Liebstes Tagebuch, die Wochen vergehen in letzter Zeit wie im Fluge. Ich habe das Gefühl, mehr zu büffeln als in den ganzen letzten elf Jahren. Die Prüfungen rücken mit jeder Woche näher auf uns zu und würden mir sicherlich Albträume bescheren, wenn ich mich nicht zur Ablenkung mit Fynn in unserem kleinen Paradies treffen könnte.
Mittlerweile musste ich mir eine dritte Mappe kaufen, um die gemalten Bilder unserer Nächte aufzubewahren. Mit jedem Mal kommen neue hinzu, sodass man beinahe schon den Überblick verlieren könnte, was wir bisher alles gemeinsam erlebt haben.
Erst neulich hatte Fynn die grandiose Idee, auf einer großen Schaukel über einem Felsvorsprung zu schaukeln. Er hatte gesagt, das wäre lustig. Es würde Spaß machen. Man könnte die Aussicht auf die schöne Landschaft dabei genießen. Aber Pustekuchen. Ich bin beinahe vor Angst gestorben. Die Tiefe unter sich zu wissen, hat es mir nicht gerade leicht gemacht, die Schaukel mit Freude zu nutzen.
Auch wenn mir unterbewusst klar war, dass dies alles nicht in der realen Welt geschieht und ich mich keinesfalls im Traum verletzen könnte, schaffte ich es nicht, die Panik vor der Höhe und dem Fall zu verdrängen. Eine ganze halbe Stunde hat es gedauert, bis Fynn mich mit seinen lieben Worten und festen Umarmungen beruhigen hatte können und ich nicht mehr wie Espenlaub gezittert habe. Danach hat er mir geschworen, meine Höhenangst ernst zu nehmen und nie wieder Unternehmungen vorzuschlagen, bei welchen man keinen festen Untergrund unter den Füßen hat.
In den folgenden Nächten durfte also ich allein entscheiden, was ich gern tun würde, damit Fynns schlechtes Gewissen nach und nach wieder schrumpfen konnte. Somit wurden unsere Treffen weniger actionreich, was mir allerdings ganz lieb war.
Und wie ich herausfinden konnte, hat Fynn Angst vor Tieren, welche größer als ein Hund sind. Er traute sich keinen Meter an die Alpakas und Lamas heran, welche wir erst letzte Woche im Traum auf der großen Wiese beobachtet haben. Als ich mich etwas näher an die flauschigen Tiere gewagt hatte, um sie ein wenig zu füttern, hatte Fynn ununterbrochen Angst um mich gehabt. Er hatte doch tatsächlich gedacht, dass diese überaus gefährlichen Geschöpfe mir ins Gesicht beißen oder mich gar treten könnten.
Ich konnte ihn kein bisschen davon überzeugen, dass uns die Tiere hier in dieser Welt sicher niemals etwas antun würden. Schließlich entsprangen sie noch immer unserer Fantasie und Vorstellungskraft. Fynn war jedoch felsenfest davon überzeugt, dass eines der Alpakas, welches ein rötlich-braunes Fell und überaus tolle Locken auf dem Kopf besaß, bei welchen sicher viele Menschen grün vor Neid geworden wären, ihn stets mit einem warnenden und bösen Blick bedachte. Doch selbst als sich alle Tiere dankend und freudig von mir streicheln ließen, traute sich mein Angsthase nicht zu uns.
Nach diesem Traum musste ich ihm also versprechen, mir in nächster Zeit keine großen Tiere mehr vorzustellen. Statt Unternehmungen mit Vierbeinern oder in der Höhe mussten wir uns also andere Dinge ausdenken.
Da sich der Winter momentan bereits dem Ende neigt und die Temperaturen mit jedem Tag wärmer und frühlingshafter werden, haben wir unsere Traumwelt genutzt, um noch einmal im Schnee zu toben und schlittenzufahren. Der strahlend weiße Schnee hatte die perfekte Konsistenz zum Schneemannbauen. Doch konnten wir uns nicht mit einem zufrieden geben, sondern bauten gleich eine ganze Schneemann-Familie samt Haustieren.
Fynn war besonders stolz auf seine aus Schnee gebaute Schildkröte, welche allerdings eher aussah wie eine Mischung aus Dackel und Blobfisch. Doch meine Meinung sprach ich ihm gegenüber natürlich nicht aus, da er sich viel zu sehr über seine Arbeit gefreut hatte und ich ihn keineswegs kränken wollte.
Neben Schneeballschlachten, Wanderungen und anderen Aktivitäten verbringen wir zudem viel Zeit damit, die Landschaft und natürlich unsere Nähe zu genießen. Wir reden über Gott und die Welt, über meine Prüfungsängste und Pläne für die Zukunft.
Doch das Thema, welches mich brennend interessiert, umgehen wir jedes Mal.
Fynn, sein Leben, der Grund seiner Verschwiegenheit.
Mein Kopf malt sich alles so einfach und ohne Schwierigkeiten aus. Wenn es nach mir ginge, könnte ich ihn im Sommer in Kanada besuchen. Ich wäre dann volljährig, hätte die Schule geschafft und müsste nur noch darauf warten, dass das Studium beginnen würde. Diese Zwischenzeit würde ich mit niemandem lieber verbringen als mit ihm.
Doch Fynn scheint anderer Meinung zu sein. Sobald ich eine Andeutung mache, ihn besuchen zu können, blockt er ab und lenkt unsere Gespräche blitzschnell in eine völlig andere Richtung. Ich bin mir sicher, dass er mich genauso liebt wie ich ihn. Doch trotzdem ist es ihm lieber, mich hier in Großbritannien zu wissen und somit in weiter Entfernung von sich.
Jedes Mal versuche ich diese Tatsache aufs Neue zu akzeptieren, doch kehrt der Gedanke immer wieder wie ein Bumerang zu mir zurück. Na ja, ich sollte einfach nicht mehr darüber nachdenken.
Also: Themenwechsel.
Die letzten Wochen hatte ich ganz vergessen, aufzuschreiben, dass wir herausgefunden haben, welcher Vogel Fynns Kopf als Abfallentladungsstelle angesehen hatte. Scheinbar handelte es sich bei ihm um eine Eilseeschwalbe. Meine Zeichnung von ihr ist außerdem besonders gut gelungen. Würde ich Fynns Adresse besitzen, hätte ich es ihm als Geschenk geschickt, aber da kommt er zu seinem Glück gut drum herum.
Na gut, es ist leider schon recht spät. Und da wir morgen bereits eine Übungsklausur haben, werde ich nun wohl auch langsam im Bett verschwinden, sodass ich morgen fit und konzentriert sein kann. Und davor muss ich Fynn im Traum noch bei einem Seifenkistenrennen besiegen.
Also bis bald, deine zuversichtliche und fleißige Jill.
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In Gedanken bei dir
RomanceJill Campbell führt das normale Leben einer Sechzehnjährigen: Sie hat eine Familie, die sie liebt. Zwei beste Freundinnen, die für sie durchs Feuer gehen würden. Und zu dem noch den beliebtesten Jungen der Schule als Freund. Doch ihr Leben w...