Erzählung 104

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„Dachtest du echt wir würden ihn nicht finden? Ihn nicht zurückbringen?" Das Video hatte gestoppt, doch das letzte Bild war noch zu sehen. Mit blauen Flecken, Blut an Nase und Mund und einem Blick, der nichts als Schmerz und innere Leere ausdrückte blickte mir mein Bruder entgegen. „Was habt ihr mit ihm gemacht?", schrie ich und rüttelte an den Fesseln, die jedoch kein Stück nachgaben. „Wir haben ihm eine Lektion erteilt. Immerhin kann ich euch euer Verhalten ja schlecht durchgehen lassen", meinte Eva grinsend und zuckte mit den Schultern. „Wo ist er?", fragte ich diesmal leiser. „Er liegt oben. Keine Sorge du siehst ihn nachher wieder. Wenn ihr diese Nacht überlebt zumindest." Geschockt blickte ich zu ihr. „Aber", begann ich, doch wurde prompt von Eva unterbrechen. „Genug jetzt." Sie klang mehr als angepisst. Ich schloss meinen Mund um sie nicht noch mehr zu provozieren. Wenn schon die Möglichkeit bestand, dass ich diese Nacht nicht überlebte wollte ich es nicht noch schlimmer machen. Eva trat aus meinem Blickfeld hinter meinen Kopf und kam kurz darauf mit einer Spritze wieder, die sie mir in die Armbeuge drückte und den durchsichtigen Inhalt in meinen Kreislauf schickte. „Bevor du wieder fragst. Das ist nur ein Mittel, das deine Muskeln lähmt." Ich fragte mich wozu ich das brauchte, doch ich sprach es nicht aus. Kurz darauf meinte Eva im Befehlston: „Mund auf." Ich tat wie geheißen und öffnete ihn ein paar Zentimeter. Eva stand wieder direkt hinter mir und hielt etwas in der Hand, das aussah wie diese Formen, mit denen der Zahnarzt Kieferabdrücke macht mit einem längeren Stil daran. Eva schob es mir unsanft zwischen die Zähne und befahl mir dann draufzubeißen. Meine Angst steigerte sich. Was hatte sie vor, dass ich etwas zum Draufbeißen brauchte? Ich schluckte trocken und versuchte Eva mit den Augen zu folgen, als sie wieder von mir wegtrat. Doch es brachte nicht viel und so blickte ich wieder an die Decke. Da hörte ich plötzlich ein Quietschen, wie wenn ein Metalltisch mit Rollen bewegt wird. Eva schob genau so einen links neben mich und ich schaute auf das Gerät, das oben draufstand. Es war ein rechteckiger Kasten in der Größe eines normalen Radios. Vorne war ein Knopf mit einem kurzen Zeiger zum Drehen, um den mehrere Zahlen geschrieben standen. Jedoch konnte ich sie nicht richtig erkennen. Ich bildete mir ein, daß der Zeiger auf 170 stand, doch sicher war ich mir nicht. Daneben waren zwei Kippschalter angebracht. Von den beiden Seiten ging je ein Kabel ab zu zwei zylinderförmigen Griffen mit einem breiteren Ende. Diese nahm Eva nun in die Hände und stellte sich wieder hinter mich. Ich fragte mich was sie vorhatte, als sie den ersten Schalter betätigte. „Weißt du was dein Problem ist?", fragte Eva. Ich drehte meinen Kopf in Blickrichtung Decke und versuchte dann fragend zu Eva zu sehen. Ich wusste nicht worauf sie hinauswollte, doch antworten wollte ich auch nicht. Keine Ahnung was passieren würde, wenn ich das weiche Plastikding in meinem Mund ausspucken würde um zu reden. Aber vermutlich erwartete sie nichtmal eine Antwort. „Du hälst zu sehr an deinem alten Leben fest. Vielleicht bekommen wir das ja irgendwie geregelt." Meine Augen wurden zusammen mit meiner Panik größer. Vergessen? Ich wollte mein altes Leben nicht vergessen. Ich wollte meine Familie und alle Erinnerungen mit ihnen nicht verlieren. Meine Frau, meine Kinder, mein Bruder. Gerade als ich eine Ahnung bekam was Eva vorhatte drückte sie mir die Enden der Griffe an meine Schläfen und achtete darauf, dass keine Haare dazwischenkamen. „Zubeißen", meinte Eva noch, als sich einen Sekundenbruchteil später ein unsäglicher Schmerz in meinem Kopf ausbreitete und in meinen Körper überging. Es dauerte nicht lange, doch es reichte, dass mein Körper sich komplett aufbäumte und sich all meine Muskeln zusammenzogen. Ich hatte kaum Zeit zu begreifen was hier vor sich ging, als sich die Blitze erneut von meinen Schläfen durch meinen Körper zogen. Wieder dauerte es nur eine Sekunde, doch mein Körper zuckte danach immer noch für ein paar Sekunden. „Du machst das gut", hörte ich Evas Stimme aus weiter Ferne. Und wieder Schmerz. Mein ganzer Körper tat weh und zuckte immer wieder, auch wenn Eva gerade keine gefühlten 1000 Volt durch mich jagte. Nach dem sechsten Mal wollten die Krämpfe nicht mehr aufhören. Ich hatte das Gefühl nicht mehr atmen zu können, doch ich schaffte es auch nicht meinen Kiefer zu entspannen um das Plastikteil loszuwerden, ohne das ich mir vermutlich schon lange die Zunge abgebissen hätte. Und als ich dann das Gefühl hatte mein Körper würde jeden Moment in seine Einzelteile zerfallen verschwand jedes Gefühl und Schwärze umhüllte mich.

Ihr. Entkommt. Nicht!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt