Erzählung 31

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Immer wieder schrie ich seinen Namen, doch er bewegte sich nicht. Mein Blick fiel auf seine Brust, doch erst nach ein paar Minuten begriff ich was Eva mit ihm angerichtet hatte. Durch das Blut, das seinen ganzen Oberkörper bedeckte erkannte ich einzelne Buchstaben, die sie ihm eingeritzt haben musste. Und ich konnte mir jetzt schon vorstellen, dass diese Wunden Narben hinterlassen würden. Als ich erkannte welches Wort die 4 Buchstaben ergaben traten mir wieder Tränen in die Augen. Das Wort EVA'S zog sich von Chris' Schultern bis hinunter zu seinem Bauch. Ich schluchzte wieder und würde im Moment alles tun um meinen kleinen Bruder in den Arm nehmen zu können. Und als ich wieder seinen herunterhängenden und zur Seite gedrehten Kopf sah wurde die Sorge um ihn noch größer. Da spürte ich plötzlich einen Stich in meinen Hals und zuckte zusammen. Ich drehte meinen Kopf zur Seite und sah Sven dort stehen. Er drückte gerade den Kolben einer Spritze herunter, die anscheinend in meinem Hals steckte. „W...Was...", brachte ich gerade noch heraus bevor ich einschlief.

Ich träumte. Ich träumte von Messern, Peitschen und Ledermanschetten, von Entführung und Folterung, von Eisenketten und Metalltischen, von Hoffnung und Aufgeben, von Umarmungen und Schreien, nur um nach dem Aufwachen festzustellen, dass das kein Traum war, sondern die Realität. Langsam öffnete ich meine Augen und blinzelte gegen das Licht. Ich spürte wie meine Muskeln von der Anspannung gestern schmerzten und da kam es mir wieder in den Sinn. Chris! Ich schlug meine Augen komplett auf und hob meinen Kopf an um etwas zu sehen, doch da der Tisch wieder in die Waagerechte gekippt worden war erkannte ich nicht viel. Alles was ich sah waren Chris' nackte Füße auf dem Tisch in dem Raum gegenüber. Ich ließ meinen Kopf wieder sinken und mir kamen seine Schreie in den Sinn und mein Körper reagierte sofort. Mein Herz raste, meine Atmung verschnellerte sich, Panik machte sich in mir breit. Da bewegte sich plötzlich der Tisch unter mir und brachte mich wieder in eine aufrechtere Position. Kurz darauf sah ich, dass auch Chris' Tisch sich aufgerichtet hatte. Und als ich in das braun seiner Augen schaute fiel mir ein großer Stein vom Herzen. Er lebte! Er wirkte zwar immer noch schwach, doch er lebte. Ich ließ meinen Blick etwas nach unten wandern und sah, dass seine Brust mit einem weißen Verband umwickelt war. Ich verstand diese Frau nicht. Erst foltert sie ihn und dann kümmert sie sich um seine Wunden? Doch bevor ich weiter darüber nachdenken konnte hörte ich wie sich die Tür hinter mir öffnete und wieder schloss. Ohne ein Wort zu sagen ging Eva zu der Kommode, öffnete eine der Schubladen und nahm etwas heraus. Als sie sie wieder schloss und aus meinem Blickfeld verschwand schien sie darauf zu achten, dass ich nicht sah was sie in der Hand hielt. Und plötzlich legte sich etwas von hinten um meine Augen und Dunkelheit umfing mich. Mein Kopf wurde etwas angehoben und etwas um diesen eng angelegt. Ich vermutete das Band für die Augenbinde. Was hatte Eva wohl vor, dass sie mir meine Sicht nahm? Ich lauschte angestrengt ihren Schritten, dann war ein Knacken zu hören und Eva begann zu sprechen: „Also mein süßer Chris. Mir ist gestern aufgefallen, dass du ja gar keinen Plan hast warum ich das hier mache. Also euch zusehen lasse wie der andere leidet." Ich öffnete den Mund um Chris' Namen zu sagen, doch eine große Hand legte sich sofort auf meinen Mund und hinderte mich so am Sprechen. „Sei schön ruhig. Es ist unhöflich andere beim Sprechen zu unterbrechen", flüsterte mir eine männliche Stimme ins Ohr. Eva hatte in dieser Zeit weitergeredet und Chris das Gleiche gesagt wie mir gestern bzw. bevor sie meinen Kleinen folterte. Ich wusste nicht ob es gestern war oder heute. Es hing nirgends eine Uhr und es gab kein Fenster durch das Sonne hereinscheinen könnte. Die Hand an meinem Mund verschwand erst, als Eva fertig war mit Reden. Und bevor ich auch nur einen Satz sagen konnte hörte ich etwas durch die Luft sirren und musste gleich darauf laut aufschreien.

Ihr. Entkommt. Nicht!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt