Kapitel 9 - Kleine Heulsuse

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Mit zusammengepressten Lippen sehe ich auf den Staubsauger und den Putzeimer. Okay, ich habe entschieden, dass ich es besser finden würde, wenn Harry nicht da wäre. Ich hätte lieber eine freundliche Begrüßung geschätzt, als so pampige Worte von ihm, auch wenn ich weiß, dass das normal bei ihm ist. Wenigstens hier hätte er doch netter sein können. Ich kenne wirklich keinen einzigen Menschen, der je so barsch mit mir umgegangen ist.

Argwöhnisch nehme ich den Stiel des Staubsaugers in die Hand und suche das Kabel, um Strom darauf zu bekommen. Ich möchte sofort wieder nach Hause. Nicht, weil ich keine Lust habe zu arbeiten, sondern einfach, weil Harry mir so ein ungutes Gefühl vermittelt. Als ich nach fünf Minuten immer noch kein Kabel finden kann, bin ich dazu gezwungen, Harry zu rufen. Ich habe kurz überlegt Grandpa anzurufen und zu fragen, aber dann würde ich mir doof vorkommen.

Harry kommt mit schweren Schritten aus der Küche und ich höre ihn schon von weiten Fluchen.

„Ich finde das Stromkabel nicht", erkläre ich kleinlaut und zeige auf den Staubsauger.

Schweigend geht er darauf zu und drückt einen Knopf, worauf der Sauger anspringt.

O. Das hätte ich auch selbst finden können. Beschämt sehe ich von ihm weg und bin froh, jetzt nichts mehr sagen zu müssen, da der Staubsauger so laut ist.

Gereizt dreht er sich wieder um und will gerade weggehen, da geht der Staubsauger wieder aus. Er dreht sich wieder zu mir und scheint mir mit seinen Augen vorzuwerfen, dass ich ihn ausgemacht hätte.

„Ich war das nicht!", sage ich sofort. „Er ist einfach ausgegangen!" Ich knie mich nach unten und drücke den Knopf. Nichts passiert. Ich drücke ihn erneut, und wieder und wieder. Er geht einfach nicht mehr an.

„Klasse", knurrt Harry und atmet tief ein und aus.

Als wäre es meine Schuld, sehe ich ihn entschuldigend an, obwohl ich dafür genau so wenig kann, wie er. „Was soll ich jetzt tun?"

Kurz überlegt er, dann dreht er sich wieder weg und geht zur Küche: „Komm mit mir."

Ich lege den Staubsauger beiseite und folge ihm gehorsam. Ich frage mich, welchen Posten er wirklich hier im Hotel hat. Er sollte jetzt neunzehn Jahre alt sein, normalerweise ist man da doch noch kein Hausmeister. Zumindest nicht allein. Es muss noch einen älteren, erfahreneren Hausmeister hier geben. Vielleicht ist Harry auch nur Aushilfe. Schon wieder bilden sich zehntausend Fragen in meinem Kopf, wie zum Beispiel, welchen Schulabschluss er hat oder wie er zu diesem Job gekommen ist.

Wir kommen in die Küche und Harry drückt mir einen Putzlappen in die Hand, ohne mich auch nur anzusehen und setzt sich wieder an seinen alten Arbeitsplatz unter der Spüle. Er ist anscheinend kein Verfechter von vielen Worten.

„Soll ich etwas säubern?", frage ich, weil er mir keine Anweisung gegeben hat.

„Offensichtlich", ertönt seine dunkle Stimme abgedämpft.

Ich muss mir einen Seufzer unterdrücken. Ihm fehlt jegliches Benehmen. Anscheinend hat er mich noch immer nicht als Honor erkannt und theoretisch bin ich für ihn irgendein fremdes Mädchen, doch trotzdem ist er so ... so kalt. Wenn er Mädchen kennt, dann müssen sie ihn hassen. Hat er Freunde? Geht er vielleicht nur mit Mädchen so gemein um? Vielleicht hat er ja eine Freundin und will deshalb mit anderen Mädchen nichts zu tun haben, weil er nur sie liebt. Den Gedanken vergesse ich allerdings wieder schnell. Ich kann mir kaum vorstellen, dass ein Mädchen mit solch einem Charakter klarkommen würde, auch wenn er mehr als gut aussieht. Ich könnte das nicht.

Als ich gerade den Putzlappen auf einer Kochplatte ansetzen will, ertönt wieder Harrys Stimme. „Vielleicht solltest du den Lappen nass machen und Putzmittel benutzen, denkst du nicht?"

Remember His StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt