Kapitel 30 - Auf dem Boden

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Meine Brauen schieben sich zusammen, als ich ihn so leicht schwankend an der Wand stehen sehe, sein Blick noch immer auf den Grund unter uns geheftet. Er betitelt sich selbst als Teufel, als die verhassteste Person der Erde? Das muss der Alkohol sein, der aus ihm spricht, anders kann ich mir das nicht erklären. Es mag sein, dass er nicht viel von sich hält, aber ... Er ist Harry. Ich weiß, dass da etwas ist, was ihn zu einem normal fühlenden Menschen macht, wie jeder andere es ist, auch wenn ich es noch nicht entdeckt habe. Dieser kleine Harry aus der Grundschule kann nicht der Teufel sein, nicht mal im übertragenen Sinne, niemals.

Nach einem kurzen stillen Moment, sage ich leise: „Was wenn man es nicht tut?"

Harry sieht mich jetzt an, sein Blick noch immer ohne jeglichen Ausdruck.

„Was wenn man ihm die Hand schütteln will?", frage ich. „Wie soll man herausfinden, wer der Teufel wirklich ist, wenn man ihn nicht kennt?"

Leicht hebt sich sein Mundwinkel, als er wieder von mir weg auf den Boden sieht. „Bevor du ihn kennenlernst, hast du dich schon so oft verbrannt, dass du schneller abhaust, wie dein Verlangen nach dem Unbekannten stark sein konnte."

„Der Teufel ist nie so schwarz, wie man ihn malt", sage ich. „Wieso sollten einen Menschen Brandwunden zurückhalten, wenn es Heilung auf der anderen Seite gibt?"

„Wer behauptete je, dass es Heilung auf der anderen Seite gibt?", sagt Harry und stößt sich von der Wand ab. Er dreht sich zum Fenster. „Er würde einem weiter wehtun, selbst wenn man auf seiner Seite steht. Der Teufel ist so schwarz, wie seine Seele erlaubt. Und manchmal ist es besser, sich in dieses Schwarz gar nicht erst zu trauen."

Leicht schwankend schiebt er die Gardinen beiseite und will gerade aus dem Fenster steigen, als ich schnell aufstehe und sage: „Harry."

Er hält inne, dreht mir jedoch immer noch den Rücken zu.

„Manchmal ist der Teufel der, der die Gebete am meisten braucht."

Kurz herrscht komplette Stille im Raum und für einen Moment denke ich, dass er einfach verschwinden wird, wie er es schon oft getan hat, doch dann dreht er sich leicht zu mir. Allerdings nicht, ohne sich am Fensterrahmen festzuhalten. „Honor", sagt er leise mit seiner dunklen Stimme. „Du würdest bereuen, deine Hand auch nur ausgestreckt gehabt zu haben. Du kannst nicht immer denken, dass in jedem Menschen etwas Gutes steckt. Ich war nie gut und werde es nie sein." Er dreht sich komplett zu mir. „Ich bin eine andere Spezies, als du. Wie deine Eltern schon sagten: Du brauchst jemanden wie mich nicht in deinem Leben."

Ich schüttle mit dem Kopf. „Meine Eltern wissen nicht, was sie damals gesagt haben ... Sie kennen dich nicht."

„Und du denkst, du kennst mich?" Er lacht bitter auf. „Nicht mal in einer Million Jahren würdest du mich kennen. Vorher wärst du längst davongerannt."

Ich versuche ihm so ehrlich und tief in die Augen zu sehen, wie ich kann. „Aber was wenn ich nicht davonrenne? Was würde schlimmsten Falls passieren?"

Er hält meinem Blick stand, trotz seiner Betrunkenheit. Ich bin mir sicher, er würde niemals so mit mir reden, wäre er nüchtern. „Du könntest sterben", sagt er. „Du könntest die qualvollsten Tode erleiden, die du dir nur vorstellen kannst."

Jetzt hebt sich mein Mundwinkel ein wenig. „Bevor ich einen qualvollen Tod erleide, bin ich schon längst verschwunden. Ich bin flink."

Wieder lacht er rau und schüttelt leicht den Kopf. „Bevor du einen qualvollen Tod erleidest, hätte ich dich längst verjagt."

„Wieso? Weil du nicht willst, dass ich leide?", frage ich keck.

„Nein", sagt er wieder ernster. „Weil niemand ... das verdient hat."

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