Heute (9)

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Langsam laufe ich durch die Dunkelheit. Meine nackten Füße hinterlassen keinen Laut auf dem kalten, glatten Boden. Nur mein Atem ist zu hören. Ich blicke mich um in der Hoffnung irgendetwas sehen zu können, doch nichts. Nur Dunkelheit und Stille um mich herum. Ich laufe weiter, denn hier auf der Stelle zu stehen würde auch nichts bringen. „Andyyyyyy", ertönt es plötzlich. Es war nicht laut. Eher eine tonlose Stimme, ein Hauch, doch ich konnte es deutlich verstehen. Panisch drehe ich mich um, doch ich kann niemanden hinter mir erkennen. Ich blicke in alle Richtung und lausche ob ich die Stimme noch einmal höre, doch nichts. Wieder bin ich nur von Stille umgeben. Aufmerksam und mit Angst in den Knochen laufe ich weiter. Ich ertappe mich dabei wie ich immer wieder in die Dunkelheit lausche, doch nie ist etwas zu hören außer meinem eigenen Atem. „Andyyyyyyy", ertönt es plötzlich wieder, doch erneut ist nichts zu sehen als ich mich umdrehe. Mein Herzschlag beschleunigt sich deutlich und auch meine Atmung wird schneller. Jetzt laufe ich auch nicht mehr langsam und gemächlich, sondern beschleunige meine Schritte. Die Stimme hatte sich näher angehört als vorher. Oder habe ich mir das nur eingebildet? Egal. Hauptsache ich komme weg von ihr. Eine ganze Zeit lang laufe ich schnell durch die Gegend. Keine Ahnung ob ich dabei überhaupt geradeaus oder im Kreis laufe. Es kommt mir wie eine halbe Ewigkeit vor als ich meine Schritte verlangsame um ein wenig zu verschnaufen, doch kaum stehe ich ertönt plötzlich wieder diese Stimme. Diesmal habe ich das Gefühl eine Schlange würde mir direkt ins Ohr zischen: „Andreasssssssss." Ohne zu überlegen oder mich umzudrehen renne ich los. Ich weiß nicht ob ich überhaupt verfolgt werde, doch ich will es nicht darauf anlegen erwischt zu werden. Von wem oder was auch immer. Mein Brustkorb beginnt zu schmerzen von den hämmernden Schlägen meines Herzens und dem schnellen Auf und Ab meiner Lungen. Ich bilde mir ein schnelle Schritte hinter mir zu hören, doch ich gebe mir keine Zeit nachzuschauen. Einfach nur weiterlaufen. „Andreasssssss." Immer öfter höre ich meinen gezischten Namen und mit jedem Mal beschleunige ich meine Schritte, obwohl ich schon fast am Ende meiner Kräfte bin. Meine Muskeln brennen und meine Füße schmerzen als ich in der Ferne etwas sehe. Ich kann nicht deuten was es ist, doch ich renne darauf zu. Auf meine Rettung oder mein Verderben. Trotz der Dunkelheit erkenne ich schnell, dass es sich um ein Haus handelt. Gott sei Dank. Das ist meine Rettung. Doch ein paar Schritte später wird mir klar das das nicht irgendein Haus ist. Es ist das Haus, das tief im Wald liegt. Das Haus in dem ich für einige Zeit gewohnt habe. Das Haus in dem ich gemeinsam mit meinem Bruder gequält und festgehalten wurde. Ich will stehen bleiben, doch aus irgendeinem Grund reagiert mein Körper nicht, sondern rennt weiter auf das Haus zu. Auf der Veranda steht eine Person, die die Hand in meine Richtung ausstreckt und obwohl ich noch ein paar hundert Meter weit weg bin höre ich ihre Stimme klar und deutlich: „Gut so Andreas. Komm her. Ich wusste du findest den Weg nach Hause." Eva. Nein. Ich will nicht dahin. Nicht zurück in die Hölle. Ich zwinge meine Beine die Richtung zu ändern und erstaunlicherweise reagieren sie sogar. Im Lauf drehe ich mich um 90° und renne von dem Haus weg. Ich blicke mich noch einmal um und sehe wie Eva ihre Hand sinken lässt und sich ihr Gesicht in eine dämonische Fratze verwandelt. Schnell und von Angst erfüllt renne ich weiter, obwohl mein ganzer Körper schmerzt und mir signalisiert, dass ich dringend stehen bleiben sollte. Doch wenn ich das tun würde würde das was auch immer hinter mir her ist mich bekommen. Also renne ich weiter. Doch es dauert nicht lang bis ich gezwungen bin eine Vollbremsung hinzulegen und stehen zu bleiben. Direkt vor meinen Füßen geht es steil nach unten. Den Boden kann ich nicht erkennen, doch ich möchte auch nicht ausprobieren wo er sich befindet. Schnell atmend drehe ich mich um und suche nach einem Fluchtweg, doch da taucht aus der Dunkelheit eine Gestalt auf. Sie erinnert mich an Eva, doch ihr Gesicht ist nicht mehr ihrs. Ihre Augen glühen rot, ihre Zähne sind spitz und sehen aus wie Reiszähne und ihre Haut wirkt seltsam alt und ledrig. Sie tritt näher und ich will nach hinten ausweichen, doch schon spüre ich die Kante zum Abgrund unter meiner Ferse. Meine Überlegung zur Seite abzuhauen wird direkt zunichtegemacht indem hinter Eva 5 riesige wolfähnliche Wesen auftauchen und sich im Halbkreis aufstellen, sodass jeder Fluchtweg abgeschnitten ist. „Komm mit mir Andreas. Komm nach Hause", zischt die Gestalt vor mir. „Nein. Ich... Ich will nicht. Das ist nicht mein Zuhause." Langsam kommt die Gestalt näher und mit jedem Schritt den sie nach vorne macht kommen auch ihre gigantischen Begleiter näher. „Oh doch. Und das weißt du. Weißt du nicht mehr wie gut es sich angefühlt hat, wenn ich dich bestraft habe für deine Sünden? Wie du der Meinung warst genau das verdient zu haben? Wir wissen beide das du zu mir gehörst mein Lieber." Ihre Worte lösen etwas in mir aus. Sie hat Recht. Ich war der Meinung gewesen das alles verdient zu haben. Doch das war vorbei. Oder? Das Wesen vor mir scheint meine Überlegungen zu bemerken und nutzt die Chance um noch näher an mich heran zu treten und die Hand einladend nach mir auszustrecken. „Hör auf dein Inneres. Du weißt was du willst und was du brauchst." Inzwischen hört sich ihre Stimme wieder mehr nach Evas an und auch ihr Gesicht verändert sich. Ich schlucke und strecke langsam meine Hand nach ihrer aus. Sie hat doch Recht. Ich bin ein schlechter Mensch und Eva hatte mir gezeigt wie man mit so jemandem umgehen musste. Doch bevor sich unsere Fingerspitzen berühren konnten zucke ich zurück. „Nein." Mit einem Schlag erscheint wieder die Fratze in Evas Gesicht und funkelt mich böse an. Vor Schreck weiche ich zurück. Doch ich hatte den Abgrund vergessen und so gleitet mein Fuß ins Leere, ich verliere das Gleichgewicht und falle. Ich schreie nicht. Ich bin wie gelähmt. Plötzlich spüre ich den Aufprall und...






































...reiße panisch meine Augen auf. Es dauert ein paar Sekunden bis ich kapiere, dass ich gerade nicht von irgendeiner Klippe gefallen bin, sondern daheim in meinem Bett liege. Mein Herz rast, Ich atme schnell und bin mit Schweiß bedeckt. Petra neben mir bewegt sich und schlägt schlaftrunken ihre Augen auf. „Hey. Alles in Ordnung?", fragt sie. Ich nicke. „Ja. Nur ein Alptraum. Schlaf weiter." Sie richtet sich etwas auf, stützt ihren Kopf auf eine Hand und blickt mich besorgt an. „Der Gleiche wie sonst?" Ich nicke wieder. In den ersten Wochen wollte ich ihr nicht erzählen was ich träumte, doch wenn man fast jede Nacht von seinem Mann geweckt wird hat man denke ich die Wahrheit verdient. „Ich...ich gehe mir mal etwas Wasser ins Gesicht spritzen." Ohne Petra noch einmal anzuschauen oder auf ihre Antwort zu warten schlage ich die Decke zurück, stehe auf uns tapse leise über den Flur ins Bad. Dort angekommen drehe ich den Wasserhahn auf und spritze mir mit den Händen kaltes Wasser ins Gesicht. Die Träume haben angefangen kurz nachdem ich wieder daheim war. Es ist jede Nacht derselbe Traum mit nur einem Unterschied. Mit jedem Mal komme ich Eva ein Stück näher und ich habe Angst davor was passiert, wenn ich sie berühre oder gar mit ihr mitgehe. Natürlich habe ich Fr. Steiner auch schon von diesen Träumen erzählt. Sie meinte sie könnten daherkommen, dass mich die ganze Geschichte nicht loslässt und mich immer wieder einholt auch wenn ich versuche sie hinter mir zu lassen. Doch selbst sie kann nicht sagen was passiert, wenn ich Eva berühren werde. Eine zweite Ladung Wasser landet in meinem Gesicht und ich schalte den Hahn ab. Herzschlag und Atmung haben sich inzwischen wieder normalisiert. Ich ziehe mir noch das nasse Shirt aus und schmeiße es in den Wäschekorb. Dann gehe ich wieder zurück ins Schlafzimmer. Petra schläft schon wieder. Ich ziehe mir ein neues Shirt an und lege mich dann wieder zu ihr ins Bett. Sie rutscht sofort an mich ran und macht es sich auf meiner Brust gemütlich. Ich lege meine Arme um sie, halte mich an ihr fest und versuche wieder einzuschlafen.

Ihr. Entkommt. Nicht!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt