Etwas verwundert blieb ich stehen und schaute zu ihm herunter, doch ein Stoß an meiner Schulter ließ mich weiterlaufen. Ich steuerte auf den leeren Stuhl zu und wollte mich schon daraufsetzen als Eva mich davon abhielt. „Warte Andreas." Sie kam gerade durch die Tür in den Raum hinein auf mich zu. Ich warf einen Blick auf Chris, dessen Kopf zwar durch den Lederriemen über der Stirn nach vorne gerichtet war, aber sein Blick war nach rechts gerichtet. Weg von mir. Als Eva vor mir stand schaute ich wieder zu ihr. Sie streckte ihre Hände nach meiner Brust aus und ich bewegte mich keinen Millimeter. ‚Nicht bewegen. Nicht bewegen. Lass es einfach geschehen', ging mir die ganze Zeit durch den Kopf. Doch wider Erwarten strich sie nicht über den Verband, sondern löste ihn. Vorsichtig wickelte sie ihn ab, indem sie immer wieder um mich rumgriff, sodass es beinahe so aussah als würde sie mich nur umarmen. ‚Nicht bewegen. Nicht bewegen.' Als mein Blick zu Chris glitt sah ich, dass er uns genau beobachtete. Wartete er darauf, dass ich mich wehrte? Wenn ja konnte er das vergessen. Ich würde ihn nicht mehr leiden lassen nur weil ich nicht nachdachte. Als er bemerkte das ich ihn ansah wendete er seinen Blick sofort ab und schaute erst wieder zu mir als Eva von mir wegtrat. Ich vermied es auf meine Brust zu schauen. Ich wollte nicht sehen wie die Wunden aussahen, wie sich langsam der Schorf bildete und ob eventuell noch einzelne Stellen bluteten. Und schon gar nicht wollte ich sehen was Eva hineingeritzt hatte. Diese nickte mit ihrem Kopf was ich als Zeichen nahm das ich mich hinsetzen sollte. Als ich saß drückte sie dem Unbekannten den Verband in die Hand und machte sich daran die Ledermanschetten um meine Handgelenke festzuschnallen. Unauffällig bewegte ich mich und versuchte meinen Bewegungsspielraum herausfinden, während Eva in die Hocke ging um sich meinen Fußgelenken zu widmen, doch die Manschetten waren so fest, dass ich mich nicht einen Zentimeter bewegen konnte. Ich sah Eva zu wie sie meine Beine in die richtige Position brachte und sie anschließend fixierte. Dann stellte sie sich vor mich und drückte meinen Kopf an meiner Stirn nach hinten. Ich ließ es geschehen, doch als sie nach dem Lederriemen griff und ihn über meine Stirn legte kam Panik in mir auf. Ich riss meine Augen auf und wollte meinen Kopf zur Seite drehen, doch Eva hatte den Streifen bereits festgezogen. Grinsend ging sie zur Seite und verschwand hinter mir aus meinem Blickfeld. Ich blickte nach vorne zu Chris, der mich mit finsterer Miene ansah, doch ich glaubte auch ein wenig Angst oder Reue in seinen Augen aufblitzen zu sehen. Doch das konnte auch einfach nur Einbildung sein, weil ich genau das so sehr hoffte. Ich hörte wie neues Holz in den Kamin gelegt wurde. Es knackte laut und ich bildete mir ein, dass die Hitze in meinem Rücken immer weiter zunahm. „So. Also da Chris ja gemeint hat er müsste nicht hören bist du nun wieder an der Reihe mein lieber Andreas. Du tust mir ja fast schon etwas leid." Ich spürte wie sich zwei Hände auf meine nackten Schultern legten und die Hitze in meinem Rücken nachließ. „Ich meine, was hast du dir denn bitte dabei gedacht Chris? Es war doch klar, dass du keine Chance gegen Sven hast. Vor allem nicht mit deiner Schulter. Also was sollte das?" Chris schwieg und blickte auf einen Punkt über meinem Kopf. Vermutlich zu Eva hinter mir. „Ach komm schon. Sag es. Wir wissen es doch alle, aber ich will das du es aussprichst." Chris sagte immer noch kein Wort und blickte nun Richtung Fenster. Ich beobachtete ihn genau und für einen Moment sah es so aus, als würde sein kaltes Äußeres brechen, doch als er seinen Blick wieder auf mich richtete war dort wieder nur Hass zu erkennen. „Sag es", rief Eva mit Nachdruck und Chris antwortete in der gleichen Lautstärke direkt: „Er soll leiden! Er kam auf die Idee mit der Flucht! Wegen ihm wurde ich aufgeschlitzt! Wegen ihm musste ich an diesem Haken hängen und habe mir die Schulter ausgekugelt! Nur wegen ihm. Er soll leiden so wie ich es musste." Sein Blick durchbohrte meinen und sorgte dafür, dass sich mein Herz erneut schmerzhaft zusammenzog und Tränen in meine Augen traten. Evas Hände auf meinen Schultern drückten kurz zu als würde sie mich trösten wollen. „Du weißt, dass das echt hart ist was du da sagst oder?", fragte sie ohne eine Antwort zu erhalten. „Na gut. Dann legen wir mal los." Kurz darauf spürte ich Evas Gesicht neben meinen und ihre Lippen auf meiner Wange. Dann löste sie sich von mir, die Hitze an meinem Rücken nahm wieder zu. Doch sie war nichts gegen die, die ich ein paar Sekunden später auf meiner Haut spürte.
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Ihr. Entkommt. Nicht!
Hayran KurguEntführung, Gefangenschaft, Folter. Jeder hat bei diesen Worten Bilder aus Filmen oder Büchern im Kopf. Aber wer rechnet schon damit soetwas selbst zu erleben? Wohl keiner. Genauso wenig wie die beiden Magierbrüder Chris und Andreas. Doch plötzlich...