86 - Arete Villa, Schlafzimmer

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Nico schreckte aus dem Schlaf, wie ein Ertrinkender die Wasseroberfläche durchbricht. Sein Körper war voller Adrenalin. Für einen Moment dachte er, seine Atmung hätte ausgesetzt, aber das war es nicht. Jemand war im Raum. Nico richtete sich auf und hob die Hand, bereit einen Schlag abzufangen. Wie naiv von ihm, nicht mit einer Waffe unter dem Kopfkissen zu schlafen. Erst als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnten, sah er sie. Sie lehnte in der Tür und beobachtete ihn. Für einen Moment dachte er, es wäre René und etwas wie Freude stieg in ihm hoch. Sie war gekommen, um sich zu entschuldigen. Um zu versuchen, es wieder gut zu machen und sich den Ring vom Finger zu streifen, bevor sie ihn anfasste. Sie war zurück gekommen zu ihm. Doch dann sah er genauer hin und der Umriss passte nicht mehr ganz. Nico stöhnte genervt auf. Jetzt bereute er es, das Übernachtungsangebot angenommen zu haben, anstatt noch zurück in den Palast zu fliegen.

„Was?", fragte er, griff nach dem Wasserglas auf dem Beistelltisch und trank. Für die meisten Menschen wäre es wohl ein Schock gewesen, sie mitten in der Nacht im Zimmer stehen zu haben. Für die einen, weil sie die Geschichten um den Joker der Clubs gehört hatten, für die anderen, weil sie für tot gehalten wurde. Für den Rest, weil sie Blut an den Händen hatte, so oder so. Nico lehnte sich an das Kopfende des Betts und faltete die Hände im Schoß.

„Kann ich dir helfen?", fragte er. „Oder siehst du mir einfach nur gerne beim Schlafen zu?"

Cress kam in den Raum. Ihr Nachthemd war dunkelblau, die Farbe des Königshauses. Pure Ironie. Immerhin hatte sie inzwischen wieder Muskeln aufgebaut, war weniger drahtig als sie aus den Narben gekommen war. Nico hob den Blick von ihrem Oberschenkel zu ihren Augen.

„Du hast Liebeskummer", sagte sie und legte die Finger um eine der Eisenstreben des Betts, die sich zu seinen Füßen zu einem Muster rankten. „Du hast diesen Ausdruck in den Augen. Wie ein kleiner Junge."

Nico starrte sie an. Das Nachthemd, die Gestik, der Fakt, dass sie hier war ... Nico sah einige Momente auf die weichen Wellen in seiner Bettdecke hinab. Durch seinen Kopf zogen sämtliche Schimpfwörter, die er kannte und die Liste war lang. Er war zu müde hierfür und dummerweise hatte sie recht: er war auch zu sehr verletzt von dem Ehevertrag, den Julian und René so überstürzt unterschrieben hatten. Von der Heirat, die jetzt schon offiziell war und in der er nie ein echtes Mitspracherecht gehabt hatte. Der Schmerz, der seine Wut fütterte.

„Du bist verrückt", sagte Nico trotzdem. „Geh."

Cress bewegte sich nicht. Mondlicht spielte über ihre nackten Schultern.

„Er hat sie dir gestohlen", sagte sie und Nico kämpfte all seine Instinkte nieder. Nicht, weil er sie so dringend aufs Bett werfen wollte, sondern weil er große Lust hatte, sie durch den Raum zu werfen. Cress Cye brachte ihn in eine unangenehme Lage. Sie hatte zu viel beobachtet, zu viel von ihm aufgedeckt, das er nicht preisgeben wollte. Sie hatte den Stachel gefunden und bei den Sternen, sie trieb ihn tiefer.

„Du kannst dich rächen", sagte sie und zog ihre Finger das Eisen entlang. „Wenn du willst. Ich erlaube es dir."

Mit ausgebreiteten Armen stand sie vorgebeugt am Ende des Betts und beobachtete ihn im Halblicht. Er hatte das Licht nicht angemacht, fast als hoffe er, dass sich ihre Worte und ihre Anwesenheit nicht real wären, solange es dunkel blieb. Nur eine Laune der Nacht, ein Traum. Eine schöne Frau in der Dunkelheit, nichts weiter.

„Geh", knurrte Nico.

„Du hast mir gesagt, dass ich hier keine Befehle gebe", sagte Cress. „Aber du gibst mir auch keine Befehle mehr. Nicht, wenn unser Plan funktionieren soll."

Nico stand auf, schnell, bedrohlich, aber Cress bewegte sich nicht.

„Du hast Angst, dass du es tust", sagte sie, als er näher kam. Normalerweise wurden die Leute kleiner, wenn er auf sie zu kam, fielen in sich zusammen. Victoria nicht und Cress genauso wenig. Sie war nicht hier, weil sie ihn wollte, weil sie ihn begehrte. Es gab eine winzige Chance, dass sie einsam war, aber weitaus wahrscheinlicher war es, dass sie ihn manipulieren wollte. Vielleicht war es nur sein Ego, dass die erste Möglichkeit erfand.

„Nein, ganz sicher nicht."

„Du bist wütend", zischte sie, in einem Ton, bei dem von Romantik keine Rede sein konnte. „Du bist emotional. Nimm deine Rache und dann setz dich und arbeite mit ihm zusammen wie ein Erwachsener. Und mit ihr. Du störst alles."

Sie ließ das Bett los und nahm ihn am Kiefer. Er war so irritiert, dass er sie nicht sofort wegriss. Sie hatte schöne Augen, neutral betrachtet. Das Problem war nur: dahinter wohnten alle Teufel, die die Narben zu bieten hatten.

„Ist das ein ja?", fragte Cress in einer Stimmlage, die illegal sein sollte.

Er streckte eine Hand aus und hakte sie unter den Träger ihres Nachthemds. Nur, um ihr zu zeigen, welche Grenzen sie einriss. Dass er diese Spiele schon länger spielte als sie. Ihre Schulter war warm und nur für einen Sekundenbruchteil fragte er sich, was wäre, wenn. Dann zog er, bis sich der Stoff straffte und sah ihr in die Augen.

„Was hast du vor?", fragte er. „Was willst du von mir?"

Cress blinzelte ihn unschuldig an.

„Willst du mich umbringen?", fragte er. „Weil du es auf direktem Weg nicht geschafft hast?"

Cress antwortete nicht.

„Du denkst, ich bin zu emotional?", er verdrehte den Träger. „Ich liebe René, seit ich ein Kind war. Ich hatte Hoffnung, sie zu heiraten, als er abgehauen ist."

Seine Stimme war rau vom Schlaf.

„Dann kam er wieder, ohne Ankündigung und genauso wenig hat er es für nötig gehalten, mir zu sagen, dass sie heute die Verträge unterschreiben."

Er fragte sich, ob er den Stoff zerreißen sollte, schließlich hatte Julian dafür gezahlt. Er wollte es so sehr, nur für einen Moment des Triumphs.

„Ich wäre nach Katania geflogen, wenn er es nicht anders entschieden hätte", sagte Nico. „Weil ich der bessere Anführer war. Ich habe mein ganzes Leben Soldaten befehligt, Cress Cye. Aber es spielt keine Rolle, was ich kann. Du bist nicht der Mensch, der mich verurteilen darf für meine Reaktion. Du kennst mich nicht. Keinen von uns."

Er lehnte sich vor.

„Ich würde mich von dir bewusstlos reiten lassen, um meinen Cousin zu quälen", gurrte Nico und verließ die geschliffene Sprache der Adligen für ein paar Momente für das Soldatenjargon. „Wenn ich dich nicht so sehr verabscheuen würde."

Cress grinste ihn an und er lächelte zurück. Ein Zähneblecken mehr als etwas anderes. Er ließ den Träger schnalzen und drehte sich um, um zurück ins Bett zu gehen. Alleine. Er machte es sich bequem, schob sich zwei Kissen unter den Kopf und deutete dann mit einem Arm königlich in Richtung Tür. Sie sah ihn nicht an wie jemand, der abgewiesen worden war. Mehr wie eine Katze, die gerade noch verspielt gewesen war und jetzt kurz davor stand, dem nächsten, der sie anfasste, die Krallen über das Gesicht zu ziehen.

„Wir sprechen nie wieder darüber."

„Wirst du dich zusammenreißen?", fragte Cress.

„Ich bin die Selbstkontrolle in Person", sagte Nico. „Sonst wärst du schon lange nicht mehr in diesem Zimmer. Kann ich jetzt meinen Traum weiterführen, ohne dass du versuchst, mich zu verführen? Und auf äußerst plumpe Art, möchte ich sagen."

Sie lächelte nur, winkte ihm kurz und schloss endlich die Tür hinter sich. Nico atmete aus und ließ sich tief in die Kissen sinken. Die Frau war komplett bescheuert. Gut, dass er nicht vorhatte, das jemandem zu erzählen, denn es würde ihm niemand glauben. Er kaute auf seiner Lippe, bis sie blutete, dann warf er sich auf die Seite und versuchte zu schlafen. Es funktionierte nicht. Verflucht seist du, Cress Cye, dachte er.

Skythief - Gefallene Sterne [2024 Version]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt