Family

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Wörter: 1306

"Hey." 

Kaz bewegte sich keinen Millimeter, als Jesper neben ihn trat und die Unterarme auf der Rehling des Schiffes ablegte. Auch die Begrüßung erwiderte er nicht. Irgendwie war er in Gedanken und doch bemerkte er jede kleinste Bewegung seines besten Freundes. "Lass den Kiefer locker, du wirst dir noch die Zähne ausbeißen." lachte Jesper und schnippte leicht gegen Kaz' scharfkantigen Unterkiefer. Der Hautkontakt war so flüchtig, dass Kaz ihn kaum regestrierte. 

"Au." sagte er monoton, aber entspannt seinen Kiefer dennoch. Nun wendete er den Blick doch vom Wasser zu dem Zemeni neben ihm. Dieser lächelte, aber Kaz wusste, dass etwas nicht stimmte. "Willst du mir sagen, dass du dich in den Kleinen verliebt hast? Das weiß ich schon." 

"Huh?" Jesper drehte sich um, als würde er auf dem Schiff nach Wylan suchen. Dann drehte er sich wieder zu Kaz und sah ihn verwirrt an. "Oh, also wusstest du es noch nicht." Kaz hatte Mühe sein Schmunzeln zu unterdrücken. Es war einfach zu offensichtlich wie sehr Jesper auf Wylan stand und auch, dass Wylan auf Jesper stand, aber die beiden schauten einfach aneinander vorbei und bemerkten es nicht mal. 

"Ich stehe nicht auf Wylan!" "Und mein Name ist nicht Kaz Brekker." Jetzt schmunzelte er doch. Jesper erkannte es sofort an dem kleinen Grübchen, dass sich in Kaz' Wange bildete. "Hey, sieh an, da kann jemand lächeln." "Soll tatsächlich vorkommen." "Ich schätze, ich musss mit Wylan reden." seufzte Jesper und kratzte sich im Nacken. "Denk erstmal eine Weile darüber nach, werde dir selber klar, dass du ihn liebst und lass es dir nicht nur von mir sagen."

Jesper nickte wieder. "Zuerst muss ich eh mit dir reden." Kaz ging im Kopf alles durch, was er in den letzten Stunden getan hatte und wofür Jesper ihm eine reinhauen wollen würde. "Was habe ich gemacht?" fragt er schließlich. "Die Dusche im Eistribunal." begann Jesper. 

"Das Paraffin hat doch funktioniert. Was soll ich gemacht haben?" "Nein, du hast nichts gemacht. Es geht mir um dich." Kaz zog eine Augenbraue nach oben. "Du bist voller Narben." Kaz nickte: "Ich bin im Barrel groß geworden, da ist es eher seltsam, wenn du keine Narben hast." "Ich weiß. Aber es geht mir um zwei bestimmte Narben. Die anderen haben sie sicher nicht bemerkt. Sie hatten andere Probleme und zumindest Wylan ist wahrscheinlich ein bisschen erfroren." "Jesper, wovon redest du?" 

Kaz' Schmunzeln war schon längst wieder von seinen Lippen gewichen und er spannte den Kiefer wieder an.

"Kaz, bist du trans?" Kaz verschluckte sich an nichts und begann zu husten. Jeder Muskel in ihm spannte sich an und er schlug mit der Faust gegen seine Brust, wobei er mal wieder das Gefühl hatte, dass seine Brust nicht annähernd flach genug war. "Was zur Hölle?! Jesper spinnst du? Warum- Ich- Was bringt dich auf diese hirnrissige Idee?" 

"Der Fakt, dass du Narben unter deiner Brust hast, gerade an absolut nichts erstickst und dich verteidigst, als hätte ich dir einen Mord vorgeworfen." "Du hast mehr als zehn Mal zugesehen, wie ich jemanden umgebracht habe. Also mir einen Mord vorzuwerfen, wäre mir ziemlich egal." Jesper zog eine Augenbraue nach oben: "Du weißt, dass du gerade gegen dich selbst argumentierst?" 

"Jesper, ich bin nicht trans! Du spinnst!" "Kaz! Hör auf dich zu verteidigen, entspann dich! Es ist okay, ich will es doch nur wissen. Du bist mein bester Freund! Ich will dich kennen, okay? Also: Bist du transsexuell?" Kaz schwieg. Er starrte auf das Wasser und kurz darauf schnippste Jesper wieder gegen seinen Kiefer, damit Kaz locker ließ, aber er tat es nicht. 

"Jes, wenn das jemals rauskommt..." murmelte er nach einer Weile. "War das ein Ja?" "Ja... Jes, wenn das jemals irgendwer erfährt, bringe ich mich um. Das darf niemals rauskommen. Niemals." "Kaz, ich werde es niemals irgendwem sagen. Warum sollte ich? Das ist deine Sache. Und jetzt: Wer zum Teufel sucht sich Kaz Brekker als Namen aus?" "M-Magst du ihn nicht?" fragte Kaz unsicher.

"Doch. Ich mag deinen Namen sehr gerne. Aber wie kommt man darauf?" "Brekker ist eine Hafenmaschine und Kaz habe ich gewürfelt." Jesper begann zu lachen: "Du hast deinen Namen gewürfelt?" 

"30-seitiger Würfel und Nummer 27, 28, 29 und 30 habe ich gestrichen. Der Rest war je ein Buchstabe des Alphabets." "Und dann kam Kaz raus?" "Nein, dann habe ich einfach so lange Buchstaben gewürfelt, bis ich irgendwo in der Reihe einen vernünftigen Namen gefunden habe - Kaz. Ich mochte ihn also habe ich ihn zu meinem Namen gemacht." "Nur jemand wie Kaz Brekker würde seinen Namen würfeln." lachte Jesper und legte seinen Kopf auf Kaz' Schulter.

"Ich liebe dich, Kaz Brekker." murmelte er. "Oh Gott, ist das eine Strafe?" "Nein, Familie, du Arsch!" 

Familie...

Jesper war Kaz' Familie. Und er war es geblieben, nachdem er erfahren hatte, dass Kaz' trans war. 

"Ich liebe dich auch, Jes." sagte er dann und lehnte für einen Moment den Kopf gegen Jespers. "Okay, und wie hast du diese Stimme hinbekommen? Du wurdest wohl kaum mit ihr geboren." lachte Jesper und Kaz grinste. "Das bleibt mein Geheimnis. Du hast heute schon ein Ich liebe dich bekommen, treib es nicht zu weit." Jesper lachte: "Okay, das war mir das Liebesgeständnis wert." 

Eine Weile standen sie einfach schweigend nebeneinander. 

"Scheiße, ich habe mich in Wylan verliebt." Kaz begann zu lachen. Jesper hatte ihn noch nie lachen hören, aber sie alle hatten in der letzten Zeit so viel durchgemacht, dass sogar Kaz mit sich selber so fertig war, dass er mal lachte. Jesper sah ihn an: "Ach, jetzt nur lachen sondern auch noch ein schönes dazu? Jetzt wird es aber unfair." "Klappe." schmunzelte Kaz und raffte sich wieder ein bisschen zusammen. 

"Was wirst du jetzt machen?" fragt er schließlich. "Ich schätze, sobald du ihn aus deiner Unter-Deck-Haft freilässt, sollte ich mit ihm reden." Kaz zögerte. Er blickte über seine Schulter zu Wylan, der als Kuwei auf einem Fass am Bug des Schiffes saß. Jesper wusste es nicht. Er dachte Wylan war unter Deck bei Nina.

Kaz fuhr sich mit der Hand durch die Haare und seufzte. Er durfte Jesper jetzt nicht mehr belügen, er hatte ihn vollkommen akzeptiert, es war unfair, wenn er ihn weiter belügen würde. Vor allem, da es um Wylan ging. Er liebte Wylan schließlich.

Jesper hätte die Mission ruinieren können, aber Kaz hatte den Plan B auch so gehabt und nur weil er ihn tatsächlich nutzen musste, machte das Jesper nicht zu einem schlechten Menschen. "Du bist schuld, dass die Gangs im Hafen waren, als wir abreisen wollten." "Was?" "Du hast verraten, dass du die Stadt verlassen wirst." knurrte Kaz. "Verdammt..." murmelte Jesper, "Es tut mir so leid." 

"Das sollte es. Und jetzt hör mir zu: Wenn du nochmal mein Vertrauen missbrauchst, dann bringe ich dich mit bloßen Händen um, ist das klar?" Jesper nickte und Kaz konnte den Kloß in seinem Hals förmlich sehen. 

"Siehst du Kuwei da vorne?" "Ja, er steht ständig gruselig neben mir und sagt kein Wort." Jesper kratzte sich im Nacken. "Das ist Wylan. Den Plan erkläre ich dir später. Alles, was du jetzt wissen musst, ist, dass er Wylan ist und dass ich ihn in dem Körper brauche. Und, dass es vielleicht nicht mehr weggeht..." Jesper schwieg einen Moment. 

"Das ist mir egal. Ich habe mich in ihn verliebt. Und obwohl das da ein echter Glowdown ist, ist er immer noch Wylan." "Erzähl nicht mir das, erzähl es ihm." Kaz gab Jesper einen Stoß und schubste ihn Richtung Wylan.

Jesper ging unruhig zu ihm, trommelte mit den Fingern gegen seine Revolver. Er war doch sonst immer so gut im Flirten, was stimmte jetzt nicht? Er war doch auch nur ein Junge! Gut, dass er aussah wie Kuwei, war irritierend, aber ansonsten konnte er das. 

"Hey, Wylan." sagte er und setzte sich neben ihn. Wylan sah überrascht an und blickte hilfesuchend Richtung Kaz. Dann erwiderte er, immer noch mit der süßen Stimme von Wylan: 

"Hey."

Six of Crows OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt