„Hey", begrüßte mich Chris' Stimme als ich meine Augen aufschlug und gegen das Licht blinzelte, das durch das Fenster schien. „Hey", erwiderte ich. Chris lag mir zugewandt auf der Seite, hatte einen Arm nach oben angewinkelt und seinen Kopf auf seine Faust gestützt. „Wie geht's dir?", fragte ich besorgt als mir einfiel wie er gestern ausgesehen hatte. Davon sah man heute allerdings nichts mehr. „Du meinst wegen gestern?" Ich nickte nur. „Ganz gut. Mein Rücken brennt etwas, aber sonst ist alles gut." „Was hat sie denn gemacht?" „Sie hat mich an die Decke gehängt wie dich als sie dir..." Er stoppte, schluckte und schaute mich mit Mitleid in den Augen an. „Als sie mir mit der Luftpumpe mein Arschloch aufgerissen hat?", vollendete ich seinen Satz mit kalter Stimme. Zaghaft nickte er und sprach dann schnell weiter. „Naja jedenfalls hat sie mich mit der Gerte geschlagen bis ich gemerkt habe wie mir das Blut über meinen Rücken gelaufen ist und dann musste ich so lange Joggen bis ich zusammenklappt bin." Ich wusste nicht was ich darauf erwidern sollte und strich ihm deshalb nur stumm durch die Haare, die ihm fast bis zum Kinn reichten. „Wir sollten Eva mal fragen ob sie uns die Haare schneidet", meinte ich und drehte mich auf den Rücken um die Decke anzustarren. „Was hat sie mit dir gemacht?", unterbrach Chris nach einigen Minuten die Stille, in denen ich innerlich Lieder gesummt hatte um nicht an gestern denken zu müssen. Dieses Gefühl des Stolz-seins das ich mit dem Abend verband verwirrte mich. „Nicht viel eigentlich. Nur den Hintern versohlt." „Nur", lachte Chris einmal sarkastisch auf und beugte sich so weit vor, dass ich ihn im Augenwinkel sehen konnte. „Nur. Ist das dein Ernst?" Ich zuckte mit den Schultern. „Im Gegensatz zu dem was sie uns schon angetan hat schon", meinte ich ohne Emotion in der Stimme und drehte meinen Kopf zu Chris, der mich ungläubig ansah. Dann schüttelte er leicht den Kopf und murmelte mit trauriger Miene: „Stimmt irgendwie." Dann legten wir uns beide wieder auf den Rücken und schwiegen. Mein Blick huschte, ohne das ich den Kopf drehte, immer wieder zu meinem Bruder neben mir. Sollte ich ihm erzählen was in mir vorging? Er würde es vermutlich nicht verstehen, doch wir hatten uns früher schon alles erzählt. Wir waren Brüder und beste Freunde in einem. Also warum fiel es mir so schwer ihm jetzt davon zu erzählen? Warum zog sich in mir etwas zusammen, wenn ich nur daran dachte ihm meine Gefühle zu offenbaren? Vielleicht weil ich nicht erfahren wollte ob es ihm genauso ging? Ich wusste ich veränderte mich. Ich verstand, dass ich früher nie so geredet oder gehandelt hätte. Ich wusste, dass gerade genau das eintrat was ich unbedingt hatte verhindern wollte. Ich akzeptierte das alles und sah es als gerecht an. Es war mir egal was mit mir passierte, doch Chris durfte das alles nicht erfahren. Er sollte nicht so werden. Mein Kleiner sollte der bleiben, der er war und kein Schatten seiner selbst. Und das klappte doch bestimmt am besten wenn ich ihn von all diesen Gefühlen möglichst fernhielt und ihn nicht dazu anregte überhaupt über die Möglichkeit nachzudenken das es bei ihm so werden könnte wie bei mir. Oder? „Ich hab dich lieb mein Kleiner. Vergiss das nie okay?", flüsterte ich und wandte meinen Kopf ihm zu. Er blickte mich an und entfernte mit seinem Daumen die Träne, die sich aus meinem Augenwinkel gelöst hatte. „Ich dich auch Bruder. Ich dich auch."
Ich dachte zu diesem Zeitpunkt schon ich wäre komplett verloren und am Ende. Ich dachte ich könnte nicht noch mehr kaputt gehen. Ich dachte das was mich früher ausgemacht hatte war schon gestorben und es könnte nicht schlimmer, nicht dunkler in mir werden. Ich meine wer gibt sich bitte mit einer Entführung zufrieden und findet es richtig aufs Übelste gequält und gefoltert zu werden? Richtig. Kein normaler Mensch. Man kann sowas nicht ohne Schäden überstehen. Innerlich wie äußerlich, doch mit jedem Mal denkt man es kann nicht schlimmer werden. Und als ich diesen Stolz spürte als Eva mir sagte sie sei zufrieden mit mir, dachte ich ‚Jetzt ist es soweit. Ich bin komplett bekloppt und komme hier nie wieder weg.' Ich dachte mein Verstand sei nun endgültig verschwunden, bis auf der Teil, der Chris aus allem heraushalten wollte. Wer konnte auch ahnen, dass alles noch viel schlimmer kommen konnte.
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Ihr. Entkommt. Nicht!
FanfictionEntführung, Gefangenschaft, Folter. Jeder hat bei diesen Worten Bilder aus Filmen oder Büchern im Kopf. Aber wer rechnet schon damit soetwas selbst zu erleben? Wohl keiner. Genauso wenig wie die beiden Magierbrüder Chris und Andreas. Doch plötzlich...