Erzählung 81

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„Ich... ähm... also ich...", stotterte ich vor mich hin, während Chris mich weiterhin anblickte. Von seinen nassen Haaren tropften einige Wassertropfen in sein Gesicht, doch er schien es nicht zu merken. Sein Gesicht zeigte eine gleichgültige, vielleicht auch leicht verwirrte Miene, aber in seinen Augen konnte ich die Besorgnis erkennen. Verdammt. Wie viel hatte er mitbekommen? Ich sah seinen inneren Kampf, der mich ein wenig erschreckte, den ich aber auch verstehen konnte. Wenn früher dieser Ausdruck von Besorgnis in seinen Augen lag oder über sein Gesicht gehuscht war wusste ich das es nur eine Sache von Sekunden war bis er zu mir eilen und mich in den Arm nehmen würde. Doch nun war so vieles anders. War sein Hass mir gegenüber wirklich so tief das es ihm egal war ob ich hier zusammengekauert saß? Verzweifelt und hoffnungslos? Als er plötzlich Schritt für Schritt auf mich zukam keimte Hoffnung in mir auf. Würde er nun mit mir sprechen? Und wenn es über mein Selbstgespräch eben war. Ich wollte wieder mit meinem kleinen Bruder reden. Ich musste wissen wie es ihm geht. Ich brauchte ihn. Doch als er ohne mir einen Blick zu schenken an mir vorbei ging und den Schrank öffnete verschwand diese Hoffnung wieder. Chris wollte sich einfach nur etwas zum Anziehen aus dem Schrank holen und war vermutlich froh, dass ich nicht seine Hälfte blockierte und er mich deshalb nicht ansprechen musste. Vermutlich hatte er auch von meinen Worten nichts mitbekommen oder es war ihm egal. Ich schielte in Chris' Richtung, doch die offene Schranktür versperrte mir die Sicht. Erst nach ein paar Minuten schloss Chris die Tür wieder und ging komplett angezogen an mir vorbei. Erneut ohne mir eines Blickes zu würdigen. Ich beobachtete ihn, während er sein Handtuch ins Bad schmiss und sich anschließend wieder aufs Bett fallen ließ. In meinem Inneren kämpften zwei Gefühle um die Herrschaft: Hoffnung und Verzweiflung. Zwei Gefühle, die unterschiedlicher nicht sein konnten und doch beide berechtigt. Hoffnung hier endlich raus zu kommen damit Chris wieder ein normales Leben führen konnte. Verzweiflung, weil ich befürchtete Chris und ich könnten uns nie mehr versöhnen und uns so nahe stehen wie früher. Falls es überhaupt ein zukünftiges Leben zu zweit geben würde. Denn wenn ich bei unserer Flucht zurückbleiben müsste damit Chris eine Chance hatte würde ich das sofort tun. Mein Blick fiel auf Petra, die traurig zwischen mir und Chris hin und herschaute. „Sprich mit ihm. Du hast es doch auch gesehen. Die Sorge in seinen Augen." Da hatte sie natürlich recht, doch ich hatte auch die Wut gesehen. Und ich wollte nicht riskieren diese noch größer zu machen. Vermutlich war es einfach am besten ihn in Ruhe zu lassen. „Meine Güte Andreas jetzt reiß dich halt mal zusammen und sprich mit ihm. Durch Schweigen werdet ihr das bestimmt nicht klären können. Also jetzt beweg deinen sexy Hintern darüber und sag das es dir leid tut. Sag ihm was in dir vorging. Auch wenn er nicht antwortet, denn nur so wird es besser werden. Und wenn er nicht gleich antwortet gib ihm Zeit. Du kennst ihn." Ach verdammt. Warum schaffte es Petra eigentlich immer wieder die richtigen Worte zu finden? Ich schloss die Augen, atmete lautlos tief durch und fasste den Entschluss den Rat meiner Frau zu befolgen. Was hatte ich schon zu verlieren? Ich kniete mich hin und stand dann langsam auf. Ich fühlte mich schwach und würde mich am liebsten wieder zurück auf den Boden sinken, doch als hätte sie meine Gedanken gelesen sagte Petra: „Hop hop." Unwillkürlich musste ich leicht lächeln. Allerdings nur für wenigen Schritte bis zum Bett. Den als ich vor meinem Bruder stand, der mit dem Rücken zu mir auf der weichen Decke lag begann mein Herz schneller zu schlagen und ich verlagerte mein Gewicht nervös von einem Bein aufs andere. Puhh. Also los. Sollte ich mir noch schnell meine Worte zurecht legen oder doch lieber einfach spontan drauf los reden? Ich merkte wie ich anfing zu zittern als ich begann zu sprechen, doch zum Glück hörte man es meiner Stimme nicht an: „Also... ich... es tut mir leid Chris. Ich habe überreagiert. Ich hätte dir zuhören sollen bevor ich direkt urteile. Es war nur... es war einfach zu viel. Ich wusste nicht wie ich damit umgehen sollte. Mit allem hier. Du bist mein kleiner Bruder und ich will doch nur das es dir gut geht. Ich weiß ich habe dafür gesorgt das es momentan gerade nicht so ist, aber glaub mir das es mir unendlich leid tut und ich alles tun werde um es wieder gut zu machen. Ich liebe dich Bruder und daran wird sich auch nie etwa ändern." Ich wischte mir die Träne weg, die sich aus meinem Augenwinkel gestohlen hatte. Meine Hand machte sich wie von selbst auf den Weg zu Chis Schulter und legte sich sanft auf diese. Doch es dauerte nur Sekunden bis sie weggeschlagen wurde, ich vor Schreck zurückwich und Chris sich bedrohlich vor mir aufbaute.

Ihr. Entkommt. Nicht!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt