Ich bekam kaum mit wie mir die Tränen über die Wangen liefen. Ich war einfach nur überglücklich. Sie lebten. Meine Familie lebte! Doch gleichzeitig verwirrte mich diese Tatsache. Wie konnten sie leben, wenn wir doch ihre Schreie gehört hatten? Das waren eindeutig sie gewesen. Ich blinzelte bis meine Sicht wieder etwas klarer wurde, doch das Fernsehbild hatte gewechselt und zeigte einen Mann im Anzug. Schnell wandte ich meinen Blick meinem Bruder zu, auf dessen Gesicht sich ebenfalls der Schock spiegelte. Nach ein paar Sekunden blickte er zu mir. Er schien genauso ratlos zu sein wie ich. Da kam Eva zurück. „So ich bin fertig. Mit was wollt ihr anfangen? Mau-Mau? Mensch ärgere dich nicht? Monopoly?" Grinsend setzte sie sich auf ihren Platz zwischen uns. Entweder schien sie unsere geschockten Gesichter nicht zu sehen oder sie ignorierte es. „Ähm... Kann ich... Kann ich kurz raus? Ich glaube ich habe etwas zu viel gegessen", fragte ich leise. Mein Blick war unfokussiert und schon während Eva bejahte stand ich auf und ging wie in Trance aus dem Zimmer. Ich hörte noch wie Eva etwas rief, doch was genau bekam ich nicht mit. Meine Gedanken rasten in einer Tour um das eben Gesehene. Noch konnte mein Hirn das alles nicht so richtig begreifen. Die Schreie waren real gewesen. Da war ich mir hundertprozentig sicher. Aber es war genauso sicher, dass ich sie gerade im Fernsehen gesehen hatte. Und sie hatten auch nicht den Eindruck gemacht als wäre ihnen etwas zugestoßen in den letzten Monaten. Dann hätten sie davon doch bestimmt was gesagt oder? Wobei ich ja ein paar Sekunden nichts mitbekommen habe. Irgendwoher musste Eva doch die Schreie bekommen haben. Langsam spürte ich ein altbekanntes Gefühl in mir aufsteigen, das ich lange verdrängt hatte. Die Wut auf Eva drängte sich Stück für Stück wieder in den Vordergrund. Sie hatte uns angelogen. Vielleicht hatte sie meiner Familie etwas angetan. In meiner Brust ballte sich ein Knoten von Anspannung. Als ich es nicht mehr aushielt blieb ich stehen, ballte meine Hände zu Fäusten, drückte sie schräg nach unten und schrie. Ich schrie all die Anspannung, Wut, Verzweiflung, Verwirrung heraus bis mir die Luft ausging. Erst als mir fast schwarz vor Augen wurde stoppte ich, atmete tief ein und fiel auf die Knie. Die Kälte des Schnees spürte ich nicht. Auch als ich meine Hände vor mein Gesicht schlug um die Tränen zu verstecken und mich nach vorne beugte bis meine Arme auf Widerstand trafen war es mir egal. Ich konnte nicht mehr. Einerseits war ich unglaublich glücklich meine Familie lebend und körperlich unverletzt zu sehen, doch gleichzeitig brachte es alle Emotionen, die ich in den letzten Wochen und Monaten verdrängt und zugelassen hatte durcheinander. Wut, Hoffnung, Verzweiflung und all die anderen Gefühle brachen auf einmal auf mich ein und dröhnten in meinem Kopf. Meine Hände wanderten von meinem Gesicht zu meinen Schläfen und drückten gegen diese. Ich wollte das alles nicht fühlen. Es machte mich wahnsinnig. „Andreas?!", hörte ich eine Stimme nach mir rufen. Ich blieb still liegen. Ich wollte noch niemanden sehen. Es wurden immer mehr Stimmen, die allmählich näher kamen. Mit wackeligen Beinen stand ich auf und lief los. Ich kam nur langsam voran. Meine Hose klebte nass an mir und die Kälte hatte meine Glieder steif werden lassen. Plötzlich jagte ein stechender Schmerz durch mein Bein. Ich knickte ein und landete erneut im Schnee. Der Schmerz ließ nicht nach und automatisch wich ich etwas zurück bis das Zucken an meinem Knöchel stoppte. Ich blickte zu der Stelle, von der der Schmerz ausgegangen war und erkannte die schwarze Fußfessel. Die hatte ich schon komplett vergessen. Ich musste mich zu weit vom Haus entfernt haben. Kurz darauf kamen zwei Leute angelaufen. „Er ist hier", rief einer der beiden. Sie nahmen mich unter den Armen, zogen mich hoch in ihre Mitte und schleppten mich so zum Haus zurück. Ich hatte kaum noch genug Kraft zum Stehen. „Bringt ihn ins Bett. Ich kümmere mich später um ihn." Schwach hob ich meinen Kopf und sah Eva, die vor mir stand. Ein paar Schritte hinter ihr sah ich Chris, der mich besorgt anblickte. Dann trugen mich die zwei Kerle nach oben und legten mich ins Bett. Durch die Erschöpfung fielen mir sofort die Augen zu.
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Ihr. Entkommt. Nicht!
Fiksi PenggemarEntführung, Gefangenschaft, Folter. Jeder hat bei diesen Worten Bilder aus Filmen oder Büchern im Kopf. Aber wer rechnet schon damit soetwas selbst zu erleben? Wohl keiner. Genauso wenig wie die beiden Magierbrüder Chris und Andreas. Doch plötzlich...