Heute (6)

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Als ich meine Augen wieder öffne liege ich allein im Bett. Ich drehe meinen Kopf zum Nachttisch, werfe einen Blick auf die Uhr und staune nicht schlecht als ich die roten Ziffern auf der Digitalanzeige sehe: 08:57. Es ist lange her das ich so lange geschlafen habe und nicht von Alpträumen geweckt wurde. Gähnend stehe ich auf, schnappe mir eine Unterhose, eine Jeans und ein graues T-Shirt aus dem Schrank. Dann gehe ich ins Bad und springe unter die Dusche. Anschließend mache ich mich auf den Weg nach unten. Als ich gerade nach Petra rufen will höre ich ein Klappern aus der Küche. Kurz darauf geht das Radio an und ich laufe gemütlich durch unser Wohnzimmer in Richtung Küche. Ich lehne mich in den Türrahmen und beobachte grinsend wie Petra mit einem Messer Butter in die Pfanne auf dem Herd schmeißt. Dann geht sie zum Kühlschrank, holt drei Eier heraus und schlägt sie in eine kleine Plastikschüssel. Während sie sie mit einer Gabel verrührt bewegt sie ihre Hüften im Takt zur Musik. Manchmal benimmt sie sich echt wie eine Frau Anfang 20 und nicht wie Mitte 30 und das ist einer der unzähligen Gründe die mir jeden Tag zeigen was für ein Glück ich mit dieser Frau habe. „Guten Morgen", sage ich als sie die Eier gerade in die Pfanne gießen will. Sie erschreckt sich und fährt zusammen, woraufhin ich lache und zu ihr trete. „Man musst du mich so erschrecken?", mault sie, doch ihr breites Lächeln verrät sie. Ich schlinge die Arme um sie und tue so als würde ich ernsthaft nachdenken. „Mmmmmm. Jap." „Arsch", lacht sie, schlägt mir spielerisch auf den Oberarm und verbindet dann unsere Lippen. „Hunger?" „Eigentlich nicht. Ich will gleich los zu Frau Steiner." Sofort wird ihr Ausdruck traurig, sie senkt ihren Kopf und drückt sich noch etwas fester an mich. „Bitte Andy. Iss wenigstens etwas. Ich will nicht das du umkippst." Ich will schon protestieren, doch als Petra ihren Kopf wieder hebt, mich mit bittenden Augen ansieht und ein flehendes „Bitte" flüstert gebe ich doch nach. Ich seufze. „Na gut." Sofort kehrt das Lächeln zurück und sie löst sich von mir. Während sie die Eier brät setze ich mich an den Tisch und gieße mir eine Tasse Kaffee ein, der bereits auf dem gedeckten Tisch steht. Ich habe eigentlich gar keinen Hunger und möchte nur noch los, doch irgendwie auch nicht. Ich will die Erinnerungen nicht wachrufen und sie am Liebsten verdrängen, doch ich konnte auch nicht verleugnen das es irgendwie gut tat mit jemand Fremden über Alles sprechen zu können. Ich hatte mir geschworen das ich es durchziehen würde Frau Steiner alles an einem Stück zu erzählen. Ja es macht mich unglaublich fertig, doch ich verdränge das Gefühl. Wenn ich alles erzählt habe kann ich immer noch zusammenbrechen, aber erst will ich es hinter mich bringen. Petra hatte schon recht mit dem was sie gesagt hat. Ich muss und will wieder normaler werden. Will wieder zu dem Ehemann und Vater werden der ich früher war. Natürlich würde es noch sehr lange dauern bis ich das alles wirklich verarbeitet hätte, falls ich es überhaupt schaffen würde, doch ich hoffe einfach das ich so einen großen Schritt nach vorne machen könnte. Eine Berührung an meiner Schulter reißt mich plötzlich aus meinen Gedanken. Petra steht neben mir und stellt einen Teller mit Rührei vor mich. Dann drückt sie mir eine Gabel in die Hand. Ich ziehe einen Mundwinkel leicht nach oben und wende mich dann meinem Frühstück zu. Gabel für Gabel esse ich den Teller leer. Am liebsten hätte ich nach der ersten Gabel schon aufgehört, doch Petra, die mir gegenüber sitzt, blickt mich immer noch traurig an und so zwinge ich mich das Ei herunter zu schlucken und meinen Kaffee zu trinken. Als ich fertig bin stehe ich wortlos auf, stelle meinen Teller und die Tasse in den Geschirrspüler und drücke Petra, die noch am Tisch sitzt, einen Kuss auf den Kopf. Dann ziehe ich mir im Flur die Schuhe an, schnappe meinen Schlüssel und mache mich auf den Weg nach Herford.

Als ich die Praxis betrete sitzt nur eine junge Frau am Empfang, die aufblickt als die Tür hinter mir zufällt. "Guten Tag Herr Reinelt. Frau Steiner hat mir schon Bescheid gegeben das sie heute noch kommen werden. Sie können direkt durchgehen. Gleiches Zimmer wie immer." Sie lächelt mich kurz an und konzentriert sich wieder auf irgendetwas vor ihr das ich nicht sehen kann. „Danke", murmle ich und gehe dann den kurzen Flur entlang. An meinem Ziel angekommen klopfe ich und höre kurz darauf ein „Herein." Ich atme einmal tief ein und drücke die Türklinke nach unten. „Ah guten Morgen Herr Reinelt. Wie geht es Ihnen? Haben Sie gut geschlafen?" Lächelnd steht Frau Steiner von ihrem Schreibtischstuhl auf und kommt auf mich zu. „Gute Morgen. Ja ich habe tatsächlich gut geschlafen." Wir reichen uns die Hand zur Begrüßung und gehen dann zur Liege auf die ich mich setze. „Das freut mich. Sind Sie bereit weiter zu machen?" Ich nicke und lege mich bequem hin. Dann schließe ich meine Augen und beginne meine Geschichte weiter zu erzählen.

Ihr. Entkommt. Nicht!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt