„Darf ich heute Abend hier bei dir sitzen bleiben?", fragte ich Alex, als er neben mir seinen Laptop hochfuhr, ihn an einen der großen Bildschirme anschloss und ich die wenigen Kabel einstöpselte, von denen ich wusste, wo sie hingehörten.
„Den ganzen Abend?"
Ich nickte.
„Woher der Sinneswandel?"
„Ich hab's versprochen."
„Samu?"
„Dir, falls du es vergessen hast. Und Sami auch."
„Ich hab euch gestern Abend gesehen."
Ich sah überrascht zu ihm rüber.
„Ich wollte euch nicht stören."
„Hättest du ruhig."
Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und fummelte an einer Rolle Panzertape herum
„Ich bin ja froh, dass ihr euch so gut versteht. Ist da wenigstens was vernünftiges bei rausgekommen?"
Ich zuckte die Schultern.
„War okay. Ja. Das war Samu's Song. Ich denke wir haben das ganz gut hingekommen. Ob das wirklich etwas ist, was gebrauchen kann, muss er selbst entscheiden. Das war nicht geplant gewesen."
Alex fummelte weiter an seiner Kleberolle rum und wirkte nachdenklich.
„Ihr habt gewirkt, als hättet ihr nie im Leben etwas anderes gemacht. Ich muss mir jetzt aber keine Sorgen machen, oder?"
„Nein!" gab ich wie aus der Pistole geschossen zurück. „So wie es ist, ist es okay. Natürlich gibt es Momente, wo da gewisse Erinnerungen auftauchen. Das ist doch normal. Was meinst du, warum ich die Show bisher nicht angesehen habe."
Alex nickte.
„Ja. Das verstehe ich. Mina meinte ich soll aufhören mich wie der Schutzhund aufzuführen, ihr seid alt genug."
„Da hat sie zwar Recht aber.... Wieso besprichst du das mit ihr?"
„Sie hat euch auch gesehen."
„Na, da war ja gestern volles Haus."
„Ich hab ein paar Sachen für die Gitarre gesucht und dachte, dass du sie vielleicht hast. Dann meinte Mina sie hätte Samu mit der kleinen Tasche gesehen. Am Ende landeten wir beide oben und ich hab Mina eingepackt und wir sind wieder in unser Zimmer. Ich weiß wie es ist, wenn man da so drin ist und wollte euch da nicht raus reißen."
„Danke." Sagte ich leise und nahm ihm das Panzertape ab, um den Anfang von der Rolle zu ziehen, was er seit Minuten versuchte. „Und jetzt hör auf mich so schief anzugucken, Mister Bodyguard. Alles ist in Ordnung."
„Hey." Sagte ich und stellte mich neben Samu, der hinter der Bühne stand, seinen Fuß auf einer Kiste parkte und sich die Schnürsenkel zuband. Ich kam gerade vom Catering und hatte was zu Trinken für Alex und mich geholt. Niila war bereits fertig mit seinem Auftritt und die Band bereitete sich hinter der Bühne auf die Show vor. Ich hatte ihn nur im Bus auf der Fahrt gesehen, aber er hatte sich in seine Koje verzogen und war auch sonst sehr ruhig gewesen. Als er irgendwann wieder aufgetaucht war, hatte er sich Kopfhörer aufgesetzt und sein Macbook aufgeklappt. Heute hatte es diverse Termine mit der Presse gegeben und so waren wir uns eigentlich bis jetzt nicht mehr über den Weg gelaufen oder hatten geredet.
„Hey." Brummte er, stellte den Fuß wieder auf den Boden, zog seine Jeans höher und strich sein T-Shirt glatt.
„Bist du aufgeregt?"
Er nickte.
„Eine bisschen. Nicht so aufgeregt, but we can start now. I hate waiting before a show."
" Ich werde das genau beobachten von da vorn, wie aufgeregt du wirklich bist." Ich zeigte Richtung Alex' Arbeitsplatz neben der Bühne.
Er bäumte sich vor mir auf, verschränkte die Arme vor der Brust und zog eine Augenbraue hoch.
„You're watching the show?"
Ich nickte.
"Great. I hope you'll like it."
"Ich bin gespannt."
Er nickte und zupfte an seinem Shirt herum.
„Have fun."
Samu grinste schief und ging zu den anderen.
„Viel Glück." Rief ich hinterher, aber das schien das gar nicht mehr zu hören.
Ich ging zu Alex zurück und ließ mich neben ihm auf den Stuhl fallen. So kurz angebunden kannte ich Samu nur, wenn er sauer war. Vielleicht war er einfach nur nervös und wollte das nicht zugeben, aber da er auch auf der Fahrt schon so in sich gekehrt gewirkt hatte, war das vielleicht auch einfach nicht sein Tag. Ich hatte keinerlei Anstalten gemacht ihm ein Gespräch aufzuzwingen und hatte mich um meine eigenen Dinge gekümmert. Trotzdem fand ich es komisch. Die ganzen Tage über war er auf mich zugekommen und wir hatten uns gut unterhalten. Das er launisch sein konnte war mir nicht unbekannt und ich versuchte das nicht persönlich zu nehmen.
Alex erzählte, dass er mit Max in LA telefoniert hatte und der sich schon darauf freute ihn bald mal wieder zu sehen. Den Rest seines Monologs blendete ich auch, denn ich sah, wie Samu und Mina lachend neben der Bühne herumalberten. Mina zog ihm am Arm mit sich und die beiden schossen alberne Bilder miteinander. Sie setzte sich auf eine der vielen Kisten und sah sich grinsend die Fotos auf der Kamera an, während Samu mit Riku, Raul und einer Frau aus dem Orchester redete und laut lachte. Weg war die Verschlossenheit des Tages und die schlechte Laune. Dieser Moment gestern Abend auf dem Flur hatte Erinnerungen wachgerufen und hatten mich noch den ganzen Morgen beschäftigt und eigentlich war ich froh gewesen, dass er anscheinend nicht in der Laune war viel zu reden. Vielleicht bereute er es auch, dass er sich da etwas von seinen Emotionen hatte leiten lassen. Anders konnte ich es mir nicht erklären, aber ich konnte es auch nicht ändern. Die Jungs verschwanden hinter der Bühne, Mina blieb auf ihrer Kiste sitzen und das Licht in der Halle ging aus.
Samus Silhouette erschien hinter dem Vorhang und seine Stimme hallte durch den Saal. Gröhlen, ein Schreien und Jubelrufe ertönten, als der Vorhang sich lichtete und die Band und das Orchester im Scheinwerferlicht zeigten. Ich lehnte mich im Stuhl zurück, beobachtete die Leute im Publikum und das Treiben auf der Bühne. Es fühlte sich ganz anders an, Samu auf der Bühne zu sehen ohne wirklich involviert zu sein. Hatte ich noch erwartet, dass ich nun massenweise neue Musik zu hören bekam, war ich umso überraschter, dass ich das alles schon mal gehört hatte, weil sie älter als Samus und meine Geschichte waren. Ich hatte sehr wohl in LA die Zeit gefunden mich mit den letzten beiden Alben zu beschäftigen. Nur die erste Woche. Da hatte ich mich noch in meiner Melancholie gesuhlt, bis ich beschlossen hatte, dass es nun genug war und ich endlich damit abschließen musste. Danach hatte ich alles verbannt. Fotos, Andenken, die Musik und Samus Handynummer. Aber auch wenn ich nun alles mal gehört hatte, war ich überrascht, wie anders und so viel größer sich die Songs mit dem Orchester anhörten. Das Licht war toll und das Arrangement gefiel mir wirklich. Alex hatte es vorausgesagt und er hatte Recht behalten.
Obwohl ich nicht jeden Song direkt erkannte, wurde ich hellhörig, als Osmo die ersten Töne am Klavier anschlug und Samu auf den Stufen hinter ihm Platz nahm. Ich wusste, dass es dieses Lied gab und ich wusste, dass Samu es geschrieben hatte, nachdem ich ihm damals die Tickets für die Einladung zu einem Konzert in Deutschland zurückgeschickt hatte. Aber nie war das wieder ein Thema gewesen. Das war lange her und als Samu die ersten Zeilen von „Girl like you" anstimmte, fühlte sich das an wie eine Backpfeife.
Mein Gesicht sprach wohl Bände, denn Alex stieß mich an und grinste schief.
„Daran hab ich gar nicht gedacht."
Ich schüttelte nur den Kopf und sah wieder auf die Bühne. Samu hatte den ganzen Abend nicht in unsere Richtung geguckt und auch jetzt schien es nur die rechte Seite der Konzerthalle in seinem Blickfeld zu geben. Nachdem, was alles zwischen uns passiert war in den letzten 12 Monaten und mit dem Wissen, dass die Band, Mina und auch Alex wussten, dass es in diesem Song um mich ging, gab mir ein Gefühl, als würde ich als einzige nackt in dieser Halle voller Menschen sitzen. Als würde er vor all diesen Leuten mit dem Finger auf mich zeigen. Natürlich war dieser Text nur die eine Seite der Medaille. Ich verstand, dass er enttäuscht gewesen war und gedacht hatte, ich hätte das alles in LA damals nicht so ernst genommen, aber so hatte ich mich seit seiner Abreise auch gefühlt, nachdem ich nichts mehr von ihm gehört hatte. Als ich seine Einladung aus der Versenkung ausgeschlagen hatte, hatte ich kurze Zeit später erfahren, dass er eine neue Freundin hatte. Meine Songs zum Thema interessierten hier niemanden und niemals wäre ich auf die Idee gekommen, es so zu verpacken, dass auch irgendjemand nur annähernd gewusst hätte, um wen es ging. Samu war es egal gewesen. All die Menschen, die hier saßen, hatten keine Ahnung über wen er dort sang und dachten sich wahrscheinlich nur, welche dumme Kuh ihm bloß das Herz gebrochen hatte. Er hatte das auch getan. Wir hatten es beide getan. Immer und immer wieder. Und heute Abend, malt er mir vor den Leuten, die uns kannten und von uns gewusst hatten, einen scharlachroten Buchstaben auf.
Alex hatte nicht dran gedacht. Samu hatte auch nichts erwähnt. Wollte er deswegen, dass ich mir die Show anguckte? Hatte er deswegen immer wieder nachgefragt? Damit er mal die Chance bekam mir dieses Lied auf dem Silbertablett zu servieren? Oder hatte er es auch einfach nur vergessen? Ich hätte nicht mal erwartet, dass man es mir gesagt hätte. Die Welt drehte sich hier nicht um mich. Aber nachdem er gestern so anders gewesen war und sich heute so zurückgezogen hatte, hinterließ diese Darbietung hier einen bitteren Beigeschmack für mich. Und während Samu dort auf der Bühne scheinbar um sein Leben sang, suchte ich das Loch im Boden um einfach zu verschwinden.
Gestern Abend hatten mich so viele positive Erinnerungen und Gefühle eingeholt, als er mich vor dem Fahrstuhl umarmt hatte und nun regneten all diese schlimmen Momente wieder auf mich ein. Die Streitereien, die Tränen, die Wut, die Enttäuschung. Egal ob positiv oder negativ – ich war gar nicht darauf vorbereitet gewesen überhaupt irgendetwas zu fühlen und ich wollte es auch nicht. Jedenfalls nicht mehr im Bezug auf Samu.
Der ließ nun etwas melodramatisch den Kopf hängen, stand für die letzten Zeilen des Songs auf und lief wieder zur anderen Seite. Kein Blick, kein Zeichen. Nichts. Er wusste doch, dass ich hier saß. Hatte sich das für ihn nicht auch komisch angefühlt oder war das eine Genugtuung. Hatte er nicht dieselben Gefühle oder Gedanken dabei wie ich? Das konnte ich mir nicht vorstellen.
Ich setzte mein Pokerface auf und blieb auf meinem Stuhl sitzen. Ich wollte nicht, dass Alex dachte, dass mich das tangierte. Er würde direkt Alarm schlagen. Das tat er ja schon, weil er uns zusammen in der Hotelbar gesehen hatte. Genau 2 Songs lang blieb ich wo ich war. „Sweet Synphony" und „I don't dance" rauschten einfach an mir vorbei. Ich hatte nun genug gesehen und gehört, beugte mich zu Alex rüber und sagte ihm, dass ich schon mal vorgehen würde. Er hakte nicht weiter nach. „Hollywood Hills" musste ich heute nicht auch noch hören und ich dachte, dass Alex das auch wusste. Ich nahm meine Zigaretten vom Pult und verschwand Richtung Hinterausgang, lehnte mich draußen an die Wand und zündete mir eine an. Ein paar Mal atmete ich tief durch und sah den Rauchwolken nach, die ich fabrizierte, bevor ich in den Bus stieg, meine Jeans in meine Tasche warf, mein Schlafshirt überzog und in mein Bett kletterte. Vielleicht hatte sich Samu heute Morgen auch so gefühlt, wie ich jetzt. Denn ich hatte keinen Bedarf mehr nach Gesichtern oder Gesprächen.
Irgendwann schlief ich ein und wurde erst geweckt, als Samu gegenüber, vor seinem Bett stand und in seiner Tasche wühlte. Seine Haare waren nass und der Geruch von Seife lag in der Luft. Er stopfte ein paar Klamotten in das Gepäck, stellt es auf den Boden und kletterte in seine Koje. Ich beobachtete, wie er unter die Decke schlüpfte und sein Kissen so lange knüllte und hin und herschob, bis er seinen Kopf hinlegte und zu mir rübersah.
„Good night." Brummte er und wir zogen beide gleichzeitig die Vorhänge zu.
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Heimkehr
FanficSamu & Sophia Teil 3. Fortsetzung von "Von der Muse geküsst" und "Klimawandel". Inklusive der beiden OS in meinem Account zu finden. Nach Sophias Rückkehr nach Los Angeles scheint die Trennung von Samu endgültig. Wäre da nicht noch etwas, was sie in...