Es herrscht qualvolle Stille. Das ist also die Wahrheit. Die Wahrheit aus Harrys Munde. Mir fließen die stummen Tränen wie Bäche die Wangen herab, während ich all seine Worte sacken lasse.
Es schlimmer, als ich dachte. Mit keinem Wort könnte ich genug beschreiben, wie viel Grauenvolles in seinen Worten lag.
Ich habe diese ganzen Informationen über ihn, über seine Eltern und Dale noch nicht richtig realisiert. Ich kann und will es noch nicht wahr haben. Es ist einfach noch zu unvorstellbar, wie grausam alles für ihn gewesen sein muss.
Dale ist derjenige, der sich als erstes wieder sammelt. Er steht auf und schließt wieder die Tür auf. Man sieht ihm an, wie sehr ihn das mitnimmt. Er sieht beinahe traumatisiert aus, von dem, was er gerade gehört hat.
Die Tür öffnet sich und ich stehe ebenfalls schwach auf. Ich wische mir die Tränen weg, die ununterbrochen laufen. Wenn ich Harry jetzt sehe, sehe ich den Harry, den ich früher immer sehen wollte. Den wirklichen Harry mit seiner wirklichen Geschichte.
Schniefend trete ich in den Türrahmen des Bades, weil er nicht rauskommt. Ich presse die Lippen zusammen, als ich ihn sehe.
Er sitzt mit einem angewinkelten Bein auf dem Boden und sieht Dale und mich böse an. Ich dachte vielleicht, er würde weinen, weil er sich an diese schreckliche Vergangenheit zurückerinnert, doch das tut er nicht. Er ist wütend. Auf uns. „Jetzt habt ihr, was ihr wolltet", murrt er boshaft und steht auf. Er schupst Dale zur Seite und rempelt mich an der Schulter an, als er in den Flur geht. „Ich hoffe, jetzt könnt ihr nachts wieder beruhigt schlafen", fügt er noch hinzu, als er sich die Kapuze überzieht und zur Tür geht.
Hilflos sehen wir ihm hinterher. Ich will nicht, dass er wieder verschwindet. Ich will, dass er bei mir bleibt. Jetzt wäre ich am liebsten vierundzwanzig Stunden am Tag bei ihm. Ich will ihn in den Arm nehmen. Ihm zeigen, dass ich da bin.
„Harry", versuche ich ihn vom Gehen abzuhalten, als er zum Türgriff greift. Als er jedoch nicht reagiert, sondern die Tür öffnet sage ich: „Ich will nicht, dass du gehst!"
Jetzt hält er inne. Es ist beinahe die Gleiche Situation, wie die, in der ich letztens aus seiner Wohnung verschwinden wollte, weil er gemein war, er hat mich jedoch zurückgehalten.
Ich komme ihm vorsichtig einen Schritt näher. „Ich will nicht, dass du jetzt gehst, wie du damals nicht wolltest, dass ich gehe ... Bitte."
Kurz herrscht Schweigen, dann sagt er: „Komm mit mir. Aber ich werde nicht bleiben."
„Ist okay", sagt jetzt Dale und sieht mich verständnisvoll an. „Geh mit ihm. Wir werden später nochmal telefonieren, ja?"
Ich nicke nur stumm. Dale tut mir leid. Er muss damit jetzt allein klarkommen, was ich eigentlich verhindern wollte, doch ich lasse Harry nicht allein. Für mich geht er vor, das ging er schon die ganze Zeit. Und wenn er mir schon anbietet, mit ihm zu kommen, dann werde ich das tun.
Ich schnappe mir meine Jacke und verabschiede mich von Dale mit einer langen, liebevollen Umarmung. Wir werden das alles gemeinsam durchstehen, denn wir sind jetzt ein Team. Ob Harry in unserem Team mitspielt, ist noch fraglich, doch Dale und ich werden verhindern, dass ihm irgendetwas zustößt.
Ein letztes Mal lächle ich Dale zu, dann schließe ich die Tür hinter mir, während Harry schon mit großen Schritten durch den langen Flur läuft. Er ist immer noch mehr als wütend. Doch damit muss ich jetzt umgehen, denn Dale und ich haben ihm keine andere Wahl mehr gelassen, außer mit uns darüber zu sprechen. Ich kann ihn verstehen, aber wiederum auch nicht. Wir wollen ihm doch nur helfen.
Harry läuft ungefähr zehn Meter vor mir zu Dales Auto, als wir draußen sind. Verwirrt runzle ich die Stirn. „Du hast doch gar keinen Schlüssel!", rufe ich ihm zu.
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Remember His Story
Fanfiction"Sie wünschte sich manchmal, sie könnte seine Gedanken lesen. Doch dann fragte sie sich, ob sie mit der Wahrheit leben könnte." In Honors Grundschulzeit gab es einen Jungen, an den sie sich ewig erinnern würde. Er war anders, als die anderen Jungs...