Erzählung 77

418 29 6
                                    

Ich wollte mich gerade wieder neben meine Frau setzen, als die Zimmertür aufschwang. Eva stand mit grimmiger Miene auf dem Flur und hielt mit ihrer rechten Hand den Türgriff fest umklammert. Ihre linke konnte ich nicht sehen, da sie sie hinter ihrem Rücken hielt, doch als ich den Kopf hob blickte ich in ein paar bernsteinfarbene Augen. Sofort wandte Chris seinen Blick ab und richtete ihn zu Boden. Im nächsten Moment zog Eva ihren linken Arm nach vorne und Chris stolperte hinter ihrem Rücken hervor. Sie hatte sein Handgelenk fest umgriffen und zog ihn ins Zimmer. Ich beobachtete das Szenario nur leicht geschockt. Warum war Eva so hart mit ihm? Hatte er etwas falsch gemacht? Oder wollte sie nun doch das wir uns schnellstmöglichst versöhnten? Meine Gedanken wurden durch Chris' genervte und gleichzeitig flehende Stimme unterbrochen: „Eva. Bitte." „Sei jetzt ruhig Chris. Es geht nicht anders und Schluss. Erklär Andreas was los ist und dann schlagt euch von mir aus die Köpfe ein. Hauptsache ihr seid leise und bleibt hier drin", zischte sie ihn leise an. Ohne auf eine Antwort zu warten schloss sie die Tür und ich hörte ihre sich eilig entfernenden Schritte auf dem Flur. Ich wandte meinen Blick wieder meinem Bruder zu, der noch immer mitten in der Nähe der Tür stand und diese anstarrte. Von meiner Position aus konnte ich sein Gesicht nicht sehen, doch seine Körperhaltung zeigte wie angespannt er war. Seine Hände waren neben seinem Körper zu Fäusten geballt, sodass seine Knöchel weiß hervorstanden. Unschlüssig was ich sagen oder machen sollte blieb ich einfach schweigend stehen. „Verdammt", murmelte Chris sauer, drehte sich um, lief auf das Bett zu und ließ sich mit dem Rücken darauf fallen. Als er seine Arme verschränkte sah ich kurz, dass sein rechtes Handgelenk stark gerötet war. Eva musste richtig angepisst gewesen sein. Ich riss mich aus meiner Starre und ging ins Bad um einen Waschlappen unter kaltes Wasser zu halten. Während das kalte Wasser über meine Hände lief fragte ich mich, ob das überhaupt eine gute Idee war oder ob ich Chris doch lieber in Ruhe lassen sollte, doch ich schüttelte die Gedanken ab, ging mit dem feuchten Lappen zum Bett und hielt ihn meinem Bruder hin. „Hier. Für dein Handgelenk", flüsterte ich und erwartete, dass er mich ignorieren würde, doch nach kurzem Zögern löste er seine verschränkten Arme, nahm mir den Waschlappen ab ohne mich auch nur im Augenwinkel anzublicken und legte ihn um sein gerötetes Gelenk. Er konnte ein wohliges Seufzen nicht unterdrücken, doch noch immer blieb er von mir abgewandt. Ich schluckte. Vorhin wollte ich unbedingt mit ihm reden. Ich hatte mir meine Worte alle zurechtgelegt, doch als ich nun die Chance hatte war mein Hirn wie leergefegt. Ein paar Mal öffnete ich den Mund um doch irgendetwas zu sagen, aber kein Laut kam über meine Lippen. Und so stand ich einfach nur vor dem Bett und sah vermutlich aus wie ein bescheuerter Karpfen. Hilfesuchend blickte ich zu Petra, die immer noch vor dem Schrank saß und mir aufmunternd zunickte. Ich stockte und fragte mich warum Chris sie nicht gesehen hatte und ob er vielleicht einfach nur zu wütend war um überhaupt zum Schrank zu sehen, doch dann fielen mir Petras Worte wieder ein: „Ich bin nicht echt Andreas. Ich bin ein Trugbild. Eine Halluzination." Ja ich bildete sie mir nur ein. Und ja sie war an einem besseren Ort, war bei Papa und konnte nicht hier sein, doch für mich war sie trotzdem echt. Für mich war sie trotzdem hier bei mir und ich wollte sie auf keinen Fall noch einmal gehen lassen. Ich blickte in ihre wundervollen Augen, die mir schon immer so viel Kraft gegeben hatten. Konzentriert schloss ich meine Augen, atmete tief durch und versuchte meinen schneller werdenden Herzschlag zu kontrollieren. „W... Was... also was...sollst du...mir denn...von....von Eva... sagen?", stotterte ich herum. Innerlich schlug ich mir mit der flachen Hand vor den Kopf. Warum zum Teufel war ich so nervös? Chris drehte sich nicht zu mir, doch ich merkte wie er sich bei meinen Worten anspannte. Unsicher kaute ich auf meiner trockenen Unterlippe herum. Wie lange hatte ich schon nichts mehr zu mir genommen? Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, doch ich verspürte weder Hunger noch Durst. Nur Erschöpfung machte sich in mir breit. Ein paar Sekunden stand ich noch neben dem Bett, bevor ich zum Schrank zurückschlurfte und ich neben Petra sinken ließ, die mich traurig beäugte. Ich zog die Knie an und stützte meine Arme darauf. Petra legte ihre Hand auf meinen Oberarm. Ich konnte sie nicht spüren, doch zu wissen, das sie für mich da war, auch nach ihrem Tod, ließ mich ihr sanftes Lächeln erwidern.


Ihr. Entkommt. Nicht!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt