Erzählung 64

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Auch nach mehrmaligem Rütteln tat sich nichts. „Scheiße", fluchte Chris lautstark und begann gegen die Tür zu hämmern. „Hey Eva! Eva! Wir brauchen Hilfe! Bitte kann mal jemand aufmachen?! Andreas ist verletzt! Bitte!" Wieder und wieder schrie er, doch es schien niemand mitzubekommen. Ich spürte regelrecht wie das Blut meinen Körper verließ und mir Kraft entzog. Ich wunderte mich noch wie das bisschen Blut so viel ausmachen konnte, da ich ja schon weitaus mehr verloren hatte in den letzten Wochen und Monaten. Das graue Shirt war inzwischen vollgesogen. Warum blutete das denn so stark? Alle Wunden waren so gut wie komplett verheilt. Viele waren nur noch Narben, deshalb verstand ich nicht warum das jetzt so plötzlich so heftig blutete. Chris' Rufe und Klopfen nahm ich nur noch im Hintergrund war. Eine schwere Müdigkeit legte sich auf meine Glieder und ich sank zurück in die Decken. „Andreas. Hey. Wachbleiben ja? Lass mich hier bloß nicht allein", vernahm ich die Stimme meines kleinen Bruders direkt neben mir und spürte leichte Schläge auf meine Wange. Mit viel Anstrengung schaffte ich es meine Augen zu öffnen und Chris anzublicken, der sich ängstlich über mich gebeugt hatte. Ich hatte gar nicht bemerkt das mir die Augen zugefallen waren. ‚Tut mir leid Bruder. Ich liebe dich', waren meine letzten Gedanken, bevor mich die Dunkelheit umfing.

Ein gleichmäßiges und nervtötendes Piepen weckte mich aus dem Schlaf. Konnte das nicht mal jemand abstellen? Schwerfällig öffnete ich die Augen und blickte an die weiße Decke mit der Dachschräge, die ich schon so oft studiert hatte. Das nächste was ich bemerkte war ein Gewicht, das unangenehm auf meinen Bauch drückte. Ich blickte hinunter und sah einen Arm darauf liegen. Ich wandte meinen Kopf nach rechts und sah Chris dort auf dem Bauch gedreht neben mir liegen. Er hatte die Augen geschlossen und atmete ruhig. Mein Blick glitt nach links und nun wusste ich auch wo dieses nervige regelmäßige Piepen herkam. Neben dem Bett stand ein Apparat wie man ihn aus dem Krankenhaus kennt, der den Herzschlag überwacht. Das passende Messgerät dazu steckte an meinem linken Zeigefinger. Am liebsten würde ich das Ding von mir entfernen, doch dank Chris konnte ich meinen rechten Arm nicht bewegen. Dann wollte ich einfach den Stecker des Geräts ziehen, doch als ich den Arm beugte spürte ich einen starken Schmerz in meiner Armbeuge. Eine Nadel steckte darin mit einem Schlauch, der mit einem Tropf verbunden war, der direkt an der Wand stand und den ich deshalb nicht gleich bemerkt hatte. Eine klare Flüssigkeit tropfte aus diesem und floss in mich hinein. Was war das für ein Zeug? Nun versuchte ich doch meinen rechten Arm zu befreien und hatte es fast geschafft als mich ein Stechen an der rechten Seite aufhielt. Erst da fiel mir ein was passiert war. Noch vorsichtiger machte ich mit meinen Befreiungsversuchen weiter und schaffte es nach einiger Anstrengung sogar. Als erstes zog ich mir die Nadel aus dem Arm und ignorierte die Blutstropfen, die dabei aus meinem Arm quollen. Dann zog ich den Stecker des Geräts raus und entfernte das Messding an meinem Finger. Langsam hob ich Chris' Arm an und legte ihn direkt neben sich. Endlich konnte ich mich aufrichten. Ich schwang meine Beine langsam über die Kante und hielt inne als Chris sich plötzlich regte. Doch er schmatzte nur einmal und legte seinen rechten Arm angewinkelt nach oben. Ich atmete tief durch und stand dann auf. Noch immer etwas schwach ging ich Schritt für Schritt ins Bad, wo ich erstmal die Toilette aufsuchte. Erst danach stellte ich mich vor den Spiegel über dem Waschbecken und zog langsam das Shirt auf der rechten Seite hoch. Chris musste es mir angezogen haben. Doch als ich meine Haut freilegen wollte kam nur ein weißer Verband zum Vorschein, der jedoch im Bereich der Wunde einige rote Flecken aufwies. Vorsichtig begann ich ihn abzuwickeln und betrachtete anschließend den Grund warum er überhaupt nötig war. Ein paar Zentimeter über der Hüfte begann die Wunde, die sich fast bis zu meinem Bauchnabel zog. Sie hatte aufgehört zu bluten und so konnte ich sie mir näher betrachten. Sie war komplett aufgerissen, zum Glück aber nicht so tief. Mit den Fingern fuhr ich sachte am Rand der Wunde entlang bis mir plötzlich etwas auffiel: Über meine komplette Seite verteilt waren Kratzspuren zu erkennen.

Ihr. Entkommt. Nicht!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt