Kapitel 26 - Tausend beschissene Fragen

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Ich betrete den Personalraum, jedoch bleibt Harry draußen stehen, wie ich feststellen muss, als sich die Tür schließt. Doch das ist gut so. Drin lehne ich mich an die Wand und atme tief ein und aus. Jetzt werde ich Harry den ganzen Abend sehen, sogar in meiner Nähe haben, denn Megan war eigentlich meine Partnerin. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich das gut oder schlecht finden würde. Mein Herz macht Sprünge bei dem Gedanken, aber mein Kopf weigert sich noch immer dagegen, denn in diesem Aufzug, wie Harry sich hier präsentiert, wird mir zu warm. Viel zu warm.

„Oh mein Gott", quietscht eins der Kellnermädchen auf. „Habt ihr Harry gesehen? Er sieht noch besser aus, als sonst!"

„Ja!", quietscht jetzt eine andere und lehnt sich seufzend an die Wand. „Und wie einfach er sein Tablett hochgehalten hat ..."

„Und seine Haare", seufzt eine andere.

„Wer muss denn mit ihm zusammen arbeiten?"

„Honor."

Alle sehen zu mir. Ich blinzle.

„Du bist echt zu beneiden", sagt eines der Mädchen. „Ich würde gerne deinen Platz neben Harry einnehmen."

„Und ich erst!", wirft eine andere ein. „Ich würde ihn mit nach Hause nehmen."

Beinahe verwirrt über ihre Schwärmerei starre ich sie sprachlos an. Keine von ihnen scheint Harry so zu kennen, wie ich. Sie denken wirklich, er wäre so, wie er sich heute Abend gibt. Wenn sie ihn außerhalb seines weißen Hemdes erleben würden, bin ich mir sicher, dass sie ihn nicht mehr mit nach Hause nehmen wollen.

Noch bevor ich etwas sagen kann, öffnet sich die Tür zum Personalraum wieder und Grandpa lugt hinein. „Marie, kommst du bitte?"

„Klar", sage ich schnell nickend und verlasse den Raum mit den vielen schmachtenden Mädchen. Wenigstens bin ich nicht die Einzige, die anscheinend von Harrys Schale entzückt ist. In meinem Kopf widerspricht sich gerade so viel. Immer wenn ich an Jungs gedacht habe, bildete sich das Bild eines einmeterachtzig großen, blonden Typs, mit blauen Augen und schöner heller Haut. An so jemanden wie Harry hätte ich niemals gedacht. Tattoos, dunkle Augen, dunkle Haare. Es ist fast erschreckend, dass ich ihn so attraktiv finde.

Vor der Tür steht Grandpa mit Harry. Harry sieht jetzt nicht mehr so freundlich aus, wie vorhin. Er scheint sich wohl wirklich nur anzustrengen, wenn Gäste anwesend sind. Eigentlich ist es beeindruckend. Ich könnte meine Persönlichkeit nicht einfach so um hundertachtzig Grad ändern.

„Ihr beide werdet den ganzen Abend die Jacksons bedienen", lässt mein Grandpa uns wissen. „Diese Familie ist steinreich und Stammgäste, sie sind wirklich wichtig, deswegen hoffe ich, dass ich euch das zutrauen kann." Er deutet auf die Familie an einen der runden Tische. „Behaltet sie die ganze Zeit im Auge. Ihr müsst es ihnen ansehen können, wenn sie etwas möchten, ich denke, das könnt ihr." Ihm steht der Schweiß auf der Stirn. Er scheint wirklich gehetzt zu sein. „Enttäuscht mich nicht." Er dreht sich zu Harry und funkelt ihn an. „Vor allem nicht du. Ich warne dich. Ein falsches Wort und du bist gefeuert."

Harry zuckt gehässig mit den Schultern. „Wir werden sehen."

Grandpa dreht sich tief durchatmend zu mir. „Bitte achte ein wenig darauf, dass er nicht vor den Gästen flucht. Ihr seid ja irgendwie befreundet. Ich vertraue euch wirklich bedeutsame Leute an."

„Ja", krächze ich, räuspere mich dann und wiederhole: „Ja. Wir werden das hinbekommen."

Seufzend nickt er. „Okay. Bitte hol mich, wenn er Probleme macht."

Ich nicke nur, weil ich genau weiß, wen er meint. Gleichzeitig hoffe ich, dass er keine Probleme machen wird, sondern sich genauso verhalten wird, wie eben. Grandpa verschwindet im Personalraum und ich sehe zu Harry, der sich gerade ein Tablett von der Theke nimmt. Sein jetziger Ausdruck passt überhaupt nicht mehr zu seinem Aufzug, doch trotzdem bin ich noch immer wie benebelt, wenn er bei mir ist.

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