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POV Richard

Die Tage vergingen. Mutter weinte nur in ihrem Zimmer. Ich weinte hier draußen und der Wolf an ihrem Bett. Sie lag immer bei Venia und hielt sie in ihren Armen. „Richard!", hörte ich Niala und ich sprang auf. Ich rannte hinauf und sah die beiden an. Venia saß aufrecht im Bett. Sie hatte Schmerzen! Eindeutig. „Venia bat mich dich zu rufen...", hauchte Niala. Hatte sie die letzten Tage überhaupt etwas gegessen? Wenig bis nichts... aber auch ich bekam kaum etwas runter. „Komm her.", lächelte Venia und ich eilte zu ihrer Linken. Rechts von ihr saß Niala auf der Bettkante und hielt ihre Hand. Links kletterte ich aufs Bett und ergriff ihre Hand. „Ich liebe euch beide...", hauchte Venia. „Sag das nicht! Es klingt nach Abschied!" „Es ist doch ein... Abschied... Richard. Ich liebe euch beide. Richard... du warst ein toller großer Bruder." „Ich war furchtbar! Ich hätte dich niemals herholen dürfen!" „Ich wollte doch! Ich wollte bei dir sein.", hauchte sie und ich biss die Zähne zusammen. „Niala... ich liebe dich von ganzem Herzen. Ich wäre gerne zu dir gezogen und wäre auf alle Ewigkeit dein geworden.", hauchte sie und die Dämonin schluchzte. „Aber... ich bin nicht stark...", Venia schluchzte auf. „Mir tut alles weh. Ich ertrage den Schmerz nicht mehr... Niala... nimm deinen Dolch und..." „NEIN!" „Bitte... du hast es schon oft getan. Du kennst dich aus. Schneide mir die Kehle durch, ramme mir den Dolch ins Herz... Bitte...", flehte Venia. Niala starrte sie an. „Nein! Das kann ich nicht tun!" „Bitte... du kennst dich mit dem Töten aus. Ich sterbe schneller als ein Dämon. Weißt du, wie man schmerzlos tötet?", wollte sie wissen. Niala schluckte. Ich erkannte es in ihrem Blick. Sie wusste es. „Ich kann es nicht tun. Ich kann nicht. Es tut mir so leid, Venia. Jeden Wunsch erfülle ich dir aber das kann ich nicht...", wimmerte sie. „Richard? Dann tu du es. Bitte, mein Bruder.", bat sie. Ich schluckte. „Das kann ich nicht.", hauchte ich. Mein Rücken brannte wie verrückt. Niala sollte es nicht besser gehen. Sie schlug sich mit mir jede Nacht den Rücken blutig und flehte zum Himmel. „Bitte... ich ertrage den Schmerz nicht mehr.", flehte sie. „Venia ich kann es nicht tun... ich liebe dich aber... das... ich... nein...", Niala vergrub weinend ihr Gesicht an der Seite meiner Schwester. Niala war am Boden seit Venia hier lag. Ich hatte nicht einmal gewusst, dass Dämonen weinen können. Aber diesen Feind konnte sie nicht besiegen. Sie könnte kämpfen wie sie wollte, doch helfen würde es Venia nicht. „Richard bitte...", bat sie und auch mir liefen die Tränen über die Wangen als ich den Kopf schüttelte. „Aber... ich...", ich schluckte. „Ich weiß einen Schlaftrunk... aber ich weiß nicht... ob du von dem wieder aufwachst...", wimmerte ich. „Gib ihn mir. Bitte... ich ertrage den Schmerz nicht mehr.", flehte sie. „Aber..." „Bitte, Richard.", bat sie und ich nickte. Der letzte Wunsch meiner Schwester. „Ich... ich gehe die Zutaten sammeln...", hauchte ich und stand auf. „Niala... ssh... ich liebe dich auch aber...", sanft zog Venia die Dämonin an sich. „Irgendetwas muss es geben! Ich kann es nicht zulassen!", wimmerte Niala und Venia strich ihr sanft durchs Haar, als ich ging.

Ich zitterte am ganzen Leib als ich die Zutaten sammelte. Frische Weidezweige mit den Knospen wirkten Schmerzstillend wenn man eine Tinktur aus Alkohol herstellte. Getrocknete Lavendelblüten für den Schlaf hatte Mutter in der Küche. Ebenso wie Akazienhonig und Apfelessig. Lediglich Malvenblüten brauchte ich noch. Malven... wir waren jung... ich war 12 gewesen. Venia sechs. Wir spazierten diesen Weg entlang und fanden einige Malvenblüten... und hier waren sie. Damals wie heute. Ich hatte ihr eine gepflückt und hinters Ohr gesteckt. Venia hatte gelacht und ihre grauen Augen hatten geschimmert. Immer wenn ich allein unterwegs war... in einem dreckigen Zelt und in der Eiseskälte... dann sah ich die Malven an. Wenn ich keine da waren, dann sah ich mir die gepresste Malve an. Die Venia gepresst hatte. Noch am selben Abend hatte sie mir diese geschenkt und gesagt: Richard, immer wenn du nicht da bist bei mir, dann passt die Malve auf dich auf. Verdammt... die Malve hatte ich immer noch. Zitternd pflückte ich die Malven. Schon komisch. Die Malve war unser Zeichen doch die Wildrose war Venias. Es war mir nie so wirklich aufgefallen. Aber seit die Dämonin es erwähnt hatte fiel es mir auf. Venia roch nach Wildrosen. Wirklich... Was sollte ich nur tun wenn es soweit war? Verdammt... Ich pflückte die Malven und ging zurück. Ich musste die Tinkturen anfertigen. Eine für die Schmerzlinderung... eine für den Schlaf. Und meine geliebte Schwester würde nie wieder aufwachen... ich bereitete die tödliche Medizin für meine eigene Schwester vor... was war ich nur für eine Bestie?

Mit zitternden Fingern mischte ich die Tinkturen. „Ssh... setz dich hin, mein Sohn. Ich mache das schon.", sanft hauchte mir meine Mutter einen Kuss auf die Stirn und ich nickte. Zitternd trat ich beiseite. Venia... meine süße Schwester. „Der Dämon... wird es mir das Haus zerschmettern?" „Sie. Niala. Ich weiß nicht. Ich denke sie wird noch deutlich mitgenommener sein als wir." „Nun... ich habe ja noch dich. Und besser so als wenn alle mitbekommen, was Venia da mit diesem Vieh getrieben hat." „Niala heißt sie. Sie ist eine starke Dämonin. Hat uns sehr weitergeholfen und... sich eben in Venia verliebt. Dass die Liebe zwischen den beiden echt ist sieht ein Blinder... und nun... ich denke sie wird am Boden sein.", bemerkte ich. Mutter nickte. „Ich werde spazieren gehen und...", ein Donnern unterbrach sie und es begann in Strömen zu regnen. „Oder ich bleibe einfach hier in der Stube.", sie seufzte und setzte sich vor den Ofen. „Ich bete für sie.", hauchte sie und ich nickte. Es war ihre Art zu trauern. So tat sie es schon bei Vater.

Jeder Schritt in Venias Schlafzimmer fühlte sich an als trüge ich Stiefel aus Blei. Mutter hatte eine gute Mischung angerührt. Venia würde keine Schmerzen haben und süße Träume, wenn es soweit war. „Hier...", hauchte ich. „Danke, Richard.", lächelte Venia und nahm das Glas. „Ich liebe dich, großer Bruder. Vergiss das nie.", lächelte sie und trank leer. „Niala...", sie sah die Dämonin an. „Ich liebe dich von ganzem Herzen. Küss mich bitte. Deine Lippen sollen das letzte sein, das ich spüre.", bat sie. Niala nickte und wischte sich die Tränen fort bevor sie meine Schwester voll Liebe und Zuneigung küsste. Venia zog Niala enger an sich und über sie gebeugt küsste die Dämonin meine Schwester wobei auch ihr die Tränen über die Wangen liefen. Ich wand den Blick ab. Dann hörte ich ein leises Schluchzen und sah Niala an, die sich von Venia löste. „Sie schläft.", hauchte sie kraftlos und strich sanft die Wange meiner Schwester entlang. „Was sagt eigentlich Franziskus dazu?" „Er heulte sich die Augen aus und prügelte einige Knappen nieder." „Der Glückliche... ich will sie mit aller Kraft schützen aber... ich habe keinen den ich die Faust ins Gesicht schlagen kann!", hauchte sie und setzte sich neben Venia. Sanft strich sie über ihre Hand. „Weißt du wenn sie..." „Ich spüre ihren Puls.", hauchte Niala und strich mit dem Daumen über ihr Handgelenk, wo ihr Puls war. „Ich.. ich warte... bis... bis sie eben...", sie atmete tief durch. „Ich weiß.", hauchte ich. „Ich... ich gehe runter... ich kann das nicht." „Ich verstehe.", hauchte Niala. „Warte mal... Richard... Du hast sie berührt. Sie geküsst und... wirst du nicht auch..." „Krank? Wahrscheinlich. Als ich erfuhr dass sie krank ist fiel ich ihr um den Hals und wagte es nicht mehr sie loszulassen. Ich bin wahrscheinlich schon krank aber es ist mir scheiß egal. Ich gehe davon aus, dass du heute Nacht nichts mehr groß tust." „Ich habe nicht vor nach Venia zu leben.", hauchte sie. Ich nickte. „Ich auch nicht. Franz war immer ein Freund meiner Familie. Er wird praktisch meinen Platz einnehmen. Ich werde mich an einem Baum erhängen. Sie werden Venia in ein Massengrab werfen ob ich nun da bin oder nicht.", hauchte ich. Sie nickte. „Tust du mir nur noch einen einzigen Gefallen?", wollte sie wissen. „Was?" „Pflanze einen Wildrosenbusch auf das Massengrab. Bitte.", bat ich. „Ich will nach diese Nacht..." „Dann bitte Franziskus. Aber mir ist es wichtig.", bat sie. Ich nickte. „Ja. Bei der Gelegenheit trage ich ihm auch auf Malven zu pflanzen." „Wieso Malven?" „Lange Geschichte. Zu wenig Zeit. Ich gehe raus.", hauchte ich und ging.

Vor der Tür kauerte ich mich im Regen zusammen. Weinend hatte ich die Beine angezogen und umklammert. Der Regen prasselte auf mich herab und ließ mir das Haar kleben. Jede Sekunde fühlte sich an wie Stunden, Tage, Wochen und grausame Jahre. Ich zitterte am ganzen Leib. Und dann kam er. Der Moment, vor dem ich mich so lange gefürchtet hatte. Der Regen prasselte durch die Stille bis ich einen lauten Schrei hörte. „NEEEEIN!", hörte ich die Dämonin brüllen und ich schluchzte laut, bevor ich wie ein kleines Kind losheulte. Venia... meine geliebte kleine Schwester... war tot.

 war tot

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Das süße Gift: Der einsame WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt