15 | velvety voice

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JULIA

Immer noch mit den Gedanken woanders, spazierte ich, nachdem ich – wie so oft – sogar noch zwei Stunden länger in der Schule verweilte, um in der Bücherei zu lesen, meinen Schulweg entlang.

Jedes Mal, wenn ich diesen Weg entlang ging, nutzte ich die Möglichkeit um mit Kopfhörern Musik zuhören. Von Billy Joel bis James Bay, schnulzige Liebeslieder wickelten mich schon von klein auf um den Finger.

Schon klar. Da ich noch nie eine feste Beziehung oder der gleichen hatte, fiel es mir schwerer die Texte der Songs hundertprozentig in jeder Faser meines Körpers zu fühlen ... Trotzdem liebte ich nunmal den Klang in meinen Ohren.

Doch Musik alleine reichte nicht. In meinen Händen hielt ich meine alte Ausgabe von dem Roman Verstand und Gefühl. Dieses Meisterwerk von Jane Austen war der Roman, den ich zur Zeit las. Auch wenn ich ihn nun zum elften Mal las, freute ich mich dennoch immer wieder auf  die nächsten Seiten, obwohl ich die Handlung mittlerweile in und auswendig kannte.

Schon oft musste ich über die zwei Schwestern nachdenken, die die Hauptrollen vertraten. Nicht sicher, ob ich es mir vielleicht nur einbildete, fielen mir viele Gemeinsamkeiten zwischen den Dashwood-Schwestern und mir sowohl meiner eigenen Schwester auf.

Marianne, die impulsive, ehrliche, junge Frau, welche sich nie sträubte ihre Meinung ganz offen darzulegen, selbst wenn ihr Umfeld es als unpassend ansah. Vor allem war sie herzensgut und großmütig.

Dann wäre da noch ihre Schwester Elinor, welche sich mit dem offenen zugeben von Gefühlen schwer tat, intellektuell und höflich durchs Leben spazierte und oftmals ihre Schwester für alles beneidete ...

Nun ja, obwohl Grace immer ehrlich in den meisten Fällen war, war sie es in einer Sache nicht: Sie wollte nie zugeben, dass sie Probleme hatte. Und weinen tat sie erst recht nie.

Ich erinnerte mich zurück, als ich diese alte Ausgabe an meinem achten Geburtstag geschenkt bekommen hatte, nachdem ich ein Interview beim Fernsehen gesehen hatte, wo eine neu entdeckte Autorin über ihr Lieblingsbuch schwärmte.

Meine Mutter schimpfte mit meinem Vater, als er es mir überreichte, da sie es nicht in Ordnung fand, einem kleinen Mädchen einen solchen Roman zuschenken. Mein Dad konnte jedoch nicht anders, da ich ihn wochenlang anbettelte, er solle mir doch bitte dieses antike Buch besorgen.

Ich lächelte bei dieser kleinen und doch wertvollen Erinnerung, wie ich von diesem Tag an Jane Austen in mein Herz schließen konnte.

In Folge der geöffneten Haustür betrat ich die leere Lobby meines Wohnhauses, weiterhin mit dem Buch in meiner Hand. Da der Aufzug immer noch nicht repariert wurde, musste ich schließlich die Treppen nehmen. Was grundsätzlich kein Problem war, dennoch kam ich schon einige Mal ins Schwanken, als ich die Stufen hoch schlenderte, ohne den Blick von den gedruckten Seiten zu nehmen.

Endlich im vierten Stock angekommen hörte ich, wie laut eine Tür aufgerissen wurde. Ich klappte das Buch zu und war mit einem Mal ganz nervös. Meine Kabelkopfhörer trennte ich von meinem Handy und stopfte sie in meine Gesäßtasche.

»Du kannst mich mal! Lass mich in Ruhe und melde dich nie wieder bei mir!«, kreischte eine junge Frau.

Vorsichtig streckte ich meinen Kopf um die Ecke, um mir etwas Klarheit über die Situation zu verschaffen. Gerade folgte mein Nachbar der Frau in den Flur.

»Ach komm schon, Janice. Komm wieder rein und lass uns weiter machen. Ich hab's nicht so gemeint«, erwiderte er. Er trug nichts weiter als eine weite, dunkle Sporthose, dessen Saum ihm nur bis zu den Knien reichte. Ich hätte gelogen, wenn ich behauptet hätte, dass mein Mund bei dem Anblick seines nackten und voll tätowierten Oberkörpers nicht weit offen stand ... Er war schlank gebaut, doch die Umrisse seiner Muskulatur ließen mich staunen.

Fears Between UsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt