Kapitel 7 - Rabenschwarze Aura

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Er bleibt an einer Ecke stehen und lehnt sich dann an eine Hauswand. Er sieht sich um. Anscheinend wartet er auf irgendwen.

Schnell verstecke ich mich hinter einem Auto mit einem guten Sicherheitsabstand von mindestens dreißig Meter. Ich überlege, wie es jetzt weitergehen soll. Er wird sich hier mit irgendwem treffen und dann gehen sie weg. So bekomme ich nie raus, wie er heißt. Wieso tue ich das überhaupt? Ich sollte schon längst Zuhause sein, es beginnt schon dunkel zu werden, außerdem soll Mama sich keine Sorgen machen.

Doch meine Neugier ist einfach größer als meine Vernunft. Mama muss jetzt einfach warten.

Ich beuge mich etwas an dem Auto vorbei und sehe wieder zu ihm. Er zündet sich gerade eine Zigarette an, dann bläst er den Rauch aus seiner Nase. Ob Harry wirklich rauchen würde? Wahrscheinlich. Würde mich nicht wundern, wenn er nicht nur Tabak raucht.

Ich sitze noch weitere fünf Minuten hinter dem Auto. Noch immer steht er einfach an der Hauswand und scheint zu warten. Okay, das geht doch eigentlich ganz einfach. Ich mache es mir viel zu kompliziert. Bevor ich hier noch erfriere, mache ich es jetzt einfach.

Ich beuge mich wieder etwas an dem Auto vorbei und stelle auch klar, dass er mich definitiv nicht sehen kann, aber ich ihn. Ich atme tief ein und aus. Und dann: „Harry!" Schnell ducke ich mich ein wenig, doch luge noch so hervor, dass ich ihn sehen kann.

Und tatsächlich. Er dreht sich verwirrt in meine Richtung.

Er ist es!

Ach du heiliger Himmel.

Oder er heißt auch Harry. Oder er hat nur geguckt, weil er sich erschreckt hat. Was rede ich da? Das wären zu viele Zufälle auf einmal. Dieser rauchende, schwarz gekleidete, große Junge ist definitiv der kleine achtjährige Junge aus meiner Kindheit.

Da vorne steht wirklich dieser kleine Junge, der damals einfach verschwunden ist und wahrscheinlich die meistgehasste Person der Schule war. Dieser kleine, stille Junge mit den blauen Flecken und aufgeplatzten Lippen. Ich kann mich noch erinnern, dass er damals sogar ein wenig kleiner war als ich. Heute überragt er mich mehr als einen Kopf. Harry war damals zwar schon sehr einschüchternd, doch das ist kein Vergleich zu heute. Er hat eine fast rabenschwarze Aura um sich herum.

Während ich ihn weiter anstarre und nicht fassen kann, dass er tatsächlich er ist, klingelt plötzlich mein Handy. O, scheiße, das wird er definitiv hören, denn wir sind die einzigen Leute hier in dieser Straße. Hektisch krame ich mein Handy aus meiner Tasche und versuche den Ton in meiner Jacke zu dämpfen, indem ich mich fast auf die Tasche setze. Es ist Mama. Schnell gehe ich ran. „Ja, Mama?", flüstere ich in die Leitung und sehe sicherheitshalber nochmal zu Harry, um sicher zu gehen, dass er mich nicht gehört hat. Er steht noch immer einfach da, schmeißt seine Zigarette weg.

„Wann hast du vor nach Hause zu kommen?", nörgelt meine Mutter. „Es ist schon halb sieben und du weißt, dass wir um sechs Uhr essen."

Seufzend setze ich mich auf den kalten Boden und lehne mich an das Auto. „Tut mir leid. Ich werde in einer halben Stunde Zuhause sein. Olivia und ich haben uns noch so lange unterhalten, du kennst sie ja", lüge ich.

„In Ordnung, aber sag doch einfach das nächste Mal Bescheid, ich habe mir Sorgen gemacht. Vor allem wenn es dunkel ist."

„Mama, ich bin achtzehn."

„Na und? Dir kann immer etwas passieren, Liebling."

Ich schmunzle. „Wie immer hast du Recht. Ich werde bald da sein, wartet nicht mit dem Essen."

Wir verabschieden uns und ich lege auf, schiebe das Handy in meine Jackentasche. Kurz schließe ich die Augen und lehne meinen Kopf an die Autotür hinter mir.

Diese ganze Situation macht mich kirre. Dieser Typ aus der Apotheke, der gestohlen hat, ist Harry.

Wie war nochmal sein Nachname? Styles, genau, Styles. Wie könnte ich das je vergessen? Wahrscheinlich würde ich mich immer an ihn erinnern. Wenn ich mich daran erinnere, wie oft ich als kleines Mädchen versucht habe Kontakt zu ihm aufzubauen und mit ihm zu spielen, weil er immer so allein und geknickt aussah, und wie oft er mich abgeblockt und beleidigt hat, rutscht mir das Herz in die Hose. Das sind keine schönen Erinnerungen, doch trotzdem lag er mir einfach damals am Herzen. Warum, weiß ich nicht und wusste ich, denke ich, auch damals schon nicht, aber er hatte einfach diese trostlose Art an sich. Diese traurige. Und das hat irgendwie einen gewissen Instinkt in mir hervorgerufen, es war mir schon als Kind wichtig, andere Menschen glücklich zu machen.

Ich öffne wieder die Augen.

Und sehe unmittelbar auf eine schwarze Jeans.

„O, mein Gott", keuche ich erschrocken und zucke zusammen, weil Harry genau vor mir steht und mich mit verschränkten Armen anstarrt.

Allerdings sieht er nicht glücklich aus. Eher genau das Gegenteil. Wieder so extrem einschüchternd. Wie hat er nur diesen Blick in seine Augen bekommen? „Wieso zur Hölle folgst du mir?", faucht er zornig. „Habe ich dir vorhin nicht klar und deutlich gesagt, dass du mich, verdammte Scheiße, in Ruhe lassen sollst? Was bist du? Ein beschissener Stalker?"

„Nein", sage ich wortkarg. Er muss denken, ich bin verrückt. Aber das schüchtert mich nur noch mehr ein. „I-Ich ... E- Es –"

„Du, was? Stotter nicht so rum."

Ich knicke vor seiner festen Stimme ein. Mir kommt die ganze Situation mehr als bekannt vor. Damals war es ganz genauso, jedes Mal, wenn ich mit ihm reden wollte, hat er mich auf diese Art und Weise zurückgewiesen. Nur scheint er jetzt seine stille Art abgelegt zu haben, sondern zeigt keine Scheu mehr, auch mal auf jemanden zuzugehen und ihn zu beleidigen. Beziehungsweise mich. Harry scheint sich kein Stück geändert zu haben, wenn dann ist er nur noch schlimmer geworden.

Trotzdem kann ich nicht fassen, dass er gerade wirklich vor mir steht. Zehn Jahre ist es her.

„I-Ich wollte dir nicht folgen", erkläre ich unsicher meine Situation. „Ich ... Es tut mir leid." Es bringt sowieso nichts. Wenn er nicht versteht, dass ich ihm gefolgt bin, dann muss er dumm sein und das war er damals nicht und heute ist er es mit Sicherheit auch nicht.

Kurz gafft er mich einfach nur mit etwas zusammengekniffenen Augen an und von hier unten, sieht er noch bedrohlicher aus. Vor allem, weil es immer dunkler wird und so nimmt seine Aura noch mehr an Dunkelheit zu. „Hat Eduard dich geschickt?", fragt er schließlich giftig.

Ich blinzle. „Eduard? Nein, ich – Niemand hat mich geschickt."

Er scheint mir direkt in die Seele zu blicken, um heraus zu finden, ob ich die Wahrheit sage. Dann dreht er sich etwas und zieht sich wieder die Kapuze über. „Du solltest besser verschwinden. Das ist keine Gegend für kleine Mädchen, wie dich." Dann geht er auch schon wieder über die Straße.

Ich stehe auf und sehe mich um. Er hat Recht. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich hier noch nie war und gleichzeitig sieht es mehr als gruselig auf. Es sieht so viel anders aus, als die Straßen Zuhause. Schnell schultere ich meine Tasche und gehe um das Auto rum. „Wo bin ich hier?", rufe ich Harry hinterher, der kurz davor ist, um die Ecke zu verschwinden. „Ich weiß nicht, wie ich wieder zurückkomme!"

„Nicht mein Problem! Die Scheiße hast du dir selbst eingebrockt!"


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