Kapitel 35 - Hundeherz

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So, das ist aber das letzte Kapitel für heute ... Glaube ich zumindest :D Übrigens freue ich mich immer über Votes :)

Ich sehe über meine Schulter, um sicher zu gehen, dass meine Eltern mir nicht folgen. Sie tun es nicht. Ich dachte, dass mindestens Mama total ausrasten würde, weil ich mit Harry gehe. Doch auch sie könnte mich jetzt nicht aufhalten. Sie hätte Papa sagen müssen, dass Harry unschuldig ist. Sie hat es nicht getan.

Als ich vor Harrys Motorrad stehe, nimmt er seinen Helm und setzt ihn mir – zu meiner Überraschung – auf den Kopf. Er ist mir viel zu groß, doch trotzdem lasse ich zu, dass Harry ihn an meinem Kinn zuschließt. Ein letztes Mal sieht er durch das Tor zu meinem Zuhause, dann schwingt er sich auf sein Motorrad. Ich rücke den Helm nochmal richtig und setze mich dann hinter ihn. Als wäre er mein Retter und als würde mein Leben an ihm hängen, klammere ich mich an ihn, während er den Motor startet und losfährt.

Ich sehe auf die vorbeiziehende Landschaft und versuche mich nicht auf den kalten Wind zu konzentrieren. Erschöpft lege ich meinen Kopf auf Harrys Rücken und schließe die Augen, genieße das, was ich im Moment genießen kann. Die Sicherheit, die er mir gibt, während ich hinter ihm sitze und die Tatsache, dass ich das erste Mal einer schlimmen Nacht mit Gewitter vor meinem Vater entfliehen konnte.

Zu oft ist schon so etwas wie heute passiert. Jedes Mal wenn es gewittert, verliert Papa sich und zerstört Dinge. Sein Bruder ist damals bei einem Autounfall ums Leben gekommen, indem er verwickelt war. Der Auslöser war ein einschlagender Blitz. Papa hat überlebt.

Doch seitdem ist er verstört, was Gewitter angeht. Und durch seine Demenz erinnert er sich immer erst an seinen Bruder, wenn es donnert und blitzt. Der Arzt meinte, dass er Flashbacks erleben würde und Bilder in seinem Kopf erscheinen, die er selbst nicht glauben kann. Es ist grausam. Für ihn, für Mama und mich. Er will in solchen Momenten nie wahrhaben, dass sein Bruder wirklich tot ist und hält uns vor, wir würden es ihm vorenthalten, ihn anlügen.

Doch trotzdem verstehe ich nicht, wieso er vorhin bei Harry so wütend geworden ist. Wie kommt er auf die Idee, Harry sei der Mörder? Wen oder was hat er in ihm nur gesehen, dass er so ausrastet? Er hat sich verhalten, als wäre Harry ... Als wäre er der Teufel höchstpersönlich.

Während der Fahrt bemerke ich nicht, dass mir stumme Tränen über die Wangen laufen. Es fällt mir erst auf, als ich spüre, dass Harry langsamer wird und ich die Augen öffne. Wir stehen wieder vor seinem Blockhaus. Ich fühle mich schlecht, weil ich ihm zwischen seine Pläne gefunkt bin, doch ich danke es ihm. Sehr.

Ich lasse ihn los und steige von dem Motorrad. Er schließt es ab. Wir schweigen. Die Situation ist seltsam. So verkehrt herum. Als ich das erste Mal mit Harry auf diesem Motorrad gefahren bin, hat er mir noch nicht seinen Helm gegeben, geschweige denn mir erlaubt, ihm so nahe zu kommen. Noch damals hätte er mich niemals vor der Krankheit meines Vaters beschützt ... Das behaupte ich zumindest.

Ich ziehe mir den Helm über den Kopf und wische mir sofort danach die Tränen von den Wangen. In Harrys Augen zeigen sie Schwäche, weshalb ich möglichst versuche, sie zu verstecken. Er nimmt mir den Helm ab und hängt ihn über den Lenker. Immer noch schweigend gehen wir in das Haus, die Treppen nach oben. Eine eiserne Kälte überkommt mich. Nicht nur, weil es hier in diesem Treppenhaus eiskalt ist, sondern weil ich mich grausam fühle. Das Gewitter ist noch beständig und erinnert mich immer wieder an die Szene eben gerade. Wie mein Vater das Bild nach mir geschmissen hat und wie krank er Harry angesehen hat. Als wäre er ein Monster.

Harry öffnet seine Wohnungstür und wir betreten das Apartment. Ich muss die Luft anhalten, um nicht zu schluchzen. In solchen Situationen bin ich es gewohnt, einfach zu weinen, weil ich es konnte. Ich war danach entweder bei Olivia oder allein, weshalb mir meine Tränen egal waren. Aber bei Harry fühle ich mich mickrig, wenn ich weine. Auch wenn er mir geholfen hat, erlaube ich es mir einfach nicht, vor ihm so einzuknicken, egal wie oft ich schon vor ihm geweint habe.

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