Von Hangover, Kaffee und Stolz

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„Nicht so laut." Maulte ich Alex an, der klappernd einen Kaffeebecher auf die Arbeitsplatte stellte und sich Kaffee einschenkte.
Ich saß am Esstisch im Wohnbereich im Schneidersitzt auf einem Stuhl und lehnte meine Stirn an meine Hände. Meinen Kaffee hatte ich kaum angerührt und war mir auch noch nicht so sicher, ob Essen oder Trinken schon möglich war. Alles drehte sich noch und mir war latent übel.
„Lange Nacht?", brummte er, ohne mich anzusehen und stopfte sich einen Keks in den Mund.
„Lang weniger, aber sehr feuchtfröhlich. Mir ist schlecht."
„Wann warst du denn zu Hause?"
„Ich habe keine Ahnung. So gegen 1? Ich glaube."
„Um 1? Na dann hatte Herr Haber hier ja nur ein kurzes Gastspiel." Meinte er und sah mich an.
Alex griff nach seinem befüllten Becher und setzte sich mir gegenüber an den Esstisch, kaut auf seinem Keks herum und sah mich herausfordernd an.
„Warum schleicht Samu hier nachts aus dem Haus? Hab ich irgendwas verpasst?"
Er wirkte ernst. Fast ein wenig wütend. Ich seufzte und sah ihn schuldbewusst an.
„Hast du ihn gesehen?"
„Sonst würde ich das ja nicht fragen. Ich hab mir was zu trinken geholt und da kam er den Flur runter und wollte gerade gehen. Er gab mir den Ratschlag ich solle auf dich aufpassen, weil Joonas es nicht könnte."
Ich legte meinen Kopf auf die Tischplatte.
„Sophia! Keine Halbwahrheiten mehr!"
„Er hat mich nach Hause gebracht. Ich war nicht mehr so wirklich Herr meiner Sinne. Ich erinnere mich, dass ich mich geweigert habe nach Hause zu gehen und Joonas dich angerufen und nicht erreicht hat. Dann stand auf einmal Samu vor mir und hat mich ins Taxi geschleift."
„Und dann ist er noch mit reingekommen, um dich zuzudecken oder was willst du mir jetzt weißmachen?"
„Ehrlich gesagt war es so ähnlich. Ich war nicht mehr so gut zu Fuß."
Ich lehnte mich im Stuhl zurück und nippte an meinem Kaffee. Nein, der schmeckte noch nicht. Ich verzog das Gesicht und stellte den Becher wieder ab.
„Ich bin im Taxi etwas ausgerastet und hab ihm einige Dinge an den Kopf geworfen."
„Zu Recht. Das was er getan hat oder tut, ist nicht gerade respektvoll deinen Gefühlen gegenüber."
„Ich bin schon froh, dass du ihm nicht den Kopf abgerissen hast. Oder hast du?"
„Ich habe nicht ein Wort gesagt. Was soll ich noch sagen? Alles, was er wissen sollte, habe ich ihm gesagt, als ich ihn beim Joggen getroffen habe."
Ich zog den Mund zu einem Strich.
„Ich weiß deine Loyalität zu schätzen, aber bitte lass ihn einfach in Ruhe. Ein Blinder merkt, dass Samu gerade irgendwie neben sich steht."
„Ja und das geht auf deine Kosten. Ihr sehr euch beide gerade selbst nicht ähnlich."
Alex stopfte sich den letzten Rest Keks in den Mund, spülte mit Kaffee nach und lehnte sich nach vorn auf den Tisch.
„Lief da was?"
Ich schnaufte und sah ihn an.
„Wir haben uns geküsst."
Alex stöhnte auf, rollte die Augen und schüttelte den Kopf.
„Merkst du eigentlich, dass er mit dir spielt?"
„Alex, bitte!"
„Nein. Ich meine das Ernst. Er schießt dich nicht wirklich ab, will aber gerade auch nicht mit dir zusammen sein. Jetzt sieht er dich mit Joonas und schon kriegt er wieder Torschlusspanik, dass die Tür zufällt und spielt hier den tapferen Ritter, bringt dich nach Hause und dann macht ihr rum. Also bitte. Das kannst du doch nicht ernst meinen."
Ich sah ihn strafend an.
„Ich verstehe dich nicht. Wieso lässt du dir das gefallen? Das sieht dir gar nicht ähnlich."
„Ich habe ihn geküsst. Er hatte da gar keine Aktien drin."
Alex brummte und schüttelte wieder den Kopf.
„Mädchen, was machst du? Kümmere dich doch mal um dich selbst."
„Das hab ich gestern versucht. Ist irgendwie schief gegangen. Ich wusste nicht, dass Samu da auftaucht."
„War er allein?"
„Nein. Riku und ein Mädchen waren dabei."
„Groß, blond, mega heißes Gerät? Spricht deutsch?"
„Ja. Maja, Mirja... Irgendwas mit M. Wieso?"
„Die war auch dabei, als ich ihn am Wasser getroffen habe. Hat Fotos von ihm gemacht und die wirkten sehr vertraut, aber die haben gleich protestiert, als ich ihn gefragt habe, ob er sich schon tröstet."
„Sie kennen sich aus Barcelona. Vielleicht von früher, als er dort gewohnt hat. Vielleicht besucht sie ihn. Ich hab den Namen vorher jedenfalls noch nie gehört. Wieso hast du von der nichts erzählt?"
„Ich wollte hier keine Gerüchte streuen. Nachher ist da wirklich nichts und dann bin ich der Arsch. Am Ende ist das seine Schwester und ich erzähle Mist."
Ich lachte.
„Seine Schwester heißt Sanna. Daran hätte ich mich erinnert."
„Die sahen sich jetzt auch nicht ähnlich." Grinste Alex.
Ich versuchte nochmal einen Schluck Kaffee und wieder stellte ich den Becher angewidert zurück.
„Kleines, ich will nur, dass du auf dich aufpasst. Ich kann nicht für immer hier bleiben. Aber so, wie du gerade drauf bist, lasse ich dich nicht zurück."
„Das wird schon irgendwie." Murmelte ich und strich mir über die Stirn.
„Kannst du ihn nicht einfach auf Abstand halten?"
„Das habe ich versucht. Er hat gestern gefragt, ob wir uns treffen. Kaffee oder Essen. Ich habe abgelehnt und ihm gesagt, dass es besser ist, wenn wir uns erstmal aus dem Weg gehen. Ich wollte auch nicht mit ihm mit. Aber da hatte ich keine Chance."
„Warum zum Teufel küsst du diesen Idioten?"
„Weil ich betrunken war und weil ich es wollte. Ich kann ja nicht einfach meine Gefühle ausblenden."
„Aber ein wenig Stolz kannst du dir wohl behalten. Was ist denn mit dir los, ey? Seit wann wirfst du dich dem Löwen zum Fraß vor? Du bist doch sonst so darauf bedacht bloß nicht vor den Kopf gestoßen zu werden."
Ich legte den Kopf schief und kniff die Augen zusammen.
„Ich weiß nicht. Ich will, dass er weiß, dass ich es ernst gemeint habe, was ich gesagt habe. Mein Stolz war mir da nicht so wichtig."
Alex zog die Augenbrauen hoch.
„Wer zum Teufel bist du und was hast du mit Sophia gemacht?"
„Blödmann."
Alex grinste.
„Wir waren so vertraut miteinander. Schon auf der Fahrt hierher. Naja, erst nachdem ich ihm gesagt habe, dass er mich in Ruhe lassen soll und ich ihn hasse."
Er lachte laut auf.
„Ich war so schrecklich betrunken. Aber es hat sich gut angefühlt. Ich fühle mich bei niemandem sonst so."
„Danke, bitch!"
„Du weißt, was ich meine. Er fehlt mir. Daran ändert sich in so kurzer Zeit halt nichts."
Wieder seufzte Alex und griff über den Tisch nach meiner Hand.
„Ich will nur, dass es dir gut geht und Samu trägt gerade nicht viel dazu bei."
„Ich weiß."
Alex stand vom Tisch auf, kam zu mir rum und drückte mir einen Kuss auf die Wange.
„Ich fahr ins Studio. Kurier dich aus. Ich werde jetzt Joonas lang machen, weil er nicht auf dich aufgepasst hat und dich mit dem Arsch losziehen lässt."
„Alex!"
Er zwinkerte, setzte sein Kappi auf, klemmte sich sein Skateboard unter den Arm und verschwand im Flur.
Ich saß noch eine Weile am Tisch und lehrte Schluck für Schluck meinen Kaffee. Egal wie oft ich den Abend Revue passieren ließ, den Kuss den bereute ich nicht. Es war schön gewesen und Samu hatte nicht den Eindruck gemacht, als wenn es ihm nicht gefallen hatte. Er war ziemlich lange hier gewesen und ich konnte mir nicht vorstellen, dass er es nicht auch irgendwie genossen hatte. Diese Vertrautheit zwischen uns war noch immer dieselbe. Egal, ob wir uns vorher anzickten oder nicht. Es fühlte sich gut an. Echt. Warm. Schön. Meine Gedanken kreisten nur darum, ob er wohl auch darüber nachdachte und ob es es genauso empfunden hatte.
Ich griff nach meinem Handy und öffnete den Chat mit Samu. Die letzte Nachricht war einige Tage alt und es ging um unser Treffen im Studio, nachdem er aus Spanien zurückgekommen war. Er war schon seit dem frühen Abend nicht mehr online gewesen. Wahrscheinlich schlief er noch.
„Hey!" tippte ich. „Danke, dass du mich gestern nach Hause gebracht hast. Tut mir leid, dass ich mich etwas daneben benommen habe. Ich wollte dich nicht verletzen oder unter Druck setzen. Ich bin zur Zeit auch etwas durcheinander. Ständig denke ich an heute Nacht. Vielleicht sollten wir uns doch mal treffen. Kaffee?"
Kurz überlegte ich, die Nachricht wieder zu löschen, aber ich wollte ihn wirklich sehen und nach dieser nächtlichen Knutscherei hatte ich meine Meinung geändert. Ja, wenn ich ihn vergessen wollte, dann sollte ich mich einfach zurückziehen. Aber eigentlich wollte ich das nicht. Für mich bestand dieses Band zwischen uns noch immer und ich konnte und wollte nicht glauben, dass nur ich das so empfunden hatte. Nachdem, was Samu mir im Studio gesagt hatte, würde er es nicht riskieren mich zu küssen, nur weil er Lust darauf hatte. Ich wusste, dass er mir nicht wehtun wollte. Auch wenn Alex das etwas anders beurteilte und meinte, dass er mit mir spielte. Wäre es Samu nur darum gegangen meine Situation auszunutzen, hätte er sicher die Initiative ergriffen oder wäre viel weiter gegangen. Aber er hatte keine Annäherungsversuche gestartet. Das war von mir ausgegangen und er war auch derjenige gewesen, der das irgendwann beendet hatte und gegangen war. Hätte er es als Fehler empfunden, dann hätte er anders reagiert und das auch gesagt.

Ich verzog mich nochmal ins Bett und war kurz darauf wieder eingeschlafen. Als ich aufwachte blinkte mir mein Handy entgegen.
„Just woke up. Ja, wir können Kaffee trinken? Wann hast du Zeit?"

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