Erzählung 24

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Beinahe hatten wir die ersten Bäume und Büsche erreicht, als ich hörte wie die Terrassentür des Hauses zuschlug. Ich drehte mich nicht um, sondern lief einfach weiter. Chris direkt an meiner Seite. Als wir hinter den ersten Bäumen verschwanden hätte ich am liebsten gejubelt vor Glück, doch dafür würde später noch genug Zeit bleiben. Jetzt ging es erstmal darum möglichst viel Strecke zwischen uns und unserer durchgeknallten Entführerin zu bringen. Wir rannten ein paar Minuten ohne langsamer zu werden. Irgendwann musste ich dann doch das Tempo etwas drosseln, weil ich kaum noch Luft bekam. Die Wochen ohne Training machten sich bemerkbar und so war meine Kondition gleich null. „Warte kurz", keuchte ich, blieb stehen und stützte mich mit meinen Händen auf meinen Oberschenkeln ab. „Wir sollten lieber weiter", meinte Chris, der kurz vorgerannt war und nun zu mir zurückjoggte. Ich blickte zu ihm auf und sah, dass auch er schnell atmete. „Nur eine Minute. Außerdem höre ich niemanden also denke ich nicht, dass sie uns so dicht auf den Fersen sind, dass wir uns nicht eine kleine Pause gönnen können. Sonst klappe ich zusammen bevor wir aus diesem Wald verschwunden sind." Ich machte ein paar Schritte zurück bis ich einen Baum in meinem Rücken spürte und lehnte mich an ihn. Dann legte ich den Kopf in den Nacken und konzentrierte mich darauf meine Atmung zu verlangsamen. Als ich wieder geradeaus blickte sah ich, dass auch Chris sich an einen Baum gelehnt hatte. Er schaute mich an und gleichzeitig mussten wir lächeln. „Wir haben es geschafft. Es hat wirklich geklappt." Eine Freudenträne lief mir die Wange hinunter. Ich konnte wieder zu meiner Familie. Ich konnte meine geliebten Kinder und meine Frau wieder in den Arm nehmen und es würde lange dauern bis ich sie wieder loslassen würde. Ich stellte mir vor wie unser Wiedersehen ablaufen würde. Wie ich daheim klingelte und meine Frau die Tür öffnete. Wie ihr Gesicht sich erhellen würde wenn sie mich erkannte, wie wir uns in die Arme fallen würden, wie ich ihren wunderbaren Geruch wieder in der Nase hätte, ihre Haut auf meiner spüren konnte und uns vor Freude die Tränen liefen. Wie irgendwann meine Kinder in den Flur traten und auf mich zugerannt kamen, wie ich in die Hocke ging und alle drei fest in den Arm nahm, wie sie mit so viel Schwung angerannt kamen, dass ich nach hinten falle und sie auf mir drauf liegen, wie ich allen einen Kuss auf den Kopf drücke auch wenn ich weiß das die Jungs das hassen. Ich musste lächeln und wurde von Chris aus meinen Gedanken gerissen. „Wa...", setzte er gerade zum Sprechen an, als ihn das Krachen eines Astes unterbrach. Sofort spannten wir uns an und richteten uns auf, während wir lauschten und uns umblickten. Doch nichts war zu sehen. Inzwischen war es auch schon ziemlich dunkel geworden, sodass man hier im Wald kaum noch etwas sehen konnte. „Das war bestimmt nur ein Tier", meinte ich, doch das ungute Gefühl in meinem Magen blieb. „Wieder bereit?", fragte mein Bruder sichtlich nervös und ich nickte zur Antwort. Meine Atmung war wieder weitestgehend normal und die Gedanken an das baldige Wiedersehen gaben mir neue Kraft. Ich stieß mich vom Baum ab, stellte mich neben Chris und schon rannten wir weiter. Unser Tempo war langsamer als vorhin, aber immer noch zügig. Während wir rannten wurde es immer dunkler und unheimlicher. Der Wind pfiff durch die Äste und jagte mir Schauer über den Rücken. Immer wieder hörte man Äste knacken, doch ich schob es immer auf irgendwelche Tiere, die jetzt in der Dunkelheit herauskamen. An die andere Option, dass uns Eva mit ihren Männern auf der Spur war wollte ich gar nicht erst denken. Während wir wieder etwas langsamer liefen, damit uns nicht dauernd Äste ins Gesicht schlugen, dachte ich im Augenwinkel immer mal wieder eine Bewegung oder einen Lichtschimmer zu sehen. Inzwischen war es so dunkel zwischen den Bäumen, das man den Boden kaum noch erkennen konnte. So stolperten wir immer wieder bis ich Chris gerade fragen wollte ob wir vielleicht die Nacht hier verbringen sollten bevor wir uns alle Knochen brechen würden. Doch als ich gerade den Mund öffnete ertönte hinter uns ein lautes Knacken, das Licht einer Taschenlampe leuchtete durch die Bäume und eine Stimme rief: „Hier! Wir haben sie gefunden!"

Ihr. Entkommt. Nicht!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt