Kapitel 31 - Seraph

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Wie gefällt euch das neue Cover? Ich habe noch eins auf Lager, sagt mir mal, welches euch bisher am besten gefällt :)

„Honor!", ertönt plötzlich die Stimme meiner Mutter in meinem Traum. Dann ein zweites Mal und ich schrecke ruckartig auf, setze mich kerzengerade hin. Mama steht im Türrahmen und lächelt mir freundlich zu. „Ist schon gut, Schatz, ich wollte dir nur Bescheid geben, dass wir jetzt Zuhause sind. Anscheinend ging es gestern sehr lange, wenn du bis in die Puppen schläfst."

Noch total schlaftrunken sehe ich schnell zur Wand, wo Harry letzte Nacht noch saß. Er ist nicht mehr da. Ich blinzle mehrmals. Habe ich das nur geträumt? Nein, das kann kein Traum gewesen sein. Meine Vermutung, es sei kein Traum gewesen, wird bestätigt, als ich meine eingerissene Schneekugel sehe. Natürlich war es kein Traum. Er war wirklich hier, hat mein Zimmer verwüstet und ist an meiner Wand eingeschlafen. Ich sehe zum Fenster, weil mich plötzlich ein kalter Windzug streift. Es steht offen und die Gardinen wehen nach draußen.

Er war tatsächlich hier.

Als wäre er ein Geist, ist er verschwunden und lässt den kalten Wind in meinem Zimmer zurück, damit ich mich an ihn erinnere.

„Wie hältst du das nur hier drin aus?", fragt Mama und geht zu meinem Fenster. Sie schließt es und sofort hört der Windzug auf. „Du bist sowieso schon krank, es muss sich nicht noch verschlimmern." Sie schiebt die Gardinen davor und geht wieder zur Tür. „Ich wecke dich, wenn du zur Probe musst. Schlaf ruhig noch ein paar Stunden."

Ich nicke und lege mich wieder hin, ziehe die Decke bis zu meinem Kinn. Wenn sie nur wüsste, was letzte Nacht passiert ist. Was allgemein in den letzten vierundzwanzig Stunden passiert ist. Zwar weiß ich immer noch nicht, was genau sie gegen Harry hat, doch ihr davon zu erzählen, wäre ein großer Fehler, da bin ich mir sicher. Ich mag es nicht, Geheimnisse vor meinen Eltern zu haben, aber sie würden mich nicht verstehen. Ich verstehe mich ja selbst kaum, wie soll ich sie zum Verstehen bringen?

Doch wie sagte Harry gestern? Verstanden zu werden ist ein dummes Verlangen der Menschheit. Vielleicht hat er Recht. Vielleicht muss ich einfach damit klarkommen, dass ich mich auf irgendeine seltsame Art und Weise zu ihm angezogen fühle, egal wie absurd es klingen mag. Er ist unausstehlich, ja, aber diese Verbindung ... Diese seltsame psychische Anziehung, kann ich nicht ignorieren. Das konnte ich damals als Kind schon nicht. Mag sein, dass er nicht so über mich denkt, aber ich denke so und ich kann nicht damit aufhören.


Um vier Uhr nachmittags sitze ich bei Misses Baskin im Unterricht und verzweifle erneut. Ich spiele dieses Klavierstück schon zum dritten Mal, doch trotzdem will es nicht sitzen. Ich verspiele mich andauernd oder spiele Noten, die Mozart gar nicht verfasste, als er dieses Meisterwerk mit knappen vierzehn Jahren schrieb. Manchmal wünschte ich, ich hätte solch ein Talent wie er. Zwar liebe ich die klassische Musik, doch in letzter Zeit verabscheue ich sie.

„Honor", seufzt Misses Baskin und stellt sich - genauso verzweifelt wie ich - an den Flügel, sieht mich tadelnd an. „Das geht jetzt seit drei Wochen so. Was ist los?"

Ich zucke mit den Schultern und sehe auf die Notenblätter vor mir.

„Es muss doch eine Erklärung dafür geben. Oder liegt es an dem Stück? Wenn es wirklich nicht klappt, dann suchen wir dir ein anderes heraus."

„Es liegt nicht an dem Stück", erwidere ich. „Ich ... Momentan sind meine Gedanken einfach ein wenig ... Woanders."

„Woanders", wiederholt Misses Baskin und zieht eine perfekt gezupfte Augenbraue hoch.

„Ja", sage ich kleinlaut. „Aber - Es - Ich versuche es ja wirklich! Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie ist meine Motivation einfach nicht mehr vorhanden."

Remember His StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt