Kapitel 21 - Ätzend und Erniedrigend

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Ich kralle mich so fest ich kann an Harry und ignoriere gleichzeitig seine Bitte von vorhin, ihm nicht zu nahe zu kommen, denn gerade kann ich nicht anders. Zwar sind meine Haare mittlerweile trocken, aber im Winter nur mit T-Shirt auf einem Motorrad zu sitzen, das bestimmt achtzig Stundenkilometer fährt, ist Folter. Ich weiß nicht, wo Harry hinfährt, ich traue mich auch nicht die Augen auf zu machen, aber ich spüre nach einer Weile, dass er langsamer wird und der Boden unebener.

Plötzlich bleibt er stehen. Ich mache die Augen auf und muss feststellen, dass er zum Ende der Stadt zu einem Waldrand gefahren ist.

„Steig ab", befiehlt er herrisch, schaltet seinen Motor aus und ich tue sofort was er sagt, falle augenblicklich auf den Boden, weil meine Glieder so eingefroren sind von dem starken Windzug und der eisernen Kälte. Harry ignoriert, dass ich auf dem Boden liege, deswegen rapple ich mich wieder auf. „Ich habe keine Ahnung, was das sollte, aber ich werde dich nicht umherfahren", hallt seine Stimme durch seinen Helm. „Du wolltest von deinen Eltern weg, jetzt bist du es."

Ich nicke motorisch, als hätte ich schon erwartet, dass so etwas passieren wird. Natürlich lässt er mich einfach hier mitten im Nirgendwo stehen. In der Kälte. Wie er es fast immer getan hat. Zitternd gehe ich zu einer Bank und setze mich darauf, ziehe die Knie an und sehe auf den kleinen See vor mir. Es ist schön hier. Ich würde es noch schöner finden, wenn die Umstände netter wären. Wenn Harry wieder netter wäre.

Harry steht jedoch immer noch mit seinem Motorrad ungefähr drei Meter hinter mir. Wahrscheinlich überlegt er sich den nächsten Spruch, den er mir vor die Füße schmeißen kann, jetzt wo er meine strenge Familie gesehen hat und wie sie mich behandeln, wie ein Kleinkind. Ich würde es ihm nicht mal verübeln. Sie haben ihn sehr beleidigt.

Dann höre ich, wie er sich bewegt. Ein Klicken ertönt und ich höre seinen Schlüssel rascheln, dann ein Knallen und darauffolgende schwere Schritte, die mir immer näher kommen.

Ich drehe mich etwas über eine Schulter und sehe, wie er mit genervtem Ausdruck auf mich zukommt. Er hält eine schwarze Stoffjacke in der Hand. Achtlos schmeißt er sie zu mir, worauf sie auf meinem Kopf landet und lässt sich mit einem großen Abstand neben mich auf die Bank sinken.

Verwirrt ziehe ich mir die Jacke vom Kopf und betrachte sie. Er muss sie wohl in seinem Helmfach gehabt haben. „Du gibst sie mir?"

Er starrt mit angespannter Miene auf den See. „Ja."

Mit steifen Fingern ziehe ich sie an und kuschle mich sofort hinein. Sie riecht nach ihm und ist so weich. Zwar ist sie noch kalt, aber das wird sich gleich ändern. „Das ist sehr nett von dir", sage ich leise, bedacht darauf, ihn nicht anzusehen. „Danke."

„Hör endlich auf dich ständig zu bedanken. Ich hasse das, da könnte ich kotzen", wütet er zurück.

Ich presse die Lippen aufeinander, ziehe mir die zu langen Ärmel über die Hände. „Tut mir leid."

Wieder ist er so. Wieder ist er so gereizt und genervt, obwohl es keinen dazu Grund gibt. Ich habe ihn doch nicht dazu gezwungen mir seine Jacke zu geben, ich habe ihn auch nicht dazu gezwungen mir seine anderen Klamotten zu geben oder mich mit zu ihm zu nehmen. Ich habe ihn gebeten und er hat zugestimmt. Aber jetzt lässt er mich fühlen, als würde er es hassen, das alles für mich zu tun.

Kann es eigentlich noch trübseliger werden?

Ich bin von Zuhause das erste Mal in meinem Leben abgehauen, habe meine Mutter und meinen Vater angebrüllt. Und das nur wegen Harry. Oder vielleicht nicht wegen Harry. Vielleicht weil ich nicht möchte, dass sie mich so unter Druck setzen und ich nicht so leben kann, wie ein achtzehnjähriges Mädchen leben sollte. Ich habe es vermasselt. Ich habe es so was von vermasselt. Ich werde nach Hause kommen und meine Eltern werden stinksauer sein, weil ich einfach gegangen bin. Und dann auch noch mit Harry. Ich hätte einfach auf Mama hören und ins Haus gehen sollen. Stattdessen sitze ich hier in der Kälte und weiß nicht mal, wo ich bin.

Remember His StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt