäre zu Hause geblieben. Natürlich hatte ich keine Luftsprünge gemacht, als er mir das eröffnet hatte, aber natürlich wollte ich ihm nicht im Weg stehen. Das Bild in meinem Kopf, wie er mit Mina und Samu zusammen Wein auf der Terrasse trank, war mir trotzdem ein Dorn im Auge. Ich kannte Mina nicht. Alex hatte erzählt, dass sie gar nicht gewusst hatte, dass Samu und ich uns bereits wieder näher gekommen waren. Das gab mir erstrecht das Gefühl, dass er irgendwie ein doppeltes Spiel gespielt hatte und das konnte ich mir bis heute nicht erklären. Diese Frau war einfach so aufgetaucht. Aus Spanien! Plötzlich war sie ein wichtiger Teil seines Lebens geworden und anscheinend bis heute geblieben. Ablöse auf dem Fuß. Ich wollte nicht mit ihr tauschen. Er war nicht einfach und sein Lebensstil anstrengend und bedeutet gleichzeitig auch immer eine Spur Einsamkeit. Sie würde ihn sicher auch nicht immer begleiten können und er würde sie auch nicht immer dabeihaben wollen. Das war Teil dieses Lebens. Für mich hatte das kein Problem dargestellt, aber wir waren auch in einer Zeit zusammengekommen, als es noch um einiges turbulenter in Samus Leben zugegangen war. Davon profitierte sie natürlich jetzt. Vielleicht hätten wir zu einem anderen Zeitpunkt auch bessere Karten gehabt. Vielleicht war sie beruflich auch nicht so eingespannt und konnte ihm da selbst mehr Zeit bieten. Ich erinnerte mich an den schrecklichen Streit zu Hause in Helsinki, als Samu plötzlich wenig Verständnis dafür gehabt hatte, dass ich nicht mehr so viel Zeit für ihn gehabt hatte und wieder angefangen hatte zu arbeiten. Er hatte sich daran gewöhnt, dass ich da war und seine freie Zeit mit ihm teilte und nicht immer einrichten konnte mal eben Essen zu gehen, weil sich im Studio die Arbeit türmte. Er hatte das auch eingesehen. Und mir vorgehalten, dass er sich zumindest gewünscht hatte, dass ich es versuchen würde. Das hatte ich auch, aber das funktionierte nicht immer. Vielleicht war Mina da flexibler. Was sollte ich da jetzt Vergleiche ziehen? Das wollte ich gar nicht. Ich hasste ihn nicht mehr, aber ich konnte mir auch nicht mehr vorstellen nach dieser Tour nach Hause zu fliegen und mit ihm im selben Bett zu schlafen. Jeder für sich war vielleicht wieder bei sich selbst angekommen, aber als WIR waren wir vollkommen anders geworden. Das gab es gar nicht mehr und wahrscheinlich hatten wir beide keine große Lust irgendeine gemeinsame Basis zu finden. Aber er hatte Recht. Für Alex musste das irgendwann funktionieren. Wie wusste ich aber auch nicht.
Ich fischte mein Handy aus der Tasche und antwortete Ben, dass ich noch in Berlin war und die Zeit mit Freunden verbrachte. Das ich viel mit Alex arbeiten würde und das ich hoffte, dass es ihm gut ging. Auch das ich an ihn dachte. Das war nicht gelogen. Hätte ich mich entschieden in LA zu bleiben, dann hätte da schon mehr draus werden können. Jetzt lag das alles erstmal auf Eis und ich kümmerte mich um das Hier und Jetzt. Was bedeutete, dass ich einen Flug buchte und meine Sachen im Hotelzimmer zusammen suchte. Als ich im Bett lag, schickte ich Alex eine Nachricht, dass der Flug gebucht sei und die Antwort kam kurz darauf. Er freute sich und bestätigte mir eine zusätzliche Hotelbuchung, damit ich wusste, wohin es mich verschlug. Die Reisegruppe Sunrise Avenue würde noch nach dem Konzert nachts weiter nach Zürich fahren und ich würde erst am nächsten Tag zurück nach Berlin fliegen und Alex 4 Tage später in München wiedersehen. Darum würde ich mich in Berlin kümmern.
Das diese Situation über kurz oder lang ein weiteres Gespräch mit Samu einforderte, löschte ich erstmal aus meinen Gedanken. Das hatte bisher nicht auf meiner Agenda gestanden.

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Als ich ins Hotelzimmer zurückkam, leuchtete mir die Nachttischlampe auf meiner Seite des Bettes den Weg. Mina lag im Bett und schlief. Neben ihr konnte man einen Baum absägen. Die Frau war so licht nicht wachzukriegen. So tief sie schlief, desto wacher war sie am Morgen. Mina war so ungefähr das Gegenteil von mir. Sie konnte einfach aus dem Bett hüpfen und plauderte drauflos. Keine Muffelei, kein Schweigen. Sie hatte meistens gute Laune und wenn sie wach war, war sie wach. Während ich nichts hören oder sehen wollte und den Weg zur Kaffeemaschine suchte, um Denken und Atmen gleichzeitig koordinieren zu können, prasselten noch im Halbschlaf eine Menge Informationen auf mich ein. Sie nahm es mir nicht übel, dass ich nicht unbedingt ein Morgenmensch war und bis nach dem zweiten Kaffee und einer Dusche meistens nur brummte und nichts weiter sagte. Da hatte ich auch schon andere Erfahrungen gemacht.
„Hast du schlechte Laune? Hast du schlecht geschlafen? Bist du sauer? Geht's dir nicht gut?"
Mina nahm mich so wie ich war und versuchte nicht mich zu verändern oder maulte rum, dass ich vielleicht einfach keine Lust hatte zu reden oder einfach noch nicht dazu in der Lage war. Sie redete, ich hörte mit einem Ohr zu und sie forderte da auch nichts ein. Es funktionierte.
Nach der Rückkehr aus Australien war die Sache relativ klar gewesen. Jedenfalls hatte ich um einiges klarer gesehen. In Helsinki fühlte sich alles irgendwie richtig an. Wir verbrachten unsere gesamte Zeit miteinander und diese Zeit war großartig. Wir gingen gemeinsam zum Eishockey, kochten zusammen, gingen auf Konzerte und niemals war die Stimmung irgendwie angespannt oder anstrengend. Ich hatte das Gefühl ganz ich selbst zu sein und mich fallenlassen zu können. Ein Gefühl, dass ich lange nicht gehabt hatte. Die letzten Monate waren irgendwo zwischen Stress und Gefühlschaos einzuordnen gewesen und das hatte sie alles weggewischt.
Natürlich war ich nervös wegen der Tour gewesen und auch sehr beschäftigt, aber auch hier hielt sie mir den Rücken frei und unterstütze mich. Sie war da, wenn man sie brauchte, aber sie engte mich nicht ein und ließ mir meinen Freiraum, wenn ich ihn brauchte. Sie konnte abschätzen, wie es mir ging und in welcher Stimmung ich war und forderte nichts ein, wenn ich gerade nicht wirklich den Kopf dafür hatte mich um andere Dinge zu kümmern. Auch ein paar Tage im Schnee ohne sie, waren kein Thema gewesen. Obwohl ich mich ungern verabschiedet hatte, war es kein Problem für sie gewesen. Sie hatte ihr eigenes Leben und kam auch gut allein klar. Schon nach der Rückkehr aus Australien, hatte ich sie aus der Ferienwohnung zu mir nach Hause geholt. Ich hatte sie gern um mich und obwohl ich damit gerechnet hatte, dass mir irgendwelche Zweifel entgegenschlugen, hatte sie schon wenige Tage später mit ihrem Koffer vor meiner Tür gestanden. Und es hatte sich gut angefühlt. Die Vorbereitungen für die Tour liefen schon und ich wollte nicht immer zwischen meinem Zuhause und ihrer Wohnung hin- und hertingeln. Das kostete einfach zu viel Zeit und ich genoss es, wenn ich nach Hause kam und sie da war. So war es für mich auch keine Frage gewesen, dass sie mich auf der Tour begleitete. Die Momente zwischen uns holten mich aus diesem ganzen Trubel raus. Dafür reichte ein Blick und alles andere konnte ich ausblenden. Vor dem Konzert in Helsinki war ich tierisch nervös gewesen, aber Mina wich mir bis zum Beginn der Show nicht von der Seite und es gelang ihr, mich ein wenig zu beruhigen. Ich war weiß Gott kein ruhiger Mensch. Jedenfalls meistens nicht. Vor einer solchen Show sowieso nicht, aber Mina machte mich stärker und erdete mich. Das gelang nicht jedem. Sie glaubte an mich und war stolz. Das hatte ich gemerkt und das hatte sie auch gesagt. Eigentlich wollten wir nach der ersten Show feiern, aber nach dem ganzen Stress und der Angst, dass vielleicht doch nicht alles so klappen würde, wie wir es geplant hatten, war ich nach der Show einfach nur müde gewesen und hatte nur einen Wunsch: Ich wollte mit Mina nach Hause. Wir hatten noch einen Wein getrunken und waren gemeinsam eingeschlafen. Hatten wir es Tage vorher kaum aus dem Bett geschafft, war ich nach der Show einfach nur müde mit ihr ins Bett gefallen und hatte, mit ihr im Arm, geschlafen wie ein Baby.
Ich ging noch kurz ins Bad, legte meine Klamotten auf den Sessel in der Ecke des Zimmers und verschwand zu meiner Freundin unter die Decke. Die schlief noch immer tief und fest und mir gefiel die kleine Geste der brennenden Nachttischlampe. Als hätte sie auf mich gewartet. Ich legte mich auf die Seite und stütze den Kopf auf meine Hand. Vorsichtig strich ich ihre Haare zur Seite und schob ihr eine Strähne hinters Ohr. Ihr Gesicht war entspannt und ich nahm die gleichmäßigen Atemzüge war. Langsam fuhr ich mit meinem Zeigefinger ihren Wangenknochen entlang und platzierte einen Kuss auf ihrer Stirn. Mina schlief weiter. Das hier war der beste Moment des Tages. Ich konnte hier ewig liegen und sie anschauen. Sie wirkte, als könnte sie kein Wässerchen trüben, dabei kannte ich sie ganz anders und das war auch das, was mir an ihr gefiel. Sie konnte laut sein, tanzen wie wild und manchmal war sie albern. Sie lachte laut und schimpfte beim Eishockey wie ein Rohrspatz. Sie war leidenschaftlich, hemmungslos und immer bereit ins kalte Wasser zu springen. Damit unterschied sie sich von Sophia. Die hätte öfters mal einen Sprung wagen sollen. Egal ob privat oder beruflich. Sie bewegte sich immer auf der sicheren Seite und wog alle eventuellen Risiken ab. Damit hatte sie mich schon mehr als einmal fast um den Verstand gebracht. Auch heute. Immer noch bohrte sich dieses Gespräch in meine Gedanken. Ich hatte so eine Reaktion erwartet. Ein wenig Diva. Ein wenig zickig. Ein wenig.... Sophia halt. Egal wie sehr ich mir wünschte, dass die Tour einen entspannten Lauf für uns alle haben würde, Mina und Sophia bekam ich sicher nicht so schnell in einen Raum. Für Mina wäre das kein Problem. Sie war offen und hatte keinerlei Zweifel, dass Sophia ein toller Mensch war. Kannte sie ja unsere Geschichte. Aber bei Sophia sah ich da schwarz. War Mina ja die böse Frau, die alles kaputt gemacht hatte. Dabei war es nicht so und sie kannte die Geschichte nicht. Und ich bezweifelte, dass sie sie überhaupt hören wollte oder es verstehen würde. Auf der anderen Seite würde ich mich sicher nicht vor ihr rechtfertigen. Nicht für meine Gefühle. Niemals. Das musste ich auch nicht. Und ich wollte mich hier auch nicht mehr vor ihr verstecken. Und Mina wollte ich auch nicht verstecken, nur um dafür zu sorgen, dass sie sich hier wohlfühlte.
Lautlos drehte Mina sich um und strich ihre Haare von der Schulter, schmiegte mich von hinten an sie und küsste ihren Nacken.
„Hey!" murmelte sie. „Da bist du ja. Hattest du einen schönen Tag?"
„Ja. Sehr nice." Brummte ich müde und schob einen Arm unter ihren Kopf.
Mina griff nach hinten nach meiner Hand und zog sie auf ihren Bauch.
„Hast du mit Sophia geredet?"
„Mmmh." Machte ich und strich mit meiner Nase an ihrer Schulter entlang.
„Und?"
Ich seufzte und küsste ihren Nacken.
„Kommt sie mit auf Tour?"
„Yes." Brummte ich, zog meine Hand weg, um das Licht auszuschalten und kuschelte mich wieder an sie.
„Dann hast du ja noch etwas Zeit das zu regeln."
Wortlos zog ich sie dichter und vergrub mein Gesicht an ihrer Schulter. Das war mein persönlicher Lieblingsplatz auf diesem Planeten und den wollte ich nie wieder verlassen.

HeimkehrWo Geschichten leben. Entdecke jetzt