Stan stieg aus dem Wagen und ich tat es ihm gleich.
So leise es ging schloss ich die Haustüre auf und hoffte niemanden aufzuwecken, während Stan und ich in mein -beziehungsweise eigentlich ja Tysons- Zimmer schlichen.
Oben angekommen ließ sich Stan bereits aufs Bett fallen, was mich zum Schmunzeln brachte, während ich noch damit beschäftigt war die Zimmertür hinter mir vorsichtig zu schließen.
Ich: „So wohl wie du dich hier fühlst, könnte man fast meinen, das wäre dein Zimmer“
Stan: „Naja das ist es doch auch schon fast. Immerhin hab ich die letzten zwei Wochen fast immer hier gepennt“
Tatsächlich hatte er recht.
Mir war es gar nicht so oft vorgekommen, aber doch war er die letzten Nächte eigentlich immer an meiner Seite gewesen und hatte mir zugehört oder mich im Arm gehalten.
Wenn ich so darüber nachdachte, bekam ich gleich ein schlechtes Gewissen, aber eigentlich machte ich doch nichts falsches oder?
Stan: „Willst du da noch länger stehen und den Fußboden bewundern?“
Ich verdrehte die Augen, da er ganz genau wusste, dass ich Mal wieder in Gedanken war, aber setzte mich dann schließlich doch neben ihn aufs Bett.
Ich: „Bleibst du heute Nacht wieder da?“
Stan: „Hmmmm, also natürlich würde ich liebend gerne die Spülmaschine fertig einräumen, aber ich kann heute Mal eine Ausnahme für dich machen“
Ein leises Lachen kam über meine Lippen und eh ich etwas antworten konnte, zog er mich plötzlich runter zu sich, sodass wir eng nebeneinander lagen.
Er legte seinen Arm um mich und strich mir mit dem anderen eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Stan: „So ist's schon besser“
Als er seinen Mund öffnete, stieg mir eine mächtige Alkoholfahne entgegen und ich rümpfte die Nase.
Ich: „Du hast getrunken? Warum? Und vorallem bist du trotzdem Auto gefahren!“
Empört stieß ich mit meiner Faust spielerisch gegen seine Brust, um meinem Protest Ausdruck zu verleihen.
Stan: „Kein Grund mich gleich zu attackieren. Ich hab ja keinen Unfall gebaut und dir ist es nichtmal aufgefallen. Ich bin Profi“
Eigentlich fand ich das nicht sehr verantwortungsbewusst und war klar gegen Alkohol am Steuer, aber ich wollte jetzt nicht weiter über sowas diskutieren.
Ich: „Na gut, aber warum hast du getrunken? Gab's n Anlass?“
Er überlegte einen Moment, doch schüttelte dann nur den Kopf.
Nach meinem letzten Absturz wegen Alkohol, bei dem ich glücklicherweise in Kathys Wohnung gelandet bin, hab ich persönlich mit Alkohol als Mittel gegen Trauer oder sonstiges abgeschlossen.
Da ich mir das ganze wegen Stress mit Tyson schonmal angetan hatte, wusste ich jetzt zum Glück, dass das keine Lösung war, auch wenn die Möglichkeit, alles im Rausch zu vergessen, verlockend klang.
Viel besser aber war es, das Problem einfach aus der Welt zu schaffen.
Ich konnte mich noch gut an meine Versöhnung damals mit Tyson erinnern und wie schön es danach war.
So leicht konnte ich die jetzige Situation jedoch nunmal nicht lösen und musste stattdessen einfach abwarten.
Warten und hoffen.
Eine sanfte Berührung riss mich plötzlich aus meinen Gedanken und ich blickte überrascht zu Stan, der mir über die Wange gestrichen hatte.
Ich: „Was machst du?“
Klar, wir waren uns in der letzten Zeit recht nahe gewesen und lagen auch jetzt eng aneinander, aber solch eine Berührung kannte ich bis jetzt nur von Tyson.
Das hat er oft gemacht, bevor er mich geküsst hat, aber auch unabhängig davon.
Wie gerne würde ich das noch einmal erleben...
Stans Stimme holte mich jedoch schnell wieder aus meinen Träumereien.
Stan: „Ich hab dir eine Träne aus dem Gesicht gestrichen. Hast du gar nicht bemerkt, dass du angefangen hast zu weinen?“
Ein überraschtes „Oh...“ entkam mir und ich stellte fest, dass tatsächlich ein paar Tränen über mein Gesicht geflossen waren.
Ich: „Ich war wohl in Gedanken...“
Stan: „Du solltest echt aufhören immer an ihn zu denken und endlich in der Realität leben, Stella“
Ich: „Zu meiner Realität gehört Tyson nunmal dazu. Er ist überall in meinen Gedanken und fest in meinem Kopf verwurzelt. Ich kann ihn nicht einfach vergessen“
Stan: „Doch, das kannst du. Du musst ihn nur loslassen und dann kann ich dir helfen, ihn zu vergessen“
Ich verstand nicht, wie er das meinte, doch auf einmal beugte er sich über mich und war mir ganz nah.
Bevor ich realisierte, was er vorhatte, spürte ich auch schon wie er seine rauen Lippen auf meine presste.
Ich schmeckte den Alkohol an seinen Lippen, doch nach einer kurzen Schrecksekunde drehte ich meinen Kopf energisch zur Seite und versuchte ihn von mir zu stoßen.
Erst wollte er nicht von mir ablassen und ich bekam schon Panik, doch als ich gegen seine Lippen schrie, er solle aufhören, entfernte er sich.
Erschrocken über das gerade Geschehene kauerte ich mich ans Kopfende des Bettes, soweit weg von Stan wie möglich.
Ich: „Was sollte das denn?!“
Gestresst fuhr er sich durch die Haare, was mich nur an Tyson erinnerte und alles noch schlimmer machte.
Stan: „Fuck, ich konnte einfach nicht mehr widerstehen... Tut mir leid, aber weißt du eigentlich wie schwer es für mich ist, dir die ganze Zeit so nah zu sein und doch nicht näher kommen zu dürfen, weil ich mir anhören muss, wie sehr du noch an Tyson hängst? ...Ich könnte ihn umbringen und würde ihn am liebsten aus deinem Gedächtnis ausradieren! Wieso kannst du ihn nicht einfach aufgeben und dich stattdessen auf mich einlassen?“
Jetzt war ich sprachlos.
Ich: „Was? Du... Du hast Gefühle für mich?!“
Wieder strich er sich nervös durch die Haare, was mich noch verrückt machte.
Stan: „Ja, vielleicht habe ich Gefühle für dich. Ja scheiße, ja. Seit ich dich kennengelernt habe. Aber mir war klar, dass Tyson dich an sich gebunden hatte. Ich dachte jetzt, wo er außer Gefecht gesetzt war, hätte ich endlich eine Chance bei dir, aber nein... Selbst jetzt steht er noch zwischen uns“
Deswegen war er die ganze Zeit zuvor so komisch?
All die ekelhaften Anspielungen und Bemerkungen waren, weil er eigentlich nur eifersüchtig war?
Weil er... in mich verliebt war?
Ich: „Hast du dich deswegen so aufgeführt und komische Kommentare abgegeben, als Tyson noch da war?“
Vielleicht sollte ich geschmeichelt sein, dass er was von mir wollte, aber das war ich nicht,weil ich viel zu geschockt war.
Stan: „Ich habe mich nie verstellt. Aber du warst vergeben und deshalb war ich an manchen Stellen vielleicht etwas härter, um dich von mir fern zu halten“
Das ist schon wieder diese Jungslogik, die ich einfach nicht verstehe.
Ich: „Wieso das denn? Wenn du was von mir wolltest, warum vergraulst du mich dann?“
Stan: „Na wegen Tyson. Ich hasse ihn manchmal echt, aber ich könnte ihm niemals in den Rücken fallen und ihm seine Freundin ausspannen. Also wollte ich dir gar nicht erst zu nahe kommen. Das war für alle das beste“
Ich werde nie nachvollziehen können, weshalb man sich wie ein Arschloch verhält und das auch noch gerechtfertigt findet, aber da war er ja nicht der einzige der scheinbar einen Denkfehler hatte.
Trotzdem hätte ich gar nicht erwartet, dass Stan Tyson gegenüber so loyal ist und so etwas tun würde für ihn.
Viel wichtiger war jetzt allerdings, was in den letzten zwei Wochen passiert war.
Es muss Stan furchtbar fertig gemacht haben, mir seelisch und körperlich beizustehen und gleichzeitig etwas für mich zu empfinden.
Und obwohl ich das sehr schätzte und ihm dafür dankbar bin, war es dennoch nicht in Ordnung, dass er mich gerade mit dem Kuss so überstürzt hat.
Ich: „Und du hast gedacht, nach zwei Wochen, in denen du jeden Abend mitbekommst wie sehr ich Tyson liebe und vermisse, vergesse ich ihn einfach und erwidere deine Gefühle direkt?“
Stan: „Vielleicht war das gerade etwas überstürzt, aber schau doch Mal:
Wir verstehen uns gut.
Wir lachen zusammen.
Wir sehen und hören uns täglich.
Wir verbringen sogar die Nächte zusammen.
Wir sind uns seelisch und körperlich so nah.
Und wir brauchen beide den anderen.
Wir sind doch quasi schon ein Paar“
Wenn man das so hört, könnte man wirklich behaupten wir wären zusammen, aber das waren wir nicht.
Ich empfand nichts für Stan. Überhaupt nichts.
Für mich war er nur ein Freund, der wie es Freunde nunmal tun für einen da war.
Ich wollte auch nie etwas anderes vermitteln, aber vielleicht habe ich mich ja doch nicht ganz richtig verhalten.
Ich: „Tut mir leid, wenn ich dir falsche Hoffnungen gemacht habe, aber wir sind nicht zusammen. Und das werden wir auch nie“
Stan: „Sag das nicht... Ich kann dich glücklich machen!“
Er sah wirklich verletzt aus, was ich definitiv nicht wollte, aber der Kuss gerade war dennoch voll daneben.
Stan: „Was willst du denn noch alles?
Ich sehe gut aus, habe Humor, bin immer für dich da und kann dir alles bieten was du brauchst.
Also was hat er, was ich nicht habe?“
Ich: „Mein Herz. Und das ist alles was zählt, Stan“
Es war doch sinnlos darüber zu diskutieren.
Stan konnte so viel argumentieren wie er wollte, er wusste doch ganz genau, dass mein Herz Tyson gehörte.
Stan: „Aber das kann sich doch ändern! Schau Mal, du und ich, wir gehören zusammen und-“
Ich: „Nein Stan, hör auf damit! Ich werde Tyson immer lieben. Komme was wolle“
Dass er mir jetzt ernsthaft sowas einreden wollte, war doch lächerlich.
Ich verstand ja, dass er verletzt war, aber ich würde nunmal nie etwas mit ihm anfangen.
In diesem Augenblick war es wahrscheinlich sinnlos mit Stan weiter zu reden, da er durch die Zurückweisung viel zu aufgebracht war.
Außerdem musste ich das erstmal alles verarbeiten. Und zwar alleine.
Ich: „Ich glaube, du solltest jetzt gehen...“
Stan: „Nein! Ich werde das so nicht stehen lassen! Stella, ich-“
Ich: „Geh bitte Stan, es hatte keinen Sinn“
Stan: „Doch es hat Sinn. Und wie! Wir beide gehören zusammen, das-“
Ich: „Ich bitte dich jetzt ein letztes Mal zu gehen. Sonst rufe ich die anderen“
Stan: „Stella, tu das nicht!“
Ich: „Verschwinde Stan! Ich will dich hier nicht mehr haben“
Bevor ich die Bedeutung meiner Worte einschätzen konnte, purzelten sie mir schon aus dem Mund.
Stan: „So eine Scheiße!“
Er erhob sich und trat mit voller Wucht gegen den Papierkorb, sodass dieser mit lautem Tösen durchs Zimmer knallte und seine Inhalt im Raum verteilte.
Stan: „Ruf mich an, wenn du dich beruhigt hast und eingesehen hast, dass es ein Fehler war mich weg zuschicken“
Damit schmiss er die Tür hinter sich zu und ich blieb mit den neuen Eindrücken alleine zurück.
Obwohl ich völlig fertig war, war mir nicht zu weinen zu mute, denn die Situation hatte einen erheblichen Unterschied zu dem Drama mit Tyson.
Die ganze Sache mit dem Box Kampf und dessen Ergebnis, dass Tyson nun im Koma war, lag nicht in meiner Hand und ich konnte keinen Einfluss darauf nehmen.
Die Sache mit Stan jedoch hätte ich verhindern können.
Hätte ich vielleicht sogar verhindern müssen.
Eigentlich trage ich sogar die volle Schuld ab dem Moment, an dem ich angefangen habe ihn an mich ran zu lassen.
Ich hätte mich ihm nie so leicht anvertrauen sollen und hätte aber vorallem nicht seine Ähnlichkeit zu Tyson ausnutzen dürfen, um mich abzulenken.
Mit meinem egoistischen Handeln habe ich ihn sicherlich verletzt und es war einfach nicht fair seine Gefühle für mich auszunutzen.
Ich fühlte mich so schlecht und ekelte mich vor meinem eigenen Verhalten.
Wie konnte ich das zulassen?
Wie konnte ich es so weit kommen lassen?
Wie konnte ich mir nur einbilden Tysons Lücke in irgendeiner Weise mit Stan füllen zu können?
Mir hätte klar sein müssen, dass das nicht gut enden konnte.
Meine Trauer mit Stan unterdrücken zu wollen war nicht nur falsch Stan gegenüber, sondern auch hinterhältig Tyson gegenüber.
Die ganze Zeit schon und jetzt einmal mehr fühlte ich mich deswegen Tyson gegenüber schlecht, als würde ich ihn betrügen und jetzt habe ich wahrscheinlich auch noch Stan das Herz gebrochen und gleichzeitig damit unsere Freundschaft ein für alle mal verloren.
Am liebsten würde ich alles rückgängig machen, aber das ging nunmal nicht.So hatte ich jetzt noch mehr Sorgen auf der Seele und würde sie am liebsten laut heraus schreien, aber ich war unsicher, ob ich Kathy oder jemand anderem davon erzählen sollte.
Als hätte ich geahnt, dass das Ganze nicht gut enden würde, habe ich auch auf Stans Wunsch hin nie jemanden was von Stan und mir erzählt.
Alleine das so zu formulieren -was von Stan und mir zu erzählen- klang ja schon verwerflich und einfach falsch.
Also dachten alle ich würde Stan weiterhin nicht mögen und wir hätten nichts miteinander zu tun.
Wenn ich jetzt mit so einer Geschichte ankam, wusste ich nicht, ob sie das verstehen würden oder ob sie am Ende sogar sauer sein würden, weil sie sich belogen vorkamen.
Letzteres wollte ich nämlich auf keine Fall riskieren, auch wenn ich mir so gerne alles von der Seele reden würde.Vorallem aber hatte ich das Bedrängnis, alles Tyson zu erzählen, um mich bei ihm entschuldigen zu können.
Allerdings wollte ich ihn nicht verletzen und damit eventuell noch seine Gesundheit beeinträchtigen.
Zwar wusste ich aus eigener Erfahrung nur zu gut, dass Geheimnisse und Lügen oftmals soviel schlimmer als die Wahrheit sein konnten, aber solange Tyson gar nichts davon wusste, fuhr ich am sichersten.
Ich fühlte mich schon jetzt schlecht bei dem Gedanken, morgen bei ihm zu sein und ihm das alles zu verschweigen und ihm vorzulügen, dass alles bestens sei.
Das war schon die letzten Male bei ihm so, als ich nie was von Stan erwähnt hatte, aber durch diese Eskalation gerade eben wurde mein schlechtes Gewissen nochmal deutlich schlimmer.
Aber ich musste das aushalten, um Tyson zu schützen, oder?
...Oh man so ein Satz hätte auch von ihm selber kommen können und ich hätte mich furchtbar über so ein Denken aufgeregt, aber jetzt fang ich selber schon mit sowas an.Wahrscheinlich hatte ich noch lange genug Zeit mich mit meinen Gewissensbissen auseinander zu setzen, denn diese Nacht würde ich auf jeden Fall schon Mal nicht mehr viel schlafen.
Ich fühlte mich so aufgewühlt wie schon lange nicht mehr, da konnte das eine lange Nacht ganz alleine werden...
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Roadtrip mit einem Badboy
Romance~Roadtrip mit einem Badboy~ Stella Marks war das schüchterne Mädchen von nebenan und hatte keine Freunde an ihrer Schule. Ihr Vater war gestorben und ihre drogenabhängige Mutter interessierte sich nicht für sie. Die einzige Stütze in ihrem Leben war...