Relikte

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Scott und ich starrten an die Decke im Wohnzimmer von Scott. Dort befand sich eine schwarze Färbung mit Verzweigungen, die aussahen wie Äste. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich gesagt, es wäre ein schwarzes Loch. “So ist er reingekommen?“, fragte Cory, der ebenfalls an die Decke starrte.
“Was ist das?“, fragte Liam.
“Das ist der Aufschlagpunkt eines Blitzeinschlags. Für gewöhnlich findet man verkohlte Flächen wie diese nach einem gewaltigen Gewittersturm am Boden.“, erklärte Mason uns dann.
“So kam der Geisterreiter hier rein.“, sprach Scott seine Gedanken aus, als wäre ihm ein Licht aufgegangen. “Durch den Blitz.“
“Wenn sie dadurch die Eberesche brechen können, dann...“, begann Liam.
“Ist kein Ort mehr sicher.“, beendete ich seine Gedanken.
“Was ist mit den anderen? Durch mich sind sie markiert.“, warf Cory ein. Dadurch, dass Cory die Geisterreiter für die Jungs sichtbar gemacht hatte, waren sie alle in Gefahr. Wer die Geisterreiter sah, der würde der nächste sein.
“Wir finden einen Weg, um sie zu beschützen.“, meinte Scott. “Und zwar alle.“

“Es ist ein Relikt.“, erklärte Lydia und sah sich den Schülerausweis von Jake Sullivan an, der ebenfalls von den Geisterreitern mitgenommen wurde.
“Was ist ein Relikt?“, fragte Malia.
“Ein Objekt mit einer festen Verbindung zur Vergangenheit. Als Jake entführt wurde, blieb sein Ausweis zurück und Gwen fand das Armband ihrer Schwester auf dem Schlafzimmerboden.“
“Wie kann jemand gelöscht werden und dennoch etwas hinterlassen?“
“Massenerhaltungssatz. Die totale Masse eines jeden isolierten Systems bleibt konstant.“, erklärte Lydia weiter.
“Also haben die Geisterreiter einen Schwachpunkt.“, stellte ich fest und sah die anderen hoffnungsvoll an. “Ein Relikt würde beweisen, dass Stiles existiert hat.“
“Vielleicht können wir ihn zurückholen.“, meinte Scott nachdenklich. Vielleicht hatten wir wirklich eine Spur.

Während Scott mit Liam sprach, gingen Lydia und ich zum Sheriff, um ihm von unseren Neuigkeiten zu erzählen. Er hatte letzte Nacht mit Scott darüber gesprochen, dass er das Gefühl hatte, irgendwas sei anders. Der Sheriff betrachtete den Ausweis, den wir gefunden hatten und sah uns an. “Ihr wollt mein Haus durchsuchen?“, fragte er uns ungläubig.
“Menschen hinterlassen meistens Dinge. Wenn also Stiles irgendwas-“
“Wieso sollte es hier sein?“, unterbrach er mich.
“Man kann Menschen nicht einfach auslöschen. Sie hinterlassen immer etwas.“, erklärte Lydia.
“Ich konnte gestern Nacht nicht schlafen, also stand ich auf und kümmerte mich um Papierkram. Die Akten lagen im Auto. Ich ging in die Garage und irgendwas war von einem der Regale gefallen und ich stieß mir den Zeh an einem alten Baseballschläger.“, erzählte er uns, “Ohne nachzudenken rief ich einen Namen.“
Geschockt sah ich den Sheriff an und schluckte. “Stiles.“

Vorsichtig betrachtete ich die Fotos im Wohnzimmer der Stilinskis. Lydia schaute sich derweil anderweitig um. Wir hatten uns aufgeteilt, so konnte jeder einen Teil des Raumes übernehmen. “Kann ich euch irgendwie helfen?“, fragte Mrs Stilinski hinter uns.
“Nein, vielen Dank, Mrs Stilinski.“, antwortete Lydia für uns.
“Dann nun... Viel Glück. Dann lass ich euch jetzt allein.“, sagte sie und verließ den Raum. Als sie weg war, sahen wir uns weiter um. Als ich vor meinen Augen wieder die alte Frau sah, schüttelte ich kurz den Kopf.
“Alles okay?“, fragte Lydia mich. Ich wandte den Blick von der Wand ab und schaute zu meiner Freundin.
“Ich hab gestern diese Frau gesehen...“, begann ich zu erzählen. “Ich weiß nicht mal, wieso, aber das ist nicht das einzige seltsame. Vor ein paar Tagen träumte ich von einem Zug, aber es fühlte sich so real an. So echt. Als würde es wirklich passieren.“
Lydia runzelte die Stirn. “Was willst du damit sagen?“, fragte sie mich.
“Dass etwas mit mir passiert ist.“, sagte ich, “Seit ich bei den Schreckensärzten war.“

“Also, was? Du bist jetzt auch übernatürlich?“, fragte Lydia mich, während wir den Flur entlang gingen, in dem ich die Frau das letzte Mal gesehen hatte. Seufzend zuckte ich mit den Schultern.
“Ich weiß es nicht. Ich denke, nicht, aber irgendwas ist trotzdem mit mir passiert. Ich halluziniere und das ist nie ein gutes Zeichen.“, meinte ich. Mitten im Flur blieb ich stehen und schaute auf die Tapete. Vorsichtig bewegte ich meine Hand zu der Stelle, an der sich die Tapete etwas löste, als ich einen Mann neben mir sah. Erschrocken wich ich zurück. “Du hast auch das Licht gesehen, oder?“, fragte der Mann.
“Was gesehen?“, fragte ich stotternd.
“Es ist direkt vor deinen Augen.“
Ich blickte zur Tapete und dann wieder zu dem Mann, doch er war weg.
“Mit wem redest du?“, fragte Lydia verwirrt.
“Na, mit dem Mann, der da eben war. Hast du ihn nicht gesehen?“, fragte ich sie, doch sie schüttelte den Kopf.
“Was hat er zu dir gesagt?“, fragte sie mich wieder.
“Irgendwas mit einem Licht und dass es direkt vor meinen Augen ist.“
Lydia stellte sich neben mich und betrachtete die Tapete. Vorsichtig zog sie an der Stelle, wo sich die Tapete löste, doch jemand griff sofort nach ihrer Hand. “Was tust du denn da?“, fragte Mrs Stilinski sauer.
“Sie tun mir weh.“, meinte Lydia ängstlich. Mrs Stilinski ließ ihre Hand los und versuchte die Tapete wieder an die Wand zu drücken. “Tut mir leid, das hätte ich nicht tun sollen.“, entschuldigte sich Lydia.
“Ganz meiner Meinung. Darin sind wir uns einig.“
Lydia und ich sahen uns kurz an und verschwanden dann den Flur runter.

Flott fuhr Lydia über die Tastatur des Computers. “Hast du Claudia Stilinskis Tapete von ihrer Wand gekratzt?“, fragte Mrs Martin, als sie in das Büro kam. Schuldbewusst senkte ich den Kopf. Sie würde keinen Ärger haben, wenn ich nicht gewesen wäre.
“Nein.“, antwortete Lydia schlicht. Ihre Mutter sah sie wissend an. “Vielleicht, ja.“, sagte Lydia schließlich.
“Sie macht sich Sorgen, um deine geistige Gesundheit.“
“Mrs Martin, es war meine Schuld. Lydia hätte die Tapete nicht angerührt, wenn ich nicht gewesen wäre.“, versuchte ich zu erklären, “Ich sah dort jemanden im Flur. Jemanden, den weder Lydia noch Mrs Stilinski gesehen hat.“
“Nun, wenn Claudia keine Geister sieht, wird es daran liegen, dass sie keine Banschee ist.“, meinte Mrs Martin.
“Ich doch auch nicht.“, entgegnete ich, “Er hat versucht mir zu helfen, etwas zu finden, was Stiles hinterlassen hat. Ein Relikt.“
“Und habt ihr?“
“Nein.“, antwortete Lydia. “Sie bat uns zu gehen, bevor wir irgendwas finden konnten.“
“Ich vermute mal, weil du ihre Tapete zerkratzt hast.“ Mrs Martin blickte auf den Bildschirm des Computers, um zu sehen, was wir machten.
“Mädels, ich kenne Claudia seit der Highschool. Ich vertraue ihr.“, sagte Mrs Martin sanft. Lydia ließ sich erschöpft in den Sessel sinken. “Wisst ihr, was ein Bestätigungsfehler ist?“
“Die Tendenz eine Information so zu interpretieren, dass sie ein bestehendes Vorurteil bestätigt.“, erklärte Lydia, woraufhin ich sie beeindruckt ansah.
“Ja, eine voreingenommene Perspektive. Ihr sucht nach einem Beweis, um etwas zu stützen, von dem ihr bereits glaubt, dass es wahr ist. Und weil ihr wollt, dass es wahr ist.“
“Stiles ist real. Ich weiß es.“, sagte ich selbstsicher. Mrs Martin seufzte.
“Aber denkst du, dass die Möglichkeit bestünde, dass er es nicht ist?“
Schweigend sah ich die Frau vor mir an. Sie atmete durch und nahm ihre Brille ab.
“Okay, erzählt mir alles, was ihr wisst. Ich werde eure voreingenommene Perspektive sein.“

“Ihr wollt was?“, fragte Melissa entsetzt. Ich blickte mich vorsichtig im Krankenhaus um. Die Leute sahen uns teilweise fragend an. “Ihr wollt was?“, fragte Melissa noch einmal. Diesmal viel leiser.
“Claudias Krankenakte. Nur kurz. Wir wissen, dass es viel verlangt ist.“, sagte Lydia.
“Ja, wirklich viel. Also echt extrem viel.“, betonte Scotts Mutter.
“Als die erst kürzlich erleuchtete von uns zweien, vertrauen Sie mir. Es geht um Leben und Tod.“, versuchte Mrs Martin es.
“Euch drei in private Krankenakten sehen zu lassen ist komplett und vollständig gegen die Krankenhausbestimmungen.“ Enttäuscht atmete ich aus. “Also sollten wir uns beeilen.“ Hellhörig hob ich den Kopf und sah Lydia fröhlich an.
Wir folgten Melissa in einen Raum und schauten auf den Bildschirm des Laptops. Melissa suchte Claudias Akte und schaute sie sich an. “Sorry, Leute, aber laut ihrer Krankenakte hatte Claudia niemals Kinder.“, sagte sie dann.
“Ja, aber sie hatte doch...“, meinte ich und deutete mit dem Finger auf den Bildschirm.
“Frontotemporalische Demenz.“, beendete Melissa den Satz verwundert. “Das muss ein Fehler sein.“
“Wie lange ist das her? Sie sieht jetzt zu gesund aus?“, fragte Mrs Martin.
“Ca. 10 Jahre. Ich bin überrascht, dass sie noch am Leben ist, ganz ehrlich. Das ist ein Wunder.“
Es war definitiv ein Hinweis, dem wir nachgehen mussten.

Als Scott und Malia im Krankenhaus ankamen, wurde auch Mr Argent mit einer Verletzung eingewiesen. Fragend sah ich meinen besten Freund an. “Was ist passiert?“
"Die Geisterreiter haben alle geholt. Wir haben sie kaum bremsen können.“, erklärte Malia uns.
“Und, habt ihr was gefunden?“, fragte Scott hoffnungsvoll.
“Wir fanden raus, dass Claudia nie Kinder hatte, also ist Stiles demnach nicht ihr Sohn.“, antwortete Lydia.
“Was ist mit einem Relikt?“, fragte Malia. Ich schüttelte den Kopf. “Also gab es nie einen Stiles, oder?“
Niemand sagte etwas. Lydia nickte nur.
“Klingt nicht mal nach einem echten Namen.“, fügte Scott hinzu.
“Wir sollten trotzdem weiter suchen.“, warf ich ein, “Nochmal die Schulakten überprüfen oder Scotts Dad anrufen.“
“Wie kämpfen die falsche Schlacht.“, entgegnete Malia.
“Wir versuchen Stiles zurückzuholen.“, widersprach ich sauer.
“Die Geisterreiter kamen zurück. Wir können sie noch immer nicht aufhalten. Auf jeden Fall sind sie real. Wir können nicht jemandem hinterher jagen, der es nicht ist.“
“Er hat nicht mal was zurück gelassen.“, fügte Scott hinzu.
“Nur uns.“, ergänzte Lydia und sah mich an. Doch ich gab nicht auf. Stiles existierte, da war ich mir mehr als sicher.

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