It's about trust

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Wörter: 1420

Kaz war erschöpft. Sein Tag war lang gewesen und er hatte schon lange nicht mehr geschlafen. Außerdem brauchte er dringend eine Rasur. Jesper sagte es ihm schon seit Tagen. Kaz hasste, wie er mit Bart aussah, weswegen er eigentlich immer auf eine gründliche Rasur achtete, aber in letzter Zeit hatte er zu viel um die Ohren gehabt. Er war froh, dass er Zeit gefunden hatte, sich zu waschen.

Als er den Verhau betrat, erblickte er Jesper, der mit Wylan knutschend an einem Tisch saß. Wobei knutschend übertrieben war; es schien als erzählte Wylan gerade etwas und es interessierte Jesper nicht wirklich also unterbrach er ihn immer wieder, indem er ihn küsste und mit den Zähnen nach seiner Unterlippe schnappte, was aber im Endeffekt auch immer in einem Kuss endete. 

Kaz kratzte sich am Bart - er hasste es, wenn er das tun musste - und beobachtete die beiden noch einen Moment. Dann ging er in Richtung Treppe. Er stützte sich stärker als sonst auf seinen Stock, sein Bein schmerzte so sehr, wie nach dem Sturz.

"Hey, Kaz!" rief Wylan. Kaz drehte sich wieder um. Alle im Verhau starrten Wylan an. Wenn Kaz schlechte Laune hatte - und die hatte er oft - konnte man das spüren und dann traute sich niemand, ihn anzusprechen. Und Kaz hatte schlechte Laune. Gut, eigentlich war er nur müde und genervt von der puren Existenz von so ziemlich jedem. 

Alle warteten unruhig auf eine Reaktion von Kaz. Würde er sich einfach umdrehen und gehen? Würde er den Jungen in seine Schranken weisen? Würde er Gewalt anwenden? Würde er überhaupt etwas sagen oder würde er dem Jungen nur die Seele aus dem Leib starren, bis dieser sich mehr als klar war, dass er gerade einen großen Fehler begangen hatte?

Aber Kaz tat nichts dergleichen. Er zog den Hut und wenn man ihn kannte, gut kannte, dann konnte man das schwache Lächeln auf seinen Lippen sehen: "Hallo, Wylan." Wylan strahlte. Er wusste, dass er bei Kaz weitergehen durfte, als fast jeder andere, aber er war sich nie sicher, ob das immer galt und wie weit er eigentlich gehen durfte. Er begrüßte ihn oft, aber wenn Kaz nicht ganz auf der Höhe war, war es unberechenbar, wie es endete.

"Ich brauche eine Rasur." kommentierte er dann, drehte sich um und ging nach oben. Jesper bewegte sich nicht. Er blieb einfach sitzen und sah Kaz beim Verschwinden zu. Dann wendete er sich wieder zu Wylan. "Na geh schon." lachte er, "Ich weiß, das ist euer Ding." Jesper lächelte und gab Wylan noch einen Kuss: "Danke." 

Dann wartete er, bis wieder das vollständige Leben in den Verhau zurückgekehrt war. Als wieder alle tranken, sich unterhielten oder weiter in irgendwelchen Ecken - Kaz hasste das, er hatte nicht umsonst für Feldbetten und Zimmer gesorgt - ihren Rausch ausschliefen, stand er auf und folgte Kaz nach oben.

Kurz klopfte er an Kaz' Zimmertür, wartete aber nicht und kam einfach rein. Kaz saß auf seinem Bett, massierte sein Bein und folgte mit den blauen Augen Jesper. Dieser lächelte ihm kurz zu und begann dann alles fertig zu machen, um Kaz zu rasieren. "Wo ist das Handtuch?" fragte Jesper verwirrt und durchsuchte die Schubladen von Kaz' Kommode. "Hab es benutzt um Blut abzuwaschen..." murmelte Kaz müde. Jesper sah ihn stumm an. 

"Hast du ein anderes?" fragte er schließlich. "Wird gerade gewaschen..." Jesper seufzte: "Ich werde eins von unten holen. Kannst du solange warten oder wirst du einschlafen?" "Weck mich, wenn du wieder kommst." sagte Kaz und ließ sich nach hinten fallen. Beinah sofort schlief er ein. Jesper grinste nur und verließ das Zimmer, um ein Handtuch von sich zu holen. 

Als er wiederkam, nahm er einen Revolver aus seinem Gürtel, hockte sich in den Schutz von Kaz' Kommode, öffnete das Magazin, drehte es und klappte es wieder ein. Dieses Geräusch reichte, um Kaz mehr als nur wach zu bekommen. "Ich bin's nur!" sagte Jesper, da er hörte, wie Kaz eine Waffe entsicherte. "Kannst du mich nicht wecken, wie ein normaler Mensch?" knurrte Kaz, als Jesper aus seinem Versteck kam. "Das letzte Mal, als ich zu dir gekommen bin, um dich zu wecken, hast du mich fast abgestochen, also nein." 

Kaz musste zugeben, dass das ein guter Punkt war. Jesper kam auf ihn zu und hob ihn vom Bett. Kaz schubste ihn weg: "Ich kann allein gehen." Ergeben hob Jesper die Hände und ließ Kaz an sich vorbei gehen. Er setzte sich auf den Stuhl, den Jesper bereitgestellt hatte. Jesper kam zu ihm und legte ihm das Handtuch um, stellte die Wasserschüssel auf Kaz' Schoß, so wie er es immer tat. 

Als sie sich damals kennengelernt hatten, hatte Kaz' Bartwuchs gerade erst eingesetzt. Er hatte keinen großen Bruder oder Vater mehr, der ihm das rasieren beibringen konnte, also hatte er sich einfach mit dem Flaum abgefunden. 

Dann hatte er Jesper kennengelernt und der so ziemlich zweite Satz, den er von ihm gehört hatte, war "Du weißt aber schon, dass das, was du wahrscheinlich 'Bart' nennst, scheiße aussieht, oder?" Kaz hatte sich einfach nur am Kinn gekratzt und gemeint, dass er es mochte, auch wenn das eiskalt gelogen war. 

Es hatte nicht lange gedauert, bis Jesper herausgefunden hatte, dass Kaz nicht wusste, wie man sich rasierte und hatte ihm angeboten, es zu tun. Kaz war einverstanden gewesen. Jesper war nicht so dumm, es zu verraten und damit sein Leben zu riskieren. 

Mittlerweile war das fünf Jahre her und natürlich wusste Kaz, wie man sich rasierte und er tat es auch hin und wieder selbst, aber meist ließ er es Jesper tun. Beide wussten, wie viel Vertrauen es kostete, jemanden mit einem Messer an seine Kehle zu lassen. Kaz ließ nur Jesper so nah an sich heran. Dieser hatte sich das Vertrauen hart erarbeitet und mittlerweile auch wirklich verdient. Er hatte Kaz in fünf Jahren erst einmal geschnitten und Kaz musste zugeben, dass das seine eigene Schuld war. Jesper trug sogar Handschuhe, damit es für Kaz leichter war, ihn so nah an sich heran zu lassen. 

Kaz sah noch zu, wie Jesper den Rasierschaum auftrug, dann schloss er einfach die Augen und ließ ihn machen. Er schlief nicht ein, aber es entspannte seine Augen. Jesper drehte seinen Kopf immer sanft in die richtige Richtung, sodass er gut sah, wo er rasierte. Vorsicht zog er die Haut glatt, um auch über der Oberlippe gut rasieren zu können. "Alles okay?" fragte er als er spürte wie Kaz sich anspannte. Dieser gab ein zustimmendes Brummen von sich, aber das reichte Jesper nicht. Also beugte er sich zurück: "Kaz, bist du in Ordnung?" "Ja, mein Bein tut nur wirklich weh und ich bin müde." 

"Ich beeile mich." versicherte Jesper ihm und rasierte ihn vorsichtig zu Ende. Dann wusch er Kaz' Gesicht und überprüfte das Endergebnis. "Perfekt." stellte er zufrieden fest. Auf Kaz' Lippen tauchte wieder das unauffällige Lächeln auf.

Er stand auf und ließ sich nun doch von Jesper zum Bett helfen. Während Jesper aufräumte, zog Kaz sich um und legte sich hin. Jesper würde dann schon gehen, er musste ihm nicht zeigen, wo die Tür lag, also beschloss er einfach zu schlafen. 

Dennoch schlief er nicht sofort ein. Alles in ihm schrie danach, Jespers Bewegungen zu analysieren. Er hörte seinen Schritten und dem Klappern der Dinge in seinen Händen zu. Dann wurde es für einen Moment still. Kurz darauf wieder Schritte, die sich in Kaz' Richtung bewegten. Kaz spannte sich sofort an, obwohl er wusste, dass es nur Jesper war. 

Dann spürte er, wie er sich auf das Bett setzte und dann seine Hände an seinem Bein. "Jes..." murmelte er müde. "Ist okay, entspann dich." sagte Jesper leise und begann vorsichtig Kaz' Bein zu massieren. Es tat gut, das musste er zugeben, und tatsächlich entspannte Kaz sich bald und schlief ein. Jesper blieb noch eine Weile bei ihm, massierte das kaputte Bein und beobachtet Kaz beim Schlafen. 

Kaz würde das normalerweise störend finden - das würde vermutlich jeder Mensch - und Jesper würde sich normalerweise schnell langweilen, aber in dieser Situation störte es sie beide nicht, so wie es war. Kaz fühlte sich wohl, schlief ruhig und konnte tatsächlich vollkommen entspannen, was bei ihm selten der Fall war - sogar, wenn er schlief. Jesper hatte nicht nichts zu tun und er wusste es zu schätzen, wie nah Kaz ihn an ihn heranließ, sogar wenn es ihm nicht gut ging.

Es waren die Momente, die ihnen beiden bewiesen, wie sehr sie sich liebten und dass es keine bessere Freundschaft gab, als ihre. Es waren die Momente, von denen keiner wusste. Es waren die Momente, die nur ihnen gehörten. 

Six of Crows OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt