Heute (8)

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„Iiihhhhh", ertönt es plötzlich zweistimmig hinter uns. Wir müssen grinsen, unterbrechen unseren Kuss jedoch nicht. Zumindest so lange bis sich jemand an meinen Rücken hängt und mich so nach hinten zieht. Petra lacht und schaut zu wie ich mit meinen Händen nach hinten greife und beginne meine kleine Tochter durchzukitzeln bis sie mich loslässt. Doch bevor ich mich irgendwie umdrehen kann höre ich ein „Attacke!" und werde kurz darauf unter drei Körpern begraben, die mich zu Boden zwingen und nun ihrerseits beginnen mich zu kitzeln. Ich lache und versuche spielerisch mich zu wehren, doch was soll man schon gegen drei kleine Satansbraten ausrichten. „Okay okay ich ergebe mich", rufe ich irgendwann lachend und hebe die Arme über den Kopf. Triumphierend grinsen sich die Jungs an und klatschen sich ab, während Lily zu ihrer Mutter rennt, die uns die ganze Zeit beobachtet hat. Sie schaut mich an als Sascha und Paul von mir runtersteigern und in Richtung Garten verschwinden. Ich setze mich auf, zwinkere Petra kurz zu, die Lily gerade auf die Couch hilft, stehe dann auf und renne mit einem „Ich kriege euch noch" den Jungs hinterher in den Garten. Lachend rennen sie weg und wir jagen uns eine ganze Zeit lang durch den Garten. Nach ein paar Minuten kommt auch Lily dazu und hilft tatkräftig beim Einfangen. Natürlich nicht mir, sondern ihren Brüdern. Langsam geht mir die Puste aus und ich will gerade eine Auszeit ausrufen als Petra uns unterbricht. „Hey. Kommt mal was trinken." Schnell rennen die Kinder auf die Veranda wo Petra gerade ein Tablett mit fünf Gläsern und einer Kanne Orangensaft auf den Tisch stellt. Langsam schlendere ich hinterher und genieße den Anblick, der sich mir bietet. Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte ich nie gedacht, dass ich das hier noch einmal zu Gesicht bekommen würde und so genieße ich jeden Augenblick. Als ich die beiden Stufen zur Veranda erreiche haben die Kinder ihr erstes Glas schon ausgetrunken und genehmigen sich gerade eine zweite Runde. „Hier." Strahlend hält mir Petra ein gefülltes Glas hin und ich lasse die kühle Flüssigkeit meinen Hals hinunterrinnen. „Komm schon Papa", sagt Paul und zieht an meinem Arm. „Papa braucht mal ne Pause", sage ich und stelle das halbleere Glas auf den Tisch. Mit Schmollmund sieht er mich an und ich will schon nachgeben als Petra sich vorbeugt und leise sagt: „Papa wird alt." Sie zwinkert, Paul lacht und rennt zu seinen Geschwistern in den Sandkasten. „Stimmt doch gar nicht", sage ich gespielt geschockt und fasse mir theatralisch an die Brust. Petra drückt mir nur grinsend einen kurzen Kuss auf und bringt dann die leeren Gläser nach drinnen. Ich setze mich auf einen der Gartenstühle und schaue zu wie im Sandkasten eine Burg entsteht. Alles sieht so friedlich aus. Die Vögel zwitschern, die Bäume und Blumen blühen, das Leben kommt nach dem Winter zurück. Doch tief in mir ist der Winter noch nicht verschwunden. In mir ist es noch immer kalt und eine Dunkelheit haust hier, die mich jederzeit überrollen könnte. Ein Schrei holt mich aus meinen Gedanken und ich blicke auf. Lily sitzt weinend auf dem Gras vor dem Sandkasten und die Jungs blicken sie geschockt an. Schnell laufe ich hin und kniee mich vor meine Kleine. „Sch ganz ruhig Süße." Ich nehme sie in den Arm und blicke auf eine kleine Schramm an ihrem rechten Knie, die leicht blutet. „Was ist denn passiert?", frage ich meine Jungs, während ich weiter Lily beruhigende Worte zuflüstere. „Sie wollte dich holen und ist beim Rausklettern hingefallen", erzählt Sascha. „Schon okay. Komm wir gehen das mal sauber machen und ein Pflaster draufkleben. Dann tut es auch nicht mehr weh ja?" Lily nickt mit tränenüberströmten Gesicht und fährt sich mit den Händen über ihr Gesicht um es etwas zu trocknen. Ich lasse sie los, stehe auf und frage sie: „Kannst du laufen?" Sie schüttelt nur den Kopf und streckt ihre Arme nach mir aus. Leicht lächelnd hebe ich meine kleine Maus auf meine Arme und gehe mit ihr ins Haus. In der Küche setze ich sie auf einem Stuhl ab und gehe zum Schrank um den Verbandskasten zu holen. Dann hocke ich mich neben Lily und nehme alles aus dem Koffer was ich brauche: Desinfektionsspray, ein Wattepad und Pflaster. „Achtung das brennt jetzt etwas", sage ich als ich das Pad mit dem Spray tränke und mit ihm vorsichtig die Wunde reinige. Lily hält still und beobachtet mich wie ich anschließend ein Prinzessinenpflaster nehme und es auf die kleine Schramme klebe. „So. Fast wieder wie neu", sage ich lächelnd und stehe auf. „Danke Papa", ruft Lily, drückt mir einen Kuss auf die Wange und rennt dann nach draußen als wäre nichts passiert. Lächelnd räume ich alles weg und gehe dann auch wieder nach draußen.

Später am Abend, als die Kinder schon lange im Bett sind, sitzen Petra und ich noch vorm Fernseher. „Deine Mama hat vorhin angerufen", sagt Petra irgendwann. „Und was wollte sie?" „Sie hat gefragt wann wir mal wieder zum Essen vorbeikommen wollen. Sie hätte ihre Enkel ja schon so lange nicht mehr gesehen." Ich lache kurz. „Wir waren doch erst vor ein paar Tagen da." Petra lacht ebenfalls kurz. „Ja. Ich habe ihr gesagt du rufst sie zurück." „Okay. Mache ich morgen." Der Gedanke am Mama macht mich irgendwie traurig. Wie es wohl sein muss wenn man seine Kinder verliert? Wenn sie monatelang verschwunden sind und die Polizei die Suche schon aufgeben will? Ich glaube ich würde durchdrehen. Neben meiner Frau sind meine Kinder der größte Schatz in meinem Leben. "Fragst du auch noch Chri..." Sie bringt den Namen nicht zu Ende, doch es reicht das sich mein Herz schmerzerfüllt zusammenzieht. "Tut mir leid. Ich wollte nicht..." "Schon ok", unterbreche ich sie, versuche mir nichts anmerken zu lassen, versuche den Schmerz zu verdrängen. Sie greift nach meiner Hand, drückt diese leicht und lächelt mich entschuldigend an. Ich werfe ein gequältes Lächeln zurück, wende mich jedoch schnell wieder dem Fernseher zu. Schweigend und mit verschlungenen Fingern schauen wir den Film zu Ende, wobei ich das Ende kaum mitbekomme, da meine Gedanken andauernd abschweifen.

Ihr. Entkommt. Nicht!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt