63 | needed prove

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NAVEEN

Das ist eine schlechte Idee, geh nach Hause, riet mir eine leise Stimme in meinem Hinterkopf. Doch ich hörte nicht auf sie.

Ich betrat das Indora's Diner.

Jailhouse Rock von Elvis Presley schallte laut aus der Jukebox am anderen Ende des Raums. Die hellblauen Sitze der Nischen waren besetzt mit duzenden Stammkunden, die alle lächelnd ihre Augen auf eine Person gerichtet hatten:

Indora.

Sie schaute genauso aus, wie ich sie das letzte Mal in dieser hellblauen Uniform gesehen hatte. Das war ja auch erst ein paar Monate her. Ihre große Nase war spitz, ihre Haut blass und ihre roten Haare waren zu einem niedrigen Dutt gebunden. Ein paar Strähnen fielen raus, jedoch störte es sie nicht. Sie war viel mehr damit beschäftigt, zu dem Lied zu tanzen.

Ja, sie tanzte bekleidet in ihrer Kellner-Uniform durch das Diner. In der einen Hand eine Kaffeekanne und in der anderen eine sprühflasche. Über ihrer Schulter lag ein Putztuch.

Die Jahre holten sie kaum ein. Für eine achtunddreißigjährige sah sie wirklich jünger aus, als sie war. Das schmale, längliche Gesicht mit den freundlichen, tiefen Lachfalten erschien mir so bekannt und doch so fremd...

In großen Schritten stolzierte sie über die schwarz-weiß karierten Fliesen. Sie sang die enthusiastischen Wörter von Elvis mit enormer Energie.

Zwischen ihren Tanzschritten schüttete Indora ein paar Leuten Kaffee in ihre leeren Tassen oder sprühte etwas Reiniger auf Tischplatten, nur um die Flüssigkeit danach mit dem Putztuch abzuwischen.

So kannte ich sie. Energievoll, glücklich, sympathisch, frei.

Ein großer Mann am Tresen rief: »Du kannst es ja doch noch!«

»Du wirst mich noch um den Verstand bringen, John!« Sie lachte laut. »Weißt du noch damals, als wir zusammen zu dem Lied auf Lottys Hochzeit getanzt haben?«, fragte sie ihn. Die Art und Weise, wie sie redete, erinnerte mich daran, wie sehr sie den Staat Texas mochte und dazu den Dialekt. Sie hörte sich genauso wie eine Einheimische an. Früher besuchte sie ein Mal pro Jahr Freunde in Texas. Ich fragte mich, ob sie das immer noch tat.

»Na klaro!«, antwortete der genannte John.

Obwohl nur zwei Minuten vergangen waren, in denen ich bloß hypnotisiert an der Eingangstür stand und Indora beobachtet hatte, fühlte es sich wie eine kleine Ewigkeit an.

Erinnerungen durchströmten mich.

Das Lied war vorbei. Indora stand in der Mitte mit beiden Armen ausgestreckt. Strahlend erntete sie nun einen riesigen Applaus von allen Seiten. Ihr Atem ging so unregelmäßig, dass ich fast Angst um sie hatte.

»Du warst toll, Süße«, meinte der selbe Mann von eben in einer tiefen Tonlage.

Indora stellte sich hinter den Tresen vor ihn. »Hach John, du weißt echt, wie man ein junges Mädchen wie mich um den Finger wickeln kann.« Sie klimperte mit den Wimpern.

»Du wirst nie alt, oder?«

»Du meinst so wie du? Nein, bedaure.« Beide kicherten.

»Na gut, du hast mir bewiesen, dass du doch noch Motivation besitzt. Wer weiß, vielleicht kannst du mir davon ja irgendwann mal etwas abgeben.« Er entfernte seine Kappe von seinem Kopf, nur um sie verkehrt herum wieder aufzusetzen. »Wie dem auch sei, ich muss los. Mein Truck wartet ungerne auf mich.«

Während er aufstand und ihr zum Abschied winkte, rief sie freundlich: »Viel Spaß auf deiner Fahrt, John!«

Sie sah ihm so lange hinterher, bis er an mir vorbei zur Tür hinaus spazierte. Alles schien in Ordnung zu sein, denn sie drehte sich seitlich, lachte in sich hinein und hatte mich anscheinend nicht mal bemerkt.

Fears Between UsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt