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Wörter: 1138

Wylan saß an einem Tisch und zeichnete, während Kaz gegen Jesper Karten spielte und gleichzeitig einen Einbruch plante. Sie saßen in Poppys Drag Bar, die über den Tag geschlossen war. Kaz hatte im Krähen Club Kopfschmerzen bekommen und da er nebenbei trotzdem weitergetrunken hatte, wurde es auch nicht besser.

Schließlich hatte er sich aber entschlossen, dass er mehr Ruhe brauchte und war in Poppys Drag Bar gegangen. Inej hatte sich für einen Ausflug über die Dächer von Ketterdam verabschiedet. Jesper wollte lieber bei Kaz bleiben und Wylan freute sich einfach über einen ruhigen Platz beim Zeichnen. Poppy lief im Laden umher, testete das Licht, polierte Gläser und überlegte sich fünfhundertmal neu, welches Outfit er tragen würde. 

Wylan hatte angeboten, zu helfen, aber Kaz hatte nur gemeint, dass es Poppy nur noch mehr stressen würde und er einfach zeichnen solle. "K-Kann ich auf Toilette gehen?" fragte Wylan. Kaz legte eine Karte und zog eine Augenbraue nach oben: "Natürlich kannst du auf Toilette gehen. Du musst mich nicht fragen. Ich meinte nur, dass Poppy eh schon durchdreht und er sich zwar über Hilfe freut, das ihn aber nur mehr stresst. Das war nichts gegen dich." Wylan stand auf und ging zum Badezimmer der Bar. 

Als er sich im Spiegel sah, seufzte er. Die anderen sagten es zwar, aber er kam sich nicht so vor, als würde er als Junge durchgehen. Sein Gesicht war zu weiblich, man konnte seine Brüste sehen, seine Stimme war nicht tief genug, dass er keinen Adamsapfel hatte, fiel auf.

Wylan setzte sich auf den Boden und zog die Knie an die Brust. Er legte den Kopf darauf und begann leise zu weinen. Die anderen sagten nur, was er hören wollte, er ging nicht als Mann durch. Niemals. Er war zu klein, zu weiblich. Einfach zu sehr ein Mädchen. 

Warum war er nur ins Bad gegangen? Er hatte sich gut gefühlt, wie ein Junge, wie Jespers fester Freund, sein Sonnenschein. Und jetzt hatte er sich im Spiegel gesehen. Sofort fühlte er sich unwohl und es wurde immer und immer schlimmer. 

Er drückte sich in die Ecke des Raums, spürte die kalten Fliesen an seiner Haut. Poppys Bad war sauber und es roch angenehm, was in Ketterdam nicht normal war. Immerhin sorgte es ein wenig dafür, dass Wylan sich gut fühlte. Aber vor allem saß er da und weinte, drückte die Beine enger an die Brust und kauerte sich noch kleiner zusammen. Er wollte einfach die Augen schließen und als Junge wieder aufschlagen. Als richtiger Junge. Als ein Junge in einem Jungskörper. 

Plötzlich öffnete sich die Tür. Wylan hörte es nur, hatte den Kopf noch immer auf den Knien. Sofort versuchte er sich noch kleiner zu machen, würde am liebsten einfach verschwinden. Aber so einfach war es nicht. Und vor allem war es schon zu spät. Poppy hatte ihn gesehen. 

Sofort kniete er sich vor Wylan und legte sanft eine Hand auf seinen Arm, der um seine Beine geschlungen war. "Hey." sagte er vorsichtig. Wylan rührte sich nicht und spannte sich nur vollkommen an. "Was machst du denn hier auf dem Boden?" fragte er sanft. "Ein Mädchen sein..." nuschelte Wylan. "Du bist Drag Queen?" "Nein, ein Mädchen." nuschelte Wylan. 

"Also bist du nicht trans?" "Doch..." "Aber dann bist du ja kein Mädchen." Poppy setzte sich neben ihn und versuchte Wylan dazu zu bringen, ihn anzusehen. Wylan tat es zwar, schämte sich aber für die verheulten Augen. "Okay, was ist los, Wylan?" fragte er. "Ich bin kein bisschen überzeugend... Ich gehe nicht als Junge durch. Nie. Sie lügen doch alle nur."

"Okay, hör mir zu." sagte Poppy und setzte sich nun vor Wylan, damit dieser ihn bequemer ansehen konnte, "Ich hab das auch durchgemacht. Ich bin genderfluid. Ich fühle mich mal wie ein Mann, mal wie eine Frau, mal wie nichts von beidem. Und manchmal ist es furchtbar. Ich kann perfekt als Mann durchgehen, aber wenn ich mich am nächsten Tag fühle wie eine Frau, dann werde ich dysphorisch. Meine Kleider und Make-Up-Künste machen es einfacher, aber wenn ich in den Spiegel sehe, habe ich keinen Busen, zu männliche Hände, eine zu tiefe Stimme... Einfach alles. Und glaub mir, ich fühle mich absolut nicht wohl. Aber ich habe angefangen, mich auf Kaz zu konzentrieren, was er mir sagt. Und es ist unglaublich. Er lässt mich so gut fühlen und ich fühle mich bei ihm, wie die Person, die ich an diesem Tag bin."

Wylan hörte ihm aufmerksam zu. Er dachte immer, dass Poppy sich so unglaublich perfekt und immer richtig in seiner Haut fühlte. Aber so war es scheinbar nicht. Auch Poppy schien an sich zu zweifeln und sich unwohl zu fühlen. "Fühlst du dich richtig?" "Jetzt?" fragte Poppy, "Ja. Heute bin ich einfach Kaz' Partner. Du glaubst nicht, wie gut es sich anfühlt, wenn man morgens den Satz hört 'Freund, Freundin oder Partner?'. Für mich ist Kaz diese eine perfekte Person. Und glaub mir, für dich kann es Jes sein." 

"Aber was, wenn ich es nicht für ihn sein kann?" "Wylan! Jesper hat sich Hals über Kopf in dich verliebt. Er liebt dich von ganzem Herzen." "Was, wenn er nur meinen Körper liebt?" fragte Wylan ängstlich. "Nur deinen Körper? Wylan, das ist Blödsinn! Ich habe die ersten Momente mitbekommen, in denen er realisiert hat, dass er dich liebt. Du hättest hören sollen, wie er über dich gesprochen hat. Du weißt nicht, wie er dich ansieht, wenn du auf seinem Schoß einschläfst oder wenn du in deine Zeichnungen vertieft bist. Aber er nennt dich immer 'seinen Kleinen' oder 'seinen Sonnenschein'. Er gibt mit seinem perfekten Freund an. Er liebt dich so sehr. Dich, seinen kleinen Sonnenschein."

Wylan lächelte leicht und wischte sich über die Wangen. "Weißt du, Wy, es war schwer für mich, dass ich nicht immer perfekt als Frau durchging, wenn ich mich so fühlte. Eine lange Zeit. Aber weißt du was dein Freund, dein Jesper, damals zu mir gesagt hat? 'Es ist egal, wie andere dich sehen und ob andere es verstehen oder akzeptieren. Du hast uns. Und wir  verstehen es. Wir sind für dich da. Du bist eine wunderschöne Frau, ein wirklich gutaussehender Mann und eine wunderhübsche Person. Und wir lieben dich genau so. Vor allem Kaz liebt dich genau so. Ist das nicht das Wichtigste? Ist es nicht egal, was andere dann denken?' Naja so oder so ähnlich. Hör auf ihn. Er ist ganz schön clever." Poppy wuschelte durch Wylans Haare. 

Dieser lächelte und war schon um einiges glücklicher. "Ich schicke ihn zu dir." sagte Poppy und stand wieder vom Boden auf. Er ging aus dem Raum und kurz darauf kam Jesper zu ihm. Sofort stand auch Wylan auf und rannte die wenigen Schritte zu ihm. Sofort hob Jesper ihn hoch und umarmte ihn: "Hey, Sonnenschein, alles klar?" "Solange du da bist, ja." Jesper lächelte und gab seinem Liebsten einen Kuss auf die Schläfe.

Six of Crows OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt