62 | far away

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JULIA

Grace: Ruf mich in 1h an.

Die SMS von Grace war nun etwas über eine Stunde alt.

Ein flaumiges Gefühl beschlich mich, vor allem, weil diese Nachricht so gar nicht nach meiner Schwester klang. Es fehlten Begrüßung sowohl Emojis, welche sie sonst nie ausließ. Mein Körper spürte auf Anhieb, dass etwas nicht in Ordnung sein musste.

Ich setzte mich auf mein Bett. Meinen Laptop klappte ich auf meinem Schoß auf und öffnete dort Skype. Nach dem vierten Klingeln wurde der Anruf bereits abgehoben. Der ganze Bildschirm wurde eingenommen von Grace, die auf einem Schreibtischstuhl saß und ihr bester Freund Tony, welcher hinter ihr stand und ihre Schultern umfasste. Sie waren bei Tony zu Hause.

Er beugte sich etwas runter und blickte über ihre Schulter zu mir. »Hiiii, Ana!«

Dank meiner Schwester, nannte er mich ebenfalls Ana, auch wenn Grace ihm jedes Mal einen bösen Blick zuwarf, weil sie es besonderer fand, wenn nur sie mich so nennen würde. Doch was erwartete sie, wenn er nie mit meinem richtigen Namen konfrontiert wurde?

»Hi, Tony. Wie läuft's bei dir?«, erkundigte ich mich lächelnd.

Seine blonden Locken reichten ihm bis zu seinen Augenbrauen, kräuselten sich in seinem Nacken und verdeckten seine Ohren. »Gut. Ich nerve Gracie, sie betitelt mich als fragiler Komiker, schmeißt getragene Socken nach mir und verflucht mich dann mit irgendeinem Hocos Pocos aus Harry Potter. Also alles beim alten.« Zwei riesige Grübchen erschienen neben seinen Mundwinkeln.

Grace legte eine Hand auf Tonys. »Yep«, stimmte sie ihm zu und presste ihre Lippen zu einer geraden Linie.

Ich lachte. »Und sonst? Was macht ihr gerade?«

»Ich habe Gracie bei einer ihrer letzten Hausarbeiten geholfen. Spoiler: Ich werde es nie wieder machen, weil sie ja doch keine Verbesserungsvorschläge von mir annimmt«, sagte Tony. Es erstaunte mich immer wieder aufs neue, wie sehr er dem Schauspieler Evan Peters ähnelte. Tony selbst leugnete es zwar, aber seine haselnussbraunen Augen und seine Golden Retriever Optik sagten etwas anderes.

Grace schnaubte. »Mir sollte man nie bei meinen explizierten Beispielen reinreden!«

Er schnappte sich ein Blatt Papier von dem Schreibtisch und las vor: »Die Beobachtung der Kontakte eines hypothetischen Einhorns, welches nach Folge eines Gruppenzwangs gezwungen wurde, einen Maikäfer–«

Ich stoppte ihn lächelnd. »Danke, den Rest kann ich mir selbst denken.«

Oh ja, typisch der Freigeist Grace.

Sie riss ihrem besten Freund das Blatt aus der Hand. »Okay, vielen Dank, Anthony.«

»Hey, warte mal, hatte Ana nicht ihr erstes Date?«, fragte er euphorisch und duckte sich wieder, sodass sein Kopf auf meinem Bildschirm erkennbar war.

Grace' Augen leuchteten. »Stimmt! Oh mein Gott, Ana, wie ist es gelaufen?«

Alles in mir verkrampfte sich. Es kitzelte mich in meinen Fingerspitzen, ihr zu erzählen, was mit Lee passiert war. Immerhin hatte ich ihr versprochen, mich nach dem Date zu melden und ihr alles zu berichten. Vor Scham traute ich mich nicht. Zudem hätte ich ihr am liebsten auch von Naveen erzählt, aber ... das erschien mir viel zu komplex.

»Es gab ... Schwierigkeiten. Sagen wir es einfach mal so ... ein zweites Date wird es nicht geben.«

Die Augen meiner Schwester wurden einfühlsam und ihre Schultern wurden schlapp. »Wieso? Was ist passiert?«

Fears Between UsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt