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Wörter: 1195

⚠Modern Day AU⚠

Die Krähen hatten vor Jahren einen Tag eingeführt, bei dem sie einfach nur alle zusammen saßen und lasen. Sogar Jesper schaffte es ruhig zu sein, wenn sie das taten. Er konnte für Stunden in einem Buch versinken, wurde nicht hippelig. Sie mussten ihn sogar regelmäßig aus seiner Trance wecken, damit er ein wenig aß und trank. Kaz passte auf, dass er das tat.

Aber genau zu diesem Tag kam Kaz heute zu spät. Er war über Nacht bei seinem Partner gewesen und eigentlich brauchte er dringend Schlaf, aber er würde diesen Tag nicht verpassen. Als er den kleinen Raum betrat, lag Jesper zusammengerollt auf einem Sessel und hatte schon begonnen zu lesen. Auch die anderen hatten ihre Bücher in den Händen. Inej blickte auf als Kaz den Raum betrat.

Er nickte ihr kurz zu und zog seinen Mantel aus. Als sein Blick auf Wylan fiel, legte er kritisch die Stirn in Falten. Irgendwas stimmte nicht. Wylan blätterte die Seiten viel zu schnell um und seine Augen wanderten unkoordiniert über das Papier. Er stellte sich neben ihn und sah mit auf das Buch. "Worum geht's?" fragte er. Wylan hob den Kopf und sah Kaz verwirrt an. "Worum geht es? In deinem Buch." "Äh..." Wylan kratzte sich im Nacken, "Es ist eine Detektiv-Geschichte." Kaz, der das Buch schon mal gelesen hatte, es anhand des Textes, den er sehen konnte und des Covers erkennen konnte, wusste sofort, dass Wylan log.

"Es ist ein Buch über alte Legenden aus Ravka." sagte Kaz und verschränkte die Arme vor der Brust, "Wenn du keine Lust auf Lesen hast, kannst du die Runde gerne verlassen." Wylan senkte den Blick. "Wylan." knurrte Kaz, "Such dir ein Buch, dass dich interessiert oder geh." Wylan nickte, ging zum Bücherregal und nahm sich ein anderes Buch, dessen Cover er mochte. Er hoffte nur, dass Kaz ihn nicht wieder darauf ansprach.

In seinem Hals hatte sich ein Kloß gebildet und er fühlte sich unwohl unter Kaz' strengem Blick. Er kauerte sich in seinem Sessel zusammen und schlug die erste Seite auf. Kaz nahm sein Buch vom Tisch, setzte sich ebenfalls und begann zu lesen. 

Immer, wenn er die Seiten umschlug, blickte er zu Wylan. Aber dieser schien immer noch nicht auf das Buch konzentriert. Er kaute an seinen Fingernägeln und schien durch das Buch hindurch zu starren. Irgendwann reichte es Kaz. 

Er stand auf und legte sein Buch zur Seite. Dann ging er zu Wylan, packte ihn am Arm und zog ihn raus auf den Gang. "Wylan, was zur Hölle ist los mit dir? Wenn du nicht lesen willst, dann geh einfach!" Wylan zuckte zusammen und trat zurück, spürte die Wand des engen Flurs an seinem Rücken. Kaz kam auf ihn zu wie ein Raubtier, das seine Beute in eine Ecke gedrängt hatte.

"Was stimmt mit dir nicht?" knurrte er wütend. "I-Ich habe doch gelesen." "Einen Scheiß hast du!" Wylan zuckte zusammen und drückte sich gegen die Wand, hatte Angst. "I-Ich..." Wylan zitterte und ein riesiger Kloß hatte sich in seinem Hals gebildet. Auf einmal fiel es Kaz wie Schuppen von den Augen: "Du kannst nicht lesen..." Wylan senkte den Blick und Tränen flossen über seine Wangen. Er schämte sich dafür. Und erst recht wollte er nicht, dass Kaz ihn jetzt heulen sah. 

"Wir machen das seit Jahren! Du bist seit zwei Jahren bei uns, machst seit zwei Jahren diesen Tag mit und kannst nicht lesen?" Wylan nickte und eine Träne tropfte von seinem Gesicht. Kaz hob sein Kinn an und wischte mit einem Taschentuch die Tränen weg: "Kein Grund zu weinen. Es gibt einen einfacheren Weg. Du hättest früher etwas sagen können." Wylan senkte wieder den Blick. Kaz gab ihm das Taschentuch und zog ihn dann wieder mit in den Raum. Jesper rührte sich nicht, aber Kaz sah, wie Wylan sofort zu ihm blickte. 

"Du kannst sicher mit ihm kuscheln." sagte er. Er wusste, dass Jesper die Person war, bei der Wylan sich am besten fühlte, mit der er sich am wohlsten fühlte. Und er wusste, dass Wylan ihn jetzt brauchte.

Kaz ging zu Jesper und rüttelte vorsichtig an seiner Schulter. Er hob den Kopf: "Ich hab doch erst was getrunken." "Setzt du dich auf die Couch? Wylan will kuscheln." Sofort stand Jesper auf und ging zur Couch. Wylan folgte ihm schüchtern und wurde sofort in die Arme genommen. "Hey, alles okay, Sonnenschein?" Wylan nickte nur leicht. Jesper gab ihm einen Kuss auf die Haare. Natürlich wusste er, dass nicht alles gut war, aber wenn Wylan nicht reden wollte, würde er ihn nicht zwingen. Er nahm ihn einfach in den Arm, Wylan kuschelte sich an ihn und vergrub seine Nase in Jespers Halsbeuge.

Auf einmal kam Kaz wieder zu ihnen. Er nahm Wylans Kopf in die Hände und steckte ihm Kopfhörer in die Ohren. Dann gab er ihm sein Handy und drückte auf einen Knopf. In Wylans Ohren begann jemand zu sprechen. Kaz setzte sich in seinen Sessel und Wylan erkannte das Buchcover. Es war das gleiche, wie das Bild vor ihm auf dem Handydisplay. Wylan lächelte und schmiegte sich wieder an Jesper, welcher sich in sein Buch vertieft hatte, aber dennoch streichelte er Wylan. 

~*~*~

Kaz saß neben Wylan am Tisch und ließ ihn über das Buch reden. Er hatte extra das gleiche Buch wie Wylan gelesen, damit er zumindest darüber reden konnte, wenn er es nicht selbst lesen konnte. Wylan schien gerne über das Buch zu reden und Kaz mochte es, ihn so begeistert zu sehen. Er konnte sich an jedes kleinste Detail erinnern und Kaz liebte es. Die Diskussionen waren einfach perfekt. 

"Was willst du als nächstes hören?" fragte Kaz als sie ihre hundertste Diskussion über das Buch beendet hatten. Bei der Frage wurde Wylan sofort unsicher und zog die Schultern hoch. Kaz stand auf und zog Wylan mit sich zum Bücherregal: "Such dir einfach eins aus." Es dauerte eine Weile, dann hatte Wylan sich für ein Buch mit einem hübschen Cover entschieden und Kaz hatte das Hörbuch auf Wylans Handy geladen. Dann kuschelte Wylan sich wieder in Jespers Arme, so wie sie es jetzt immer taten, und Kaz hatte sich wieder in seinen Sessel gesetzt. 

Kaz las recht schnell, war aber dennoch nicht schneller als das Hörbuch. Da Wylan aber nur an ihren wöchentlichen Lesetagen das Hörbuch hörte und Kaz auch hin und wieder, wenn er Zeit fand, las, waren sie immer recht gleichzeitig fertig und verbrachten dann die gesamte Woche damit über das Buch zu philosophieren, bevor sie in der nächsten Woche ein neues anfingen.

Die anderen fanden es überraschend, wie entspannt Kaz mit Wylans Dyslexie, die er mittlerweile allen gestanden hatte, umging. Aber Kaz wusste nicht, warum es jemanden stören sollte. Wylan war ein Genie, was Gleichungen anging. Dass er nicht lesen konnte, änderte gar nichts daran. Jesper störte es auch kein bisschen, er vergaß es sogar immer und immer wieder, da es für ihn einfach keinen Unterschied machte. Matthias hatte sich eine ganze Weile über die mangelnde Bildung des Kleinsten ausgelassen, was Kaz aber sofort und mit Gewalt unterbunden hatte, als er es zum ersten Mal mitbekam.

Jetzt waren sie alle Wylans Lese-Assistenten, wenn es mal dazu kommen sollte, dass Wylan etwas lesen musste. Es störte keinen mehr und Wylan schämte sich nicht mehr für seine Dyslexie.

Six of Crows OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt